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Der Weniger Unfehlbare Papst

By Im Blickpunkt
Mitteldeutsche-Kirchenzeitungen
March 5, 2013

http://www.mitteldeutsche-kirchenzeitungen.de/2013/03/05/der-weniger-unfehlbare-papst/

Der Theologe, Ethiker und Religionswissenschaftler Thomas Schirrmacher (Bonn) gilt als einer der besten ­protestantischen Kenner der römisch-katholischen Kirche.

Der scheidende Papst gilt vielen als rückständig und ­antiökumenisch, sein Jesus-Buch manchem Theologen als »peinliche Entgleisung« (Lüdemann). Im Interview mit dem Medienmagazin »pro« zeichnet der Vorsitzende der Theologischen Kommission der Weltweiten Evangelischen Allianz, Thomas Schirrmacher, ein differenzierteres Bild.

Sie haben den Papst erst kürzlich getroffen. Ist er wirklich so schwach?

Thomas Schirrmacher: Dass Papst Benedikt zwar geistig noch ganz auf der Höhe ist, sein Körper bis hin zum Sprechen tagesweise aber den Dienst versagen oder beschränken, konnte jeder bei der dreiwöchigen Synode in Rom im Oktober vergangenen Jahres sehen. Ich habe ihn jüngst bei zwei Messen erlebt, das erinnerte schon stark an die letzte Zeit von Papst Johannes Paul II.

Waren Sie erstaunt über den Rücktritt?

Schirrmacher: Den genauen Termin kannte natürlich niemand, aber Papst Benedikt hatte ja 2010 in einem Interview unmissverständlich deutlich gemacht, dass der Papst, wenn er körperlich oder geistig nicht mehr in der Lage sei, die Kirche zu leiten, das Recht, »ja unter Umständen sogar die Pflicht« habe, zurückzutreten. Und dass Benedikt den Weg seines Vorgängers nicht gehen würde, wusste ­eigentlich jeder.

Ist es nicht viel wichtiger, dass der Papst geistig auf der Höhe ist?

Schirrmacher: Natürlich. Aber die dreiwöchige Synode war schon für einen 52-jährigen Gast wie mich anstrengend, erst recht für die Synodenleitung. Der Papst hat aber parallel die normalen Geschäfte weiter­geführt, viel mehr Treffen als sonst wahrgenommen und Abends mehrere öffentliche Auftritte gehabt. Auch eine Papstmesse ist schon eine körperliche Strapaze. Entweder überlässt ein schwächer werdender Papst die Geschäfte anderen, wie es eigentlich ­immer gewesen ist, oder er lässt sie ruhen – wie in der Schlussphase von Johannes Paul II. Der Schritt von Benedikt ist zwar im Kirchenrecht ­vorgesehen, aber eben nie eingesetzt worden – Rücktritt aus Altersschwäche.

Sie haben 2002 zu Zeiten Johannes Paul II. ein Buch »Der Papst und das Leiden: Warum der Papst nicht zurücktritt« veröffentlicht. Was unterscheidet Benedikt von seinem Vorgänger?

Schirrmacher: Papst Benedikt hat sein Amt eindeutig weniger sakramental verstanden als sein Vorgänger, der sein Leiden als Fortsetzung der Leiden Christi verstanden hat. In den letzten Monaten war ja spürbar, dass Benedikt vor allem die Kontrolle über den staatlichen Teil des Vatikans mehr und mehr verlor. Nun stand ihm der geistliche Teil seines Amtes als Kirchenführer und Theologe immer schon näher als der politische Teil als Staatsoberhaupt des »Heiligen Stuhls« – nicht zufällig hat er ja die politische Bedeutung und das politische Wirken des Vatikans an etlichen Stellen zurückgefahren und selbst in Deutschland in seiner Freiburger Abschiedsrede gefordert, der katholische Kirche solle sich mehr aus der Verklammerung mit der Welt lösen. Es ist ganz im Einklang damit, wie Benedikt Papst wurde und wie er das Papstamt verstand, dass er es aufgibt, wenn er Führung nicht mehr garantieren kann.

Weniger sakramental?

Schirrmacher: Ja. Den Kardinälen sagte er einmal, dass ein Papst die meiste Zeit fehlbar sei. In den meisten seiner Messen und Ansprachen finden sich Hinweise darauf, dass er Fehler mache, dass Gott und die Kirche ihm vergeben mögen und er nur hoffen könne, dass Gott ihn vor Fehlentscheidungen bewahre. Das gilt selbst noch für seine kurze Rücktrittsankündigung. Das findet sich so bei Johannes Paul II. nicht. Dazu gehört der ständige Hinweis Benedikts, dass nicht er, sondern Jesus der Herr der Kirche sei.

Der Papst hat manche ungewöhnlichen Entscheidungen getroffen, die das untermauerten. So hat er das Jesusbuch ausdrücklich als Privatmann geschrieben, der Fehler mache, die man ihm gerne per E-Mail schreiben könne. So etwas hat noch nie ein Vorgänger gemacht, Papstschreiben sind ­eigentlich immer amtliche Schreiben. Bei seiner jährlichen Schülerrunde war er nur der diskutierende Professor, der sich auch gerne protestantische Professoren zum Diskutieren einlud. Anders gesagt, im Gegensatz zu seinen Vorgängern hat Papst Benedikt den Privatmann Benedikt nie aufgegeben. Und da ist es nur konsequent, dass er sich jetzt auf das private Altenteil zurückzieht.

Wie war das Verhältnis der Weltweiten Evangelischen Allianz zum Vatikan und umgekehrt?

Schirrmacher: Unser Generalsekretär Geoff Tunnicliffe hat den Papst mehrfach getroffen. Auf der Synode haben wir unseren Beitrag ­geleistet. Papstvertraute als Leiter von Päpstlichen Kongregationen wie die Kardinäle Kurt Koch, Peter Turkson oder Jean-Louis Tauran haben die Weltweite Allianz immer als Partner geschätzt und respektvoll behandelt. Das gilt besonders für die fünfjährigen Verhandlungen zum gemeinsamen Dokument des Vatikan, der Weltweiten Evangelischen Allianz und des Ökumenischen Rates der Kirchen, »Christliches Zeugnis in einer multi­religiösen Welt«, die ich von unserer Seite geleitet habe. Aber auch für die seit Jahren laufenden offiziellen Gespräche zu theologischen Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten, die von unserer Seite mein Vorgänger als Vorsitzender der Theologischen Kommission, Rolf Hille, leitet.

Welches halten Sie für die wichtigsten Veröffentlichungen des Papstes?

Schirrmacher: Da ist als erstes das ­Jesusbuch zu nennen. Nicht nur, weil es für die historische Glaubwürdigkeit der Evangelien kämpft, sondern vor allem wegen der Begründung: Der Papst wollte deutlich machen, dass ­Jesus der Mittelpunkt des christlichen Glaubens ist und hat das zuletzt auch auf der Synode deutlich gesagt: Der christliche Glaube ist eine persönliche Beziehung zu Jesus. Ständig hat er wiederholt, dass die Zukunft ­einem Entscheidungschristentum gehört, das auf persönlicher Entscheidung und Beziehung zu Jesus, nicht auf traditioneller oder kultureller Zugehörigkeit beruht.

Daneben ist seine erste Enzyklika »Gott ist Liebe« (»Deus caritas est«) zu nennen, die das in den Mittelpunkt stellt, was merkwürdigerweise jahrhundertelang in kirchlichen Bekenntnissen fehlte, dass Liebe die zentrale Eigenschaft Gottes in der Bibel ist. In der Enzyklika steht nur wenig, was ein Evangelikaler nicht unterzeichnen könnte.

Seine beste Tat aus ihrer Sicht?

Schirrmacher: Die Verschärfung der Kirchengesetze zum sexuellen Missbrauch im Gefolge seines ausgezeichneten Hirtenbriefes an die Katholiken Irlands vom 19. März 2010.

Sein größer Fehler – wenn Sie einmal von theologischen Unterschieden absehen?

Schirrmacher: Papst Johannes Paul II. sah seinen Pressesprecher als engsten Vertrauten, der ihn unabhängig vom vatikanischen Apparat über die Welt auf dem Laufenden hielt, und der als Papstvertrauter die Medien immer auf dem Laufenden halten konnte. Einen solchen Pressesprecher als Vertrauten hatte Benedikt nie, die Medien schienen ihm eher lästig zu sein; und sein Pressesprecher konnte eigentlich nur amtliche Verlautbarungen weitergeben. Das hat meines Erachtens sehr zur Eskalation mancher Medienkampagnen beigetragen.




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