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In the Name of the Father

A Thin Red Line
March 6, 2013

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Inzwischen vergeht kaum ein Monat, kaum eine Woche, ohne dass es Neues über den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche zu berichten gibt. Gerade in Deutschland sind derartige Vorfälle seit Jesuit Klaus Mertes, Rektor des Berliner Canisius-Kollegs, sich Anfang 2010 bei Opfern aus den 1970er und 1980er Jahren entschuldigte, ein Dauerthema. Aber auch zuvor bereits, nicht zuletzt durch die Aufdeckung des Boston Globe im Jahr 2002 von sexuellem Missbrauch und systematischer Vertuschung in der katholischen Kirche der USA. Vier Jahre später widmete sich Regisseurin Amy Berg in ihrer Dokumentation Deliver Us from Evil dem Thema anhand der Vorfälle um den katholischen Pater Oliver O’Grady.

Vor zwei Jahren berichtete Claudia Keller auf Zeit Online, dass allein 2006 „in den USA 714 glaubhafte Beschuldigungen gegen 448 Priester erhoben“ wurden [1]. Der in die USA emigrierte Ire Oliver O’Grady dürfte dazugehört haben. Im Jahr 1971 war er in die Vereinigten Staaten gekommen und in Kirchen und Gemeinden in Kalifornien als Priester tätig. 22 Jahre später wurde er in vier Fällen wegen Kindesmissbrauchs verurteilt und gab an, über zwei Dutzend Kinder in seiner Zeit als Priester vergewaltigt zu haben [2]. Ein Trauma, nicht nur für die Kinder, die als Erwachsene weiter von dem Missbrauch gebeutelt sind, sondern auch für ihre Eltern, die in ihrem religiösen Glauben ihre Kinder Pater O’Grady anvertrauten.

Berg zeigt in ihrem Debütfilm einige dieser vermeintlichen Einzelschicksale, die, wie sich herausstellt, keine solchen sind. Frauen und Männer berichten, wie sich O’Grady ihnen genähert hat. Und wie sie sich nicht trauten, jemandem dies mitzuteilen. Schließlich sind die Priester von Gott eingesetzt und eine Institution, oft über den Glauben hinaus. „Die Geistlichen waren die Götter der Gemeinden“, schrieb Barbara Hans auf Spiegel Online [3]. „Oft galt schon Widerspruch als Frevel.“ [4] Zweifel wurden somit nahezu im Keim erstickt, sowohl bei den Kindern als auch ihren Eltern. Mit fatalen Folgen, wie sich Jahrzehnte später zeigen sollte. Nicht nur für die Opfer, sondern auch für die katholische Kirche selbst.

Der inzwischen mit ihr einhergehende schlechte Ruf ist das eine, die finanziellen Entschädigungen bedauert die Kirche vermutlich aber noch mehr. So zahlte allein das Erzbistum in Los Angeles rund 660 Millionen Dollar an seine Missbrauchsopfer [5], laut Deliver Us from Evil soll die katholische Kirche seit 1950 um die eine Milliarde Dollar an Entschädigungen gezahlt haben. Kein Wunder, bei der exorbitanten Zahl an gemeldeten Vorfällen. Der John-Jay-Studie von 2004 zufolge wurde 4.392 Geistlichen, nahezu alles Priester, vorgeworfen, 10.667 Menschen sexuell missbraucht zu haben [6]. Weitaus schockierender als der Missbrauch selbst ist jedoch, dass dieser der Kirche jahrzehntelang bekannt war.

So auch im Falle von O’Grady, der jenem Erzbistum von Los Angeles und seinem Kardinal Roger Mahony unterstand. Der Vorwurf, den der von Berg interviewte O’Grady selbst tätigt, lautet, dass die Kirche nichts gegen die sexuellen Übergriffe ihrer Geistlichen tat. Als es Rückmeldungen über einen möglichen Missbrauch von O’Grady gab, wurde dieser einfach in eine andere Kirchengemeinde versetzt. Dies geschah nicht nur ein Mal und nicht nur im Fall von O’Grady. Vielmehr hat Mahony allein laut Dokumenten „in den achtziger Jahren tatverdächtige Priester aus dem Bundesstaat oder ins Ausland“ bringen lassen, „um sie vor Strafverfolgung zu schützen“ [7]. Mindestens 122 Geistliche tauchen in diesen Dokumenten auf [8].

Wer nun denkt, dies sei ein US-amerikanisches Problem, der irrt. Erst im Januar berichtete Matthias Drobinski in der Süddeutschen von Hinweisen auf sexuelle Übergriffe bei 159 Priestern und 96 Religionslehrern [9]. „Verurteilt wurde kaum einer von ihnen“, schrieb Drobinski, „die Vertuschung und Verharmlosung hatte System.“ [10] Nicht das einzige System, wie Daniel Deckers in der FAZ berichtete: „Priester haben ihre sexuellen Übergriffe auf Minderjährige zumeist vorsätzlich geplant – und sich Opfer sogar gegenseitig zugeschoben“ [11]. Wahrhaftig erschütternde Ergebnisse, die Assoziationen zu organisierten Kinderhändlerringen wecken – nur dass es sich in diesen Fällen um die katholische Kirche handelt.

Solche Aufdeckungen kosteten die Kirche in den vergangenen Jahren nicht nur Millionen an Geldern, sondern auch zahlreiche Glaubensanhänger. Zum Beispiel Bob Jyono, der einst für seine katholische Frau zum Christentum konvertierte und sich nun mit der Tatsache konfrontiert sieht, dass O’Grady seine Tochter Ann jahrelang vergewaltigte und die Diözese nichts unternahm, außer den für Übergriffe bekanten Priester immer wieder in neue Gemeinden zu versetzen, ehe er dort wieder auffällig wurde. “I’ve been betrayed by the church!”, schreit Jyono an einer Stelle im Film und als er später erklärt, er habe den Glauben an Gott verloren, bricht seine inzwischen erwachsene Tochter neben ihm in Tränen aus.

Die sexuellen Übergriffe, so Jyonos Vorwurf, seien der Kirche per se egal. “This is money to the church”, resümiert er. “Just like a big corporation.” Und ähnlich wie eine Großfirma, die sich etwas vorzuwerfen hat, beschwichtigen die Geistlichen in Bergs Dokumentation die Ereignisse. Stets handele es sich um einzelne Vorfälle, ein übergreifendes Problem will aber niemand wirklich erkennen. Dabei schätzte der Psychologe Wunibald Müller vor zwei Jahren „den Anteil der katholischen Priester in Deutschland, die Kinder oder Jugendliche sexuell missbrauchen, auf etwa zwei bis vier Prozent aller Kleriker – also auf 350 bis 700“ [12]. Bei zuletzt knapp 39.000 Priestern in den USA wären das somit 780 bis 1.560 Kleriker [13].

Wo wirklich die Ursache für diesen Missbrauch liegt, vermag auch Deliver Us from Evil nicht zu klären. Zieht die katholische Kirche Pädophile an? „Die meisten Priester, die sich an Jungen oder Mädchen vergangen haben, sind nicht pädophil“, schrieb Barbara Hans [14]. Auch seien sie laut einer Studie nicht psychisch krank [15]. Liegt es dann am Zölibat, der nicht religiösen, sondern finanziellen Ursprungs ist [16]? Dem wird sich ebenfalls stets verwehrt. „Überall wo Minderjährige betreut werden, besteht die Gefahr, dass sexuell schwer gestörte Menschen den Kontakt mit Kindern suchen und auch finden“, meinte Matthias Kamann in der Welt [17]. Problematisch wird es allerdings dann, wenn man diese Gefahr unterschätzt.

Dazu gehört, wenn man wie Kardinal Mahony mehrere Priester, die des sexuellen Missbrauchs beschuldigt werden, immer wieder lediglich die Gemeinden wechseln lässt. Als positiven Schritt könnte man erachten, dass von deutschen Bischöfen im Jahr 2002 erstmals „Leitlinien bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche“ erfasst wurden. „Die verabschiedeten Richtlinien haben allerdings nur den Charakter von Selbstverpflichtungen“, offenbarte Claudia Keller [18]. „Hält sich ein Bischof nicht daran, steht er vielleicht in der Öffentlichkeit nicht gut da, aber kirchenintern hat das keine Folgen für ihn.“ [19] Das Thema, so scheint es, wird in der Kirche verdrängt, die Täter geschützt, die Opfer allein gelassen [20].

Wer „aufmuckt“, wird klein gehalten. So wie der in Deliver Us from Evil zu sehende Priester und Kirchenrechtler Thomas Doyle, der bereits zwei Mal aus kirchlichen Positionen entlassen wurde, weil er zu kritisch war, was sexuellen Missbrauch angeht. Als 2005 der Vorwurf aufkam, der ehemalige Papst Benedikt XVI., Joseph Ratzinger, hätte Missbrauchsfälle verschleiert, versah ihn US-Präsident George W. Bush sogleich mit Immunität, um ihn vor gerichtlicher Verfolgung zu schützen. Und dass bei Ratzinger vor seinem Papst-Amt – als er noch Kardinal und Präfekt der Glaubenskongregation war – die Einsicht reifte, sexuellen Missbrauch nicht mehr zu verschweigen, war nur dem öffentlichen Druck der Medien geschuldet [21].

Letztlich ist die katholische Kirche was den sexuellen Missbrauch von Geistlichen angeht wie ein Alkoholiker, der seine Krankheit verleugnet. Was sie braucht, sind Reformen, die sich des Zölibats annehmen, weil schon Paulus wusste, dass Menschen ihre sexuellen Impulse schwer unterdrücken können [22]. Man sollte Missbrauch nicht unter den Teppich kehren und Priester bloß versetzen, sondern zukünftige Opfer vor ihnen schützen – und die Täter vor sich selbst. Bis sich die Kirche dieser Fragen und dieses Problems angenommen hat, sollte man den Worten des langjährigen Missbrauchsbeauftragten des Vatikans, Charles Scicluna, folgen: „Alle müssen lernen, Geistlichen nicht blind zu vertrauen“ [23]. Amen dazu.




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