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Weiber Rauch, Dunkle Schatten

By Anna Giulia Fink
The Profil
March 21, 2013

http://www.profil.at/articles/1312/560/355160/weisser-rauch-schatten

Mit der Wahl von Jorge Bergoglio zum Papst stolpert die katholische Kirche

unversehens in das nachste Minenfeld unaufgearbeiteter Vergangenheit – ihr enges Verhaltnis zu einigen der schlimmsten Rechtsdiktaturen.

Von Anna Giulia Fink, Alexandra Muz, Martin Staudinger und Robert Treichler

Das Urteil uber Jorge Mario Bergoglio war bereits gefallt, kaum dass er am vergangenen Mittwochabend die Wahl zum Papst und den Namen Franziskus angenommen, seine wei?e Soutane ubergestreift, am Balkon des Petersdoms „Buona Sera“ sowie ein paar harmlose Nettigkeiten, ein Vaterunser und ein Ave-Maria aufgesagt hatte: „Er ist der Papst der Herzen!“, jubelten die Titelseiten ecclesiophiler Schriften wie „Osterreich“ und der Gratiszeitung „Heute“ bereits Donnerstagfruh.

So schnell geht das, und seither ist der Christenheit nichts Menschliches uber Franziskus mehr fremd.

Frohlich sei der neue Pontifex, bescheiden, sanft, demutig – sogar die Gesichter der Putzfrauen im Vatikan hatten gestrahlt, als sie von seiner Wahl erfuhren, wusste Kardinal Christoph Schonborn in der „Kronen Zeitung“ zu berichten. Dass er immer das billigste Flugticket bucht und in Buenos Aires, wo die Offis von der Oberschicht tunlichst gemieden werden, mit dem Bus zu fahren pflegt, wurde mit der gleichen Begeisterung rapportiert wie seine kulturellen Vorlieben: dass er Opern liebt und begeistert liest, besonders die Werke von Jorge Luis Borges und Fjodor Dostojewski. Dass er Tango kann. Und dass er gluhender Fu?ballfan ist.

Zusammen mit dem Leitmotiv – dem Einsatz fur die Armen –, das uber dem Wirken des ersten lateinamerikanischen Papstes schwebt, ergibt das eine wunderbare Geschichte zum Start ins Pontifikat.

Aber es ist nicht die ganze Geschichte.

Anschuldigungen nie ganz entkraftet

Keine ernsthafte Darstellung der Biografie von Jorge Bergoglio kann auf ein Kapitel verzichten, das die Jahre 1976 bis 1983 beschreibt: die Ara der Militardiktatur in Argentinien. Aus dieser Zeit gibt es Vorwurfe, die ihn in die Nahe der Kollaboration mit dem Regime rucken – bis hin dazu, der heutige Papst Franziskus sei mitverantwortlich fur die Inhaftierung von zwei Mitbrudern in einem Foltergefangnis.

Bergoglio hat diese Anschuldigungen immer bestritten. Ganzlich entkraften konnte er sie aber nicht. Und damit offnet die Kirche mit der Wahl des Kardinals von Buenos Aires zum 266. Papst ungewollt das nachste dustere Kapitel ihrer jungeren Geschichte: Nach der Debatte uber den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Angehorige des Klerus ist jetzt ihr kumpelhaftes Verhaltnis zu diversen Rechtsdiktaturen in der zweiten Halfte des 20. Jahrhunderts an der Reihe.

Besonders im Argentinien von General Jorge Rafael Videla und im Spanien des Caudillo Francisco Franco, wo zu Zeiten des Kalten Krieges im Namen des Antikommunismus Tausende und Abertausende Oppositionelle unterdruckt, gefoltert und ermordet wurden, war die katholische Kirche eng mit dem Regime verbunden. In anderen Landern agierte sie zumindest zwischen Anbiederung und Selbstschutz.

Es gibt kein pauschales Urteil daruber, was verantwortungsvolles Handeln unter den Bedingungen einer Diktatur bedeutet: Das kann nur im Einzelfall abgeschatzt werden. Aber es ist evident, dass sich die Kirche danach in vielen Fallen nur sehr zogerlich der Aufarbeitung ihrer Rolle gestellt hat. Besonders in Argentinien, der Heimat des neuen Papstes.

Uber dem Pontifikat von Franziskus liegt von Beginn an dieser Schatten. Und er konnte noch dunkler werden, wenn die Diskussion daruber nicht – wie vom Vatikan vermutlich erhofft – einschlaft, sondern weitergeht und womoglich sogar zu Forderungen nach Historikerkommissionen und schlie?lich Schadenersatz fuhrt, ganz nach dem Vorbild der Klagen von Missbrauchsopfern.

Jorge Bergoglio war 39 Jahre alt und seit drei Jahren Provinzial des Jesuitenordens in Argentinien, als sich Jorge Rafael Videla im Marz 1976 an der Spitze einer Militarjunta an die Macht putschte. Von da an fuhrte das diktatorische Regime des Generals einen jahrelangen, schmutzigen Krieg gegen alle, die aus seiner Sicht links oder oppositionell eingestellt waren. Die katholische Kirche stand der Junta, fur die Entfuhrung, Folter und Mord zum Alltagsgeschaft zahlte, nahe. Die argentinischen Bischofe verteidigten die Untaten, unter anderem mit der Begrundung, es sei falsch, von den Sicherheitsbehorden zu verlangen, „wie in Friedenszeiten vorzugehen, wahrend jeden Tag Blut flie?t“. Zwischen 13.000 und 30.000 Personen verschwanden von 1976 bis 1983, die meisten starben eines gewaltsamen Todes.

Zweimal der Aussage entschlagen

Franz Jalics war einer der wenigen, die verschleppt wurden und uberlebten. Der heute 85-jahrige Jesuit lebte 1976 zusammen mit seinem Mitbruder Orlando Yorio am Rande des Elendsviertels Bajo Flores in Buenos Aires als Armenpriester. Alleine das wurde von manchen als Unterstutzung der linksgerichteten Guerilla interpretiert, erinnert sich Jalics in seinem 1994 erstmals erschienenen Buch „Kontemplative Exerzitien“. Was dann passierte, beschreibt Jalics so: „Am 23. Mai 1976, einem Sonntagvormittag, umstellten 300 schwerbewaffnete Soldaten und Polizeiwagen unsere Hutte am Rand des Elendsviertels.“ Die Greifer fesselten Jalics und Yorio, stulpten ihnen blickdichte Kapuzen uber den Kopf und verschleppten sie. Funf Monate lang verbrachten die beiden mit Handschellen und einer Kette mit einer schweren Kanonenkugel am Bein in Gefangenschaft, ehe sie schlie?lich auf einem Feld ausgesetzt wurden – halb nackt und vollgepumpt mit Drogen.

Jalics, der spater nach Deutschland auswanderte und in der bayrischen Gemeinde Wilhelmsthal ein Meditationszentrum grundete, hat keinen Zweifel daran, wer ihn und seinen Freund damals verraten hat. „Eine gewisse Person“ habe „das Gerucht verbreitet“, dass er und Yorio Guerilla-Sympathisanten seien, schreibt er. Diese Person habe „mit ihrer Autoritat die Verleumdung in breiten Kreisen glaubwurdig gemacht“. Jalics habe „dem besagten Mann“ personlich gesagt, dass er auf diese Weise mit Jalics’ Leben spiele, doch vergeblich.

Jalics bewahrt die Anonymitat des „besagten Mannes“, doch Yorio, der im Jahr 2000 gestorben ist, soll gegenuber dem Journalisten Horacio Verbitsky den obersten Jesuiten Argentiniens beschuldigt haben, „nichts fur unsere Freiheit getan zu haben, sondern eher das Gegenteil“: Jorge Bergoglio. Dass er Jalics und Yorio nicht gerade wohlgesinnt war, ist dokumentiert. Eine Woche vor ihrer Entfuhrung war den beiden verboten worden, Gottesdienste abzuhalten.

Bergoglio bestreitet diese Darstellung und behauptet, er habe nur wenige Kontakte zum Regime unterhalten, diese aber dazu benutzt, die beiden Priester freizubekommen. Im Jahr 2005 brachte der Anwalt Marcelo Parrilli Anzeige gegen den damaligen Kardinal Bergoglio ein – wegen dessen mutma?licher Verwicklung in den Entfuhrungsfall. Der heutige Papst entschlug sich zweimal der Aussage. Es kam zu keiner Anklage.

Funf Jahre zuvor hatte die argentinische Bischofskonferenz unter Kardinal Bergoglio um Verzeihen fur ihr Schweigen wahrend der Diktatur gebeten, dabei jedoch auf ein Eingestandnis ihrer Verantwortung als Institution verzichtet. Die Wunden der Vergangenheit mussten sich schlie?en, damit man in die Zukunft blicken konne, erklarte die Kirche.

Das blieb nicht unwidersprochen: „Ohne Wahrheit und Gerechtigkeit gibt es keine Zukunft“, entgegnete der damalige Staatsprasident Nestor Kirchner.

Selbst wenn Jalics und Yorio von Bergoglios Komplizenschaft an ihrer Verschleppung uberzeugt gewesen sein sollten, ist das noch kein Beweis seiner tatsachlichen Schuld. Jalics schreibt in seinem Buch, er trage niemandem mehr etwas nach. Auf Anfrage von profil hie? es, Jalics sei „auf Reisen“.

Rom wusste von den Verbrechen der argentinischen Junta

Der Verdacht, Papst Franziskus habe in dieser Affare schwere Schuld auf sich geladen, bleibt, auch wenn der Vatikan dies kategorisch zuruckweist. Sicher ist, dass die argentinische Kirche – unter Bergoglios Mitverantwortung – eine Aufarbeitung ihrer Verstrickung in die Untaten der Militardiktatur bis heute nicht ernsthaft begonnen hat.

Erst vergangenes Jahr rang sich das Episkopat vor Gericht zum Eingestandnis durch, seit 1978 von der Ermordung verhafteter Regimegegner gewusst zu haben. Und auch das nur, weil das Protokoll eines Treffens zwischen hohen Kirchenvertretern und Diktator Videla an die Offentlichkeit kam, bei dem daruber gesprochen worden war. Adressat des Protokolls war der Vatikan – womit bewiesen ist, dass auch Rom von den Verbrechen der argentinischen Junta wusste.

Wenig Engagement bei der Aufarbeitung ihrer problematischen Geschichte zeigt auch die katholische Kirche in Spanien. Dort hatte sie von Beginn des Burgerkriegs 1936 bis 1975 das spirituelle Ruckgrat der Franco-Diktatur gebildet. Ein Konkordat aus dem Jahr 1953 sicherte dem Klerus Vergunstigungen und Vorrechte wie in keinem anderen Land der Welt – und dem Regime umgekehrt Einfluss auf das Glaubensleben.

„Franco besitzt jetzt das Recht auf die Designierung der Bischofe, auf besondere, seine Person einschlie?ende Gebete wahrend der Messfeiern in allen Kirchen Spaniens und auf den Titel des Proto-Kanonikus von Santa Maria Maggiore in Rom“, berichtete damals der „Spiegel“.

Im Gegenzug wurde in die spanische Verfassung ein Artikel aufgenommen, der dem Katholizismus den Status einer Staatsreligion einraumte: „Das Bekenntnis und die Ausubung der katholischen Religion, welche die Religion des spanischen Staates ist, steht unter staatlichem Schutz“, hie? es darin. „Andere Zeremonien oder au?ere Kundgebungen als die der katholischen Religion sind nicht erlaubt.“

Wahrenddessen lie?t Franco Zehntausende Oppositionelle verhaften, hinrichten und in Massengrabern verscharren – zumeist ehemalige Gegner, die wahrend des Burgerkriegs aufseiten der Republikaner gekampft hatten. Als mit ihnen aufgeraumt worden war, wandte er sich der linken Opposition zu. Rund 30.000 Kinder wurden ihren als politisch unzuverlassig geltenden Eltern weggenommen, bekamen neue Namen und wurden ausgerechnet der Kirche ubergeben.

Der Klerus schwieg und machte mit.

Erst 2007 konnte sich die Kirche zu einem zaghaften „Mea culpa“ durchringen. Das habe „in einer Sitzung der Bischofskonferenz am Montagabend viele spanische Kirchenoberen in Staunen versetzt“, schrieb die Zeitung „El Pais“ damals.

Sonderregelung fur den Klerus

Als im gleichen Jahr ein Gesetz zur Rehabilitierung der Opfer der Diktatur verabschiedet wurde, handelte der Klerus eine Sonderregelung aus. Sie verhindert „aus kunstlerischen oder religiosen Grunden“, dass die zahlreichen Symbole und Inschriften aus der Franco-Zeit, die sich immer noch auf spanischen Kirchen finden, entfernt werden mussen. Ebenfalls 2007 wurden in Rom 498 Kirchenanhanger als „Martyrer“ einer „religiosen Verfolgung“ wahrend des Burgerkriegs seliggesprochen.

2009 zerknirschten sich die baskischen Bischofe dann uber das jahrzehntelange Schweigen ihrer Vorganger zu 14 Morden wahrend des Burgerkriegs. Das betraf freilich ausschlie?lich Geistliche, die als Franco-Gegner hingerichtet worden waren. Dafur sprachen sich Katholiken und andere Konservative 2008 vehement dagegen aus, die Massengraber aus den Jahren 1936 bis 1939 zu offnen, in denen die Faschisten Zehntausende Hingerichtete verscharrt hatten. Das wurde blo? „alte Wunden offnen“, hie? es.

„Als ob keine Wunden aufgerissen werden, wenn die PP und die Bischofe zuhauf an Zeremonien zur Seligsprechung teilnehmen! Naturlich rei?t das auch Wunden auf. Aber an die Verletzungen, die Franco und die Rechten dem spanischen Volk zugefugt haben – daran darf man nicht erinnern“, argerte sich damals der 2011 verstorbene Schriftsteller Jorge Semprun in einem Interview. „Auch die Kirche hat sich immer noch nicht kritisch von ihren Positionen des Burgerkriegs distanzieren konnen. Sie sieht den Krieg immer noch als Kreuzzug.“

Es ging aber auch anders: In Paraguay zum Beispiel stellte sich die Kirche entschieden gegen Diktator Alfredo Stroessner, in Chile ging sie immer mehr in Opposition zu Augusto Pinochet. Freilich erst, als sie selbst zunehmend zum Opfer von Repressionen wurde.

Wie es auch sonst schwer ist, ein einheitliches Bild vom Verhalten der katholischen Kirche unter den Bedingungen diktatorischer Regime zu zeichnen. Nicht einmal innerhalb eines Landes. Immer gab es die Armenpriester, die wie Franz Jalics als links oder gar terrorverdachtig galten, weil sie aufseiten der Unterdruckten standen. Meistens aber auch die anderen, die klare Sympathien fur die Rechten und den Kampf gegen den Kommunismus hatten – und ebenso klare Antipathien gegen alles, was nach Befreiungstheologie roch.

Hinzu kommt die Grauzone, in der sich die Kleriker bewegten. „Wir haben alle nicht miterlebt, was es hei?t, in einer verantwortlichen Position in einer Diktatur die eigenen Leute zu fuhren und zu schutzen“, gab Georg Sporschill, Grunder des in Rumanien und Moldawien tatigen Hilfswerks „Concordia“ und selbst Jesuit, gegenuber der Austria Presse Agentur zu bedenken. „Da muss man sicher eine gewisse Nahe suchen und Zugestandnisse machen.“

Wie weit der heutige Papst Franziskus dabei gegangen sei, wisse er aber nicht, so Sporschill: „Da gibt’s Vorwurfe, aber es gibt auch die Tatsache, dass er einmal um Entschuldigung gebeten hat fur diese Nahe zur Junta. Und wenn man im Leben Fehler gemacht hat und dann um Entschuldigung bittet, ist das etwas Gro?es, und auch ein Papst kann nicht unter den ganz unschuldigen Menschen gesucht werden, sondern unter denen, die zu ihren Starken, aber auch zu ihren Schwachen stehen. Und wenn er Schwachen hatte und dafur um Entschuldigung gebeten hat, ist das mehr als menschlich und in Ordnung. Ich stell mir unter einem Papst keinen glasernen, chemisch reinen Menschen vor, sondern eben einen Menschen, der auch Fehler macht und die auch korrigiert.“

Der Vatikan wiederum verfiel rhetorisch zumindest ansatzweise wieder in die Zeit des Kalten Krieges, als er die Vorwurfe gegen Franziskus am Freitag vergangener Woche „mit aller Deutlichkeit“ zuruckwies: Die Anschuldigungen wurden „von linken Kraften“ stammen, die „der Kirche schaden wollen“, erklarte Papst-Sprecher Federico Lombardi.

Und Jalics selbst will sich offenbar nicht mehr dazu au?ern. Zur genauen Rolle Bergoglios wahrend der Zeit der Inhaftierung konne er heute keine Stellung beziehen, hie? es in einer Stellungnahme, die in seinem Namen verbreitet wurde. Er wunsche „Papst Franziskus Gottes reichen Segen fur sein Amt“.

Das ehrt den alten Mann. Franziskus darf aufatmen. Die provokante Frage des britischen Wochenmagazins „New Statesman“, ob der Papst wegen seiner Vergangenheit zu verdammen sei, kann man mit Nein beantworten. Zu viel ist unklar, es gilt die Unschuldsvermutung. Doch genau diese Unklarheit ist es, die Jorge Bergoglio selbst zu verantworten hat, ebenso wie die argentinische Kirche insgesamt.

Den Anspruch weltweit anerkannter, moralischer Autoritat kann Papst Franziskus deshalb nicht stellen. Das ist wohl die schwerste Hypothek, mit der ein Pontifikat beginnen kann.

 

 

 

 

 




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