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Amazonas-bischof Krautler: "Wir Durfen Uns Nicht in Der Sakristei Verstecken"

The Spiegel
March 25, 2013

http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/interview-mit-dem-brasilianischen-bischof-erwin-kraeutler-a-889918.html

Alternativer Nobelpreistrager und engagierter Bischof: Erwin Krautler

Er zeigt sexuellen Missbrauch an und mischt sich ein in Politik und Umweltschutz. Deshalb muss der brasilianische Bischof Erwin Krautler nach Morddrohungen unter Polizeischutz leben. Vom neuen Papst erhofft sich der Befreiungstheologe eine kompromisslose Haltung in Sachen Sexualstraftaten.

SPIEGEL ONLINE: Papst Franziskus wurde gerade ins Amt eingefuhrt. Sind Sie als brasilianischer Bischof froh, einen Lateinamerikaner auf dem Heiligen Stuhl zu sehen?

Krautler: Ich bin begeistert! Mit ist es letztlich egal, wo der Pontifex herkommt, aber Franziskus ist ein offener Mensch und ein guter Seelsorger, das lasst hoffen.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben Jorge Bergoglio mehrfach auf Konferenzen getroffen. Was ist er fur ein Mensch?

Krautler: Er ist genau so, wie er auch in der Offentlichkeit wirkt: sehr zuganglich, sehr herzlich, ein Mann ohne Beruhrungsangste, einfach und schlicht.

SPIEGEL ONLINE: Derzeit wird allerorts Franziskus' Bescheidenheit geruhmt. Kann diese ostentative Verweigerung von Pomp und Prunk nicht schnell zur Attitude verkommen?

Krautler: Nein, denn er ist ja ganz authentisch dabei. Franziskus hat immer einfach gelebt, wurde nicht umsonst der Kardinal der Armen genannt. Manchem mag die Frage um einen silbernen oder goldenen Ring am Finger des Pontifex albern vorkommen - aber eine Geste sagt manchmal mehr als alle Worte.

SPIEGEL ONLINE: Franziskus gilt als Konservativer. Wie nah oder fern ist er den liberalen Befreiungstheologen, zu denen auch Sie gehoren?

Krautler: Er engagiert sich ganz bewusst fur die Ausgegrenzten und vertritt damit eines unserer Hauptanliegen. Wenn er die Bedurftigen nicht nur als arme Hascherl ansieht, sondern fragt, welche Strukturen dafur verantwortlich sind, dass es ihnen immer schlechter und den Reichen immer besser geht, dann ist das ein Grundanliegen der Befreiungstheologie. Die Armen fallen schlie?lich nicht vom Himmel. Sie werden zu dem gemacht, was sie sind.

SPIEGEL ONLINE: Der Papst wird sich doch aber aus taktischen Grunden von keiner theologischen Stromung in der katholischen Kirche vereinnahmen lassen - schon gar nicht einer, die Basisdemokratie und Sozialismus propagiert und dafur immer wieder von Rom abgestraft wird.

Krautler: Ich will den neuen Papst gar nicht fur unsere Ziele vereinnahmen. Aber die Parallelen sind nicht zu ubersehen. Wenn er sagt, dass die Armen ein Recht haben auf ein menschenwurdiges Leben, dann wiederholt er, was schon im Alten Testament steht.

SPIEGEL ONLINE: Tatsachlich hoffen sehr viele Katholiken weltweit auf einen wirklichen Wandel in der Kirche - inhaltlich wie strukturell.

Krautler: Die Erwartungen sind hoch. Wir mussen Zeichen setzen, als Bischof tue ich das jeden Tag. Wir durfen uns nicht abkapseln und in der Sakristei verstecken. Die Kirche hat einen Auftrag in dieser Welt. In meiner Diozese kampfen wir fur die Indios, ein Volk am Abgrund, und die Rettung des Regenwaldes. Es geht nicht um eine Restauration der Kirche, sondern um eine echte Reform.

SPIEGEL ONLINE: Eine Revolution gar?

Krautler: Viele Dinge sind revolutionar, einige sagen, sogar das Evangelium (lacht).

SPIEGEL ONLINE: Wie wahrscheinlich ist ein neues Konzil?

Krautler: Gut moglich, dass sich Franziskus dazu entschlie?t, hei?e Eisen gibt es ja genug.

SPIEGEL ONLINE: Eines davon ist die skandalgebeutelte Vatikanbank IOR. Wir der Papst es schaffen, dort aufzuraumen?

Krautler: Allein ganz sicher nicht. Er ist ja auch kein Finanzexperte. Er wird sich vertrauenswurdige Fachleute suchen mussen, die ihm helfen, diesen Schandfleck zu beseitigen und zwar moglichst rasch. Es geht darum, die Verantwortlichen fur die Unregelma?igkeiten ausfindig zu machen und neue Wege fur ein moralisch einwandfreies Bankwesen zu finden.

SPIEGEL ONLINE: Bergoglio hat Anfang der neunziger Jahre einen Aufsatz geschrieben uber "Korruption und Sunde". Darin vergleicht er Bestechlichkeit mit einem langsam wuchernden Krebs, der das Herz der Fahigkeit beraubt, zu lieben und auf Vergebung zu hoffen. Korruption sei nicht verzeihbar wie eine Sunde, man konne sie nur kurieren. Wird der Papst die Kurie von der Vetternwirtschaft heilen konnen?

Krautler: Das hoffe ich sehr. Dafur ist er ja gewahlt worden. Franziskus muss die Kurie umkrempeln - und dabei ist sein Name Programm. Ich denke an die Geschichte von Franz von Assisi, der in einer verfallenen Kapelle von San Damiano betete, als Christus vom Kreuz herab ihn aufforderte: Siehst du denn nicht, wie mein Haus verfallt? Geh und stelle es wieder her!

SPIEGEL ONLINE: Sie selbst haben Kindesmissbrauch und Prostitution in Ihrer Diozese angezeigt und sich damit Todfeinde gemacht. Wie sollte Franziskus mit sexuellem Missbrauch und dem Geheimdossier zur Vatileaks-Affare umgehen, das ihm Benedikt XVI. als schweres Erbe hinterlassen hat?

Krautler: Der Papst soll es nehmen und neue Wege beschreiten. Wenn jemand Verbrechen begeht, muss er vor einem weltlichen Gericht angeklagt werden, da gibt es kein Wenn und Aber. Schlie?lich geht es um Menschenleben. Die Menschenwurde. Da muss ich sagen: So nicht!

SPIEGEL ONLINE: Was wunschen Sie sich vom neuen Papst?

Krautler: Ich erwarte eine starke Ruckendeckung fur die Arbeit in unseren kleinen Basisgemeinden. Dass die Kirche dezentralisiert wird. Es kann nicht sein, dass alles bis ins kleinste von der Kurie vorgeschrieben wird. Ich bin seit 50 Jahren in Brasilien, Sie konnen mir glauben, dass ich mich hier besser auskenne als jemand, der im Vatikan in der Schreibstube sitzt. Was ich hier erledigen kann, sollte ich selbst machen. Wir sind ja keine Filiale, sondern eine Schwesterkirche!

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie eine Idee, wer Staatsekretar im Vatikan werden konnte?

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Krautler: Keine Ahnung, ich bin ja sehr weit weg von Rom.

SPIEGEL ONLINE: "Am Ende der Welt", wie Franziskus nach seiner Wahl sagte.

Krautler: Ach, manchmal kommt mir Europa vor wie das Ende der Welt.

 

 

 

 

 




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