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Die Hohen Erwartungen Der Deutschen an Franziskus

By Gernot Facius
Die Welt
April 1, 2013

http://www.welt.de/politik/ausland/article114914110/Die-hohen-Erwartungen-der-Deutschen-an-Franziskus.html

Papst Franziskus bei der Ostermesse in Rom: Die Erwartungen vieler deutscher Katholiken liegen auf Reformen

Kardinal Reinhard Marx und Kardinal Rainer Maria Woelki (r.) in Rom Mitte März über ihre Einschätzung nach Wahl von Papst Franziskus

"Hofstaat-Gehabe": Katholiken im ganzen Land legen ihre Zurückhaltung ab und diskutieren über einen radikalen Richtungswechsel im Vatikan. Die Hoffnungen sind groß. Das gefällt jedoch nicht allen.

Kardinal Karl Lehmann (76) hat als rom-erfahrener Theologe ein sicheres Gespür für Veränderungen. Wo immer er in diesen Tagen hinkommt, sagt Lehmann: "Ich erwarte spannende Wochen."

Die Veröffentlichung der Brandrede von Papst Franziskus (76) im Vorkonklave, in der der neue Mann auf dem Stuhl Petri alle Formen klerikaler Eitelkeit, die "Selbstbezogenheit" und den "theologischen Narzissmus" seiner Kirche geißelte, befeuert im deutschen Katholizismus die Diskussionen über einen möglichen radikalen Richtungswechsel im Vatikan.

Die Zurückhaltung ist gebrochen

Sie weckt neue Hoffnung auf Reformen. Über ihre Unzufriedenheit mit der römischen Kurie, die sich immer mehr zwischen die nationalen Bischofskonferenzen und den Papst gedrängt hat, haben deutsche Bischöfe bislang meist nur hinter vorgehaltener Hand geredet.

Diese Zurückhaltung hat nun ein Ende, ein Tabu ist gebrochen, bei Lehmann und anderen Hirten der Kirche. Als dringlich bezeichnet der Münchener Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx (59), eine "Erneuerung" der Kurie: "Ein neues Vertrauen muss da sein - sowohl innerhalb der Kurie als auch zwischen den Bischöfen und der Kurie."

In Interviews sprach Marx von einem schädlichen "Hofstaat-Gehabe" im Apparat des Pontifex. So deutlich hatte sich bis dahin noch kein Purpurträger aus der Heimat des emeritierten Papstes Benedikt XVI geäußert.

Realistische Hoffnung auf Reformfortschritte

Der Erwartungsdruck ist groß. Die Bischöfe und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), das oberste Laien-Gremium, haben in den vergangenen Monaten manchen Strauß miteinander ausgefochten, doch diesmal sind sie sich einig: Unter dem neuen Pontifikat bestehe eine realistische Hoffnung auf Reformschritte und mehr Kollegialität in der Kirchenführung.

Ihr Optimismus gründet unter anderem auf einem programmatischen Interview, das Franziskus als Erzbischof von Buenos Aires vor fünf Jahren dem italienischen katholischen Magazin "30 Giorni" (30 Tage) gegeben hatte und das in diesen Tagen in Ordinariaten und Büros der katholischen Verbände von Hand zu Hand geht.

"Man bleibt nicht gläubig, wenn man wie die Traditionalisten oder die Fundamentalisten am Buchstaben klebt", gab der damalige Kardinal Jorge Mario Bergoglio zu Protokoll. "Treue ist immer Änderung."

Aus sich selbst herauszugehen bedeute auch, aus dem, Garten seiner eigenen Überzeugungen hinauszugehen. In der Deutschen Bischofskonferenz kommt man deshalb zu dem Schluss, unter Papst Franziskus werde es in der Glaubensverkündigung und der Liturgie Kontinuität geben, aber einen Wandel in den Methoden, einen neuen Stil.

Mehr Entscheidungsspielraum für Bischofskonferenzen

ZdK-Generalsekretär Stefan Vesper (57) sieht, wie er der "Welt" sagte, sogar eine "große Chance für eine wirksame Kurienreform". Franziskus werde allerdings "Schritt für Schritt" vorgehen: "Warten wir ein, zwei Monate, dann werden wir das Ausmaß der Veränderungen erkennen können."

Konkret erwartet Vesper, dass den einzelnen Bischofskonferenzen mehr Entscheidungsspielraum zugestanden wird. Der ZdK-Generalsekretär kündigte an, dass die bekannten Reformforderungen - Nachdenken über den Zölibat, die Stellung der Frau in der Kirche, die Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene und eine stärkere Mitwirkung der Laien - auf der Agenda beiben: "Es sind ja nicht nur deutsche Forderungen, wir sind nur manchmal etwas lauter; wir sollten aber nicht überheblich sein."

Die von Papst Franziskus verlangte stärkere Hinwendung der Kirche zu den Armen wird nach Vespers Meinung auch im deutschen Katholizismus mit seinen großen Hilfswerken zu weiteren Veränderungen im Denken führen.

Kirche für alle, nicht für alles

In den Osterpredigten ist das schon zum Ausdruck gekommen. Kardinal Marx, der Sozialethiker, kritisierte den "ungezügelten Finanzkapitalismus", sein Berliner Amtsbruder Rainer Maria Woelki (56) forderte die Kirche auf, sich intensiver mit dem eigenen Reichtum auseinander zu setzen, und der Episkopatsvorsitzende, Erzbischof Robert Zollitsch (74), thematisierte "die wachsende Armut, gerade in den Großstädten".

Es zeigt sich, dass die Kategorien von "konservativ" und "progressiv" nicht mehr so recht greifen. Der Kölner Erzbischof, Kardinal Joachim Meisner (79), knüpfte an die Warnung des Papstes vor einer zu starken Beschäftigung der Kirche mit sich selbst an und plädierte für eine "Kirche für alle, aber nicht für alles".

Für Verstimmung unter den Gläubigen sorgte allerdings Meisners Absage an den in der Bischofskonferenz vereinbarten Dialogprozess auf der Ebene seiner Erzdiözese. Offiziell wurde dieser Schritt mit Terminnöten und der Konzentration auf den im Juni in Köln stattfindenden Eucharistischen Kongress begründet. Der Kardinal hatte jedoch seine Skepsis gegenüber diesem bundesweiten Vorhaben nie verhehlt, er vermutete eine zu starke Fokussierung auf Strukturfragen. Durch die wiederholten Warnungen des neuen Pontifex vor einer "Selbstbezogenheit" der Kirche fühlte er sich offenbar in seiner Haltung bestärkt.

"Wir sind Kirche" ist noch zurückhaltend

Freundlich im Ton, aber vorerst auffallend zurückhaltend gegenüber seinen theologischen Positionen hat sich die amtskirchenkritische Gruppierung "Wir sind Kirche" zu Papst Franziskus geäussert. Sie wünscht sich neben einem neuen Verständnis des Priestertums eine "erneuerte Morallehre, vor allem bezüglich der Empfängnisverhütung und Homosexualität".

Die Zurückhaltung ist verständlich. Denn der Pontifex hat in der Frage der "Homo-Ehe", über die gegenwärtig in Deutschland besonders heftig gestritten wird, stets eine klare Position eingenommen. Er nannte sie eine "Intrige des Vaters der Lügen", sprich des Teufels. Aber noch halten sich die ungeduldig auf Reformen drängenden Katholiken mit offener Kritik am neuen Kirchenoberhaupt zurück.

Piusbrüder sehen Franziskus kritisch

Anders die Traditionalisten der Priesterbruderschaft St. Pius X. Sie sind vorerst die einzigen, die ihren Unmut über den neuen Pontifex lautstark äußern. "Quo vadis, Francisce?" heißt es auf ihrer deutschen Webseite. Anstoß genommen wird am Inhalt der Rede des Papstes vor Repräsentanten nichtkatholischer Kirchen, des Judentums und des Islam.

Die Piusbrüder wenden sich nicht direkt gegen einen interreligiösen Dialog, aber sie vermissen bei Franziskus den Mut, die entscheidende Frage zu stellen: "Ist Jesus Christus der Messias für alle Menschen oder nicht?" Franziskus habe "diplomatisch die Klippen umschifft", indem er nur vom brüderlichen Dialog gesprochen habe, nicht aber von der Anerkennung Christi.

Der Dialog zwischen der Piusbruderschaft und dem Vatikan ist trotz aller neuen Spannungen nicht beendet, aber die Chancen für eine mögliche Rückkehr dieser Traditionalistengruppe in die Kirche sind offenbar weiter gesunken.

Die Piusbrüder haben sich bislang geweigert, die ihnen vorgelegte "dogmatische Präambel" zu unterzeichnen, sie ist aber die Vorbedingung für die volle Gemeinschaft mit Rom.

"Jeder Papst muss darauf bestehen, dass alle Konzilien als Ausdruck des höchsten kirchlichen Lehramtes anerkannt werden", hat der Präfekt der Glaubenskongregation, Erzbischof Gerhard Ludwig Müller (65) bekräftigt. Und dazu gehörten auch das von den Piusbrüdern attackierte Zweite Vatikanische Konzil und die nachfolgenden Äußerungen des Lehramtes: "Wer das nicht anerkennt, ist kein Katholik."

"Entweltlichung" heißt nicht Rückzug

Der Deutsche in der Rolle des obersten Glaubenswächters gab über die Katholische Nachrichtenagentur den Gläubigen in der Heimat eine Antwort auf die heiß diskutierte Frage, was mit der Forderung von Papst Franziskus gemeint ist, die Kirche müsse der weltlichen Logik entsagen.

Das Wort "Entweltlichung", von Benedikt XVI während seines Deutschlandbesuchs 2011 in die Diskussion eingeführt und jetzt von seinem Nachfolger aufgenommen, dürfe "nicht falsch ausgerichtet werden im Sinne einer Idealisierung der Kirche, die nur noch eine unsichtbare Kirche, eine Gesinnungsgemeinschaft sein will". Bei "Entweltlichung", so der Erzbischof, könne es nicht um einen Rückzug gehen: "Sie ist Voraussetzung und nicht Gegensatz zur Weltverantwortung der Kirche Gottes."




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