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Salzburger Heimkinder-Studie: Abschiebung Gegen Den Willen Der Eltern

Salzburg 24
April 17, 2013

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Betroffene waren oft der Willkür der Begutachtungsstellen ausgeliefert

Schläge, Essensentzug, sexuelle Übergriffe, tagelange “Haft” im “Besinnungskammerl”: Fast drei Jahre lang haben sich drei Historiker der Universität Salzburg im Auftrag des Landes mit dem Thema Demütigung, Gewalt und Missbrauch in der Heimerziehung der Salzburger Jugendwohlfahrt auseinandergesetzt und am Mittwoch das Ergebnis in Buchform präsentiert.

Die Studie – mehr als 470 Seiten stark – durchleuchtet dabei die Situation fremduntergebrachter Kinder und Jugendlicher in Salzburg in der Zeit nach 1945. Bis in die 1970er Jahre hinein waren im Bundesland ständig von 1.200 bis 1.500 Personen von einer der im Jugendwohlfahrtsgesetz vorgesehenen Maßnahmen betroffen. Dabei gab es in Salzburg kein einziges öffentliches Erziehungsheim: Kinder wurden in Heime in andere Bundesländer, nach Bayern oder in kirchliche Einrichtungen geschickt. “Kilometertherapie”, nannte man das laut dem Salzburger Universitätsprofessor und Studienautor Robert Hoffmann damals. “Je weiter weg, desto besser.

Heimkinder waren Willkür ausgesetzt

Nicht immer war dabei eine reale Gefährdung Anlass, Kinder ihren Familien zu entziehen. Betroffene waren oft der Willkür der Begutachtungsstellen ausgeliefert. Als schwer erziehbar galt, wer Schule schwänzte, Kaugummi aus Automaten stahl oder als Mädchen einen Freund hatte. Die Diagnose “Verwahrlosung” reichte aus, um Kinder und Jugendliche für Jahre aus ihrer Familie zu reißen und in Erziehungsheime abzuschieben. “Es waren fast ausschließlich Kinder und Jugendliche aus sozial unterprivilegierten Familien, die vom Erscheinungsbild nicht den bürgerlichen Vorstellungen entsprachen”, so ein Resümee Hoffmanns.

Ohnmacht und Hilflosigkeit der Betroffenen

“Ohnmacht und Hilflosigkeit verfolgt die Betroffenen bis heute”, erklärte auch Studienautorin Christina Kubek. “Und in den Köpfen der Menschen waren Heimkinder Kriminelle.” Solidarität unter den Betroffenen war selten. “Das Regime der Gewalt von oben setzte sich auf die Kinder durch. Freunde waren selten und waren auch nicht gewünscht.” Viele Betroffene hätten sich – schwer traumatisiert – nach der Zeit im Heim mühsam neu orientieren müssen, manche sogar das Leben genommen.

Historiker stellen Ursachen dar

“Wichtig war uns, sich auch die Ursachen und die Verantwortungskette im Hintergrund anzusehen”, so Universitätsprofessorin Ingrid Bauer. Dabei hätten vor allem die übergroße Verfügungsgewalt und die fehlende Kontrolle großen Schaden angerichtet. “Die Missstände in manchen Heimen waren durchaus bekannt, aber die Behörden konnten wegen dem drastischen Personalmangel ihren Aufgaben nicht nachkommen.” Jugendwohlfahrt habe damals kein Prestige gehabt und galt als unattraktiv. Aus Kostengründen – weil voll vom Land finanziert – wurde auch vielfach die schärfste Maßnahme in der Jugendwohlfahrt, die sogenannte Fürsorgeerziehung, angewendet. „Fast immer gegen den Willen der Betroffenen und auch der Eltern.”

Umdenken in den 1970er Jahren

Erst Mitte der 1970er Jahre sei es zu einem allmählichen Umdenken gekommen. Heute gibt es in Salzburg kein einziges Heim, dafür stehen im Bundesland in bald 27 sozialpädagogisch betreuten WGs rund 350 Plätze für Kinder und Jugendliche zur Verfügung.

Land zahlt rund 200.000 Euro an Entschädigung

Das Land Salzburg richtete für Betroffene im Herbst 2010 übrigens eine Anlaufstelle ein. Insgesamt meldeten sich 65 Personen, in insgesamt 15 Fällen hat das Land bereits mehr als 203.000 Euro Entschädigung (inkl. Kosten für Psychotherapie) ausbezahlt. Derzeit läuft gerade die Freigabe von weiteren 61.500 Euro für fünf weitere Betroffene. “Wo das Land Schuld auf sich geladen hat, stellt es sich seiner Geschichte und versucht durch eine freiwillige Entschädigung zumindest einen kleinen Teil seiner Fehler wieder gut zu machen”, sagte der Salzburger Soziallandesrat Walter Steidl (S) bei der Präsentation der Studie und entschuldigte sich im Namen des Landes offiziell bei allen Betroffenen. Er stellte ehemaligen Heimkindern auch die Möglichkeit einer Akteneinsicht mit professioneller Begleitung in Aussicht.

Folgestudie an der Uni Salzburg

Steidl will die Universität Salzburg nun mit einer Folgestudie beauftragen. „Auch bei der Unterbringung von Kindern in Pflegefamilien gab es Missstände. Salzburger Kinder wurden in Familien geschickt, die in keiner Weise für eine Fürsorge geeignet waren und als billige Arbeitskräfte in Landwirtschaft und Fremdenverkehr ausgenutzt. Auch dieser schwarze Fleck der Geschichte muss ordentlich ausgearbeitet werden.” (APA)




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