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"Ideale" Strukturen Fur Missbrauch

der Standard
April 26, 2013

http://derstandard.at/1363709326520/Kloester-Ideale-Strukturen-fuer-Missbrauch

Welche Faktoren in Klostern Vergewaltigungen und Unterdruckung geradezu fordern

Zwei Schadensersatzprozesse gegen das Kloster Mehrerau in Bregenz haben Strukturen zutage gefordert, die geradezu ideal sind fur einen Menschen, der Kindern prugeln, missbrauchen und vergewaltigen will.

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Ein geschlossenes System bindet die Opfer von allen Seiten und weist ihnen selbst Schuld zu. Die beiden Manner wurden in den 1970er- und 1980er-Jahren vom selben Monch, Pater J. B., schwer vergewaltigt. Es handelt sich um den ersten Zivilprozess dieser Art, der in Osterreich gegen einen Orden gefuhrt wird.

Was der Prozess zutage brachte

1967 misshandelte B. ein Kind sexuell und wurde dafur verurteilt. Das war dem Kloster bekannt. Im Jahr darauf wurde er dennoch Lehrer an der Klosterschule. Wie aus den Zeugenaussagen zu erfahren war, prugelte B. in den Folgejahren Schuler „vor dem Speisesaal zu Boden". Einer der Klager wurde uber drei Jahre vergewaltigt. Mindestens eines seiner Opfer aus dieser Zeit beging spater Selbstmord. Die Klosterhierarchie schien mit seiner Arbeit zufrieden, 1981 wurde er zum Internatsleiter befordert. Schon kurz darauf vergewaltigte er den zweiten Klager, der sofort aus dem Kloster fluchtete. Brunos Eltern stellten daraufhin den damaligen Abt zur Rede und verzichteten auf eine Strafanzeige, weil sie Zusicherungen bekamen: B. wird nie wieder mit Kindern arbeiten, er wird in Therapie gehen, suspendiert und darf keine Messen mehr lesen. Vier Monate spater war B. Pfarrer und Religionslehrer im benachbarten Tirol.

"Kinderlieferservice"

Und nun das schier Unfassbare: Nachdem nun 1982 alles aufgeflogen war bekam B. weiterhin regelma?ig Besuch aus Bregenz. Einmal im Jahr kam die Mehrerauer Pfadfindergruppe auf Besuch in seinem neuen Wirkungsbereich. Pfadfinderleiter war damals Pater A., ein bekennender Nationalsozialist, der die Tugenden der Wehrmacht im Firmunterricht nicht genug wurdigen konnte. Dieser Mann liefert jeden Sommer eine Gruppe Kinder frei Haus an B.

Solidaritat mit den Opfern

Nachdem das alles in den Prozessen bekannt geworden war, drehte sich die Stimmung in Vorarlberg merklich. Zu Beginn der Prozesse waren sich viele im Land, mit denen ich sprach, noch sicher, die beiden wollten "doch eh nur abzocken". Die Brutalitat der Schilderungen im Gericht, das schiere Ausma? des Verbrechens machten es fur das Kloster und seine UnterstutzerInnen unmoglich, die Sache weiter totzuschweigen. Die Solidaritat der Menschen mit den Opfern nahm zu. Wer die Klager pauschal beschimpfte, hatte mit Gegenrede zu rechnen. Ein System war sichtbar geworden, das Gewaltverbrecher in Machtpositionen spult, ihre Taten fordert, vertuscht und ihnen ihre Opfer zufuhrt.

Infrastrukturelles: geschlossenes System

Ein Kloster ist meiner Meinung nach ein ideales Beispiel fur ein Umfeld, das die Taten eines Vergewaltigers fordert. Schon baulich ist es ein geschlossenes System mit Mauern, Zaunen und einem Respektabstand zum Laien. Der Informationsfluss ist kontrollierbar und die einzige Kontrollinstanz ist der Abt, der absolutistische Herrscher der Infrastruktur. B., dessen einschlagige Verurteilung und dessen Sadismus bekannt waren, bekam von diesem Herrscher: ein paar Klassen voller Kinder; viel Platz und verborgene Raume; den institutionellen Auftrag, ein Auge auf die Kleinen zu haben; die Verletzlichen zu identifizieren; die Macht, sie mit Sanktionen zu belegen. Vor allem aber bekam der Tater vom Abt klare Hinweise darauf, Kindesmissbrauch sei im Kloster kein Problem. Schlie?lich tat er das haufig und wurde dennoch zum Internatsleiter befordert, wo er noch viel bessere Bedingungen vorfand als zuvor als Lehrer.

Doch ein von innen geschlossenes System genugt noch nicht, um den Tater vollkommen zu schutzen. Das misshandelte Kind ist doppelt gebunden. Die Menschen au?erhalb sehen im Orden nicht nur einen wichtigen Wirtschaftsfaktor der Stadt, sondern auch einen Ort der Einkehr, einen Ort der Moral, einen spirituellen Ort. Das Kloster genoss einen Status der Heiligkeit, der Abt galt als eine moralische Instanz. Das Kloster durfte nicht "beschmutzt" werden.

Den Opfern wird nicht geglaubt

Ein sexuell misshandeltes Kind, das seiner streng klosterglaubigen Familie erzahlen will, dass es misshandelt wurde, hat einen schweren Stand. Es ist nicht die Ausnahme, es ist die Regel, dass den Opfern nicht geglaubt wird. Auch das ist eine Kindesmisshandlung. Der Versuch, ja, schon der Wunsch zu erzahlen geht immer mit der Gefahr neuer Traumatisierungen einher. Eltern, die ihrem Kind glauben, wagen oft kaum, nach au?en zu gehen, weil sie sich und ihr Kind „der Schande aussetzen". Was sagen denn da die Nachbarn?

Bei Opfern von Sexualdelikten ist regelma?ig zu erkennen, wie sie bei sich selbst Schuld suchen. Sie selbst konnen und wollen sich ihre damalige Machtlosigkeit gar nicht mehr vorstellen. "Irgendwie hab ich den doch sicher provoziert." Damit arbeiten auch die Tater. Die Schuld soll auf die Opfer ubergehen.

System Familie

Das Kloster ist ein Beispiel fur Vergewaltigungsinfrastruktur, aber es ist nicht die einzige. Es gibt noch weitere „heilige" Institutionen, andere geschlossene Systeme. Die meisten Tater sind keine Monche, diese haben aber ein weltweit agierendes, seit 1.000 Jahren erprobtes Vertuschungsnetzwerk und Taterschutzsystem auf ihrer Seite. Die meisten Taten geschehen im geschlossenen System Familie. Es sind Onkel oder Tanten, befreundete Babysitter, Mamas neuer Freund, Omas und Opas. Einrichtungen wie Kloster geben uns die Moglichkeit die Tater als „Psychopathen" und „Kranke" zu denken und zu leichte Erklarungsmuster zu finden, weil es dann eben der "Zolibatare" ist. Damit bringt man die Illusion von Distanz zwischen sich und den Kindesmissbrauch. Mit Begriffen wie "Cousin" oder "Taufpate" ruckt das hingegen ganz nah heran. Am Beispiel der Kloster konnen wir aber lernen, Strukturen zu identifizieren, die Tater unterstutzen. Lernen von den Besten.

Klager statt Opfer

Fur beide Klager im Fall Mehrerau war der Prozess ein extrem schwieriger Weg. Sie mussten sich all das wieder in Erinnerung rufen und erzahlen, was sie so viele Jahre in sich vergraben hatten. Doch jetzt haben sie ihre Position verandert, Klager statt Opfer. Und sie haben noch mehr erreicht. Es ist heute sicherer fur ein missbrauchtes Kind, sich an jemanden zu wenden, denn im Verlauf der Prozesse hat sich die Stimmung geandert, das Blatt hat sich langsam aber kontinuierlich gewendet. (Leserkommentar, Markus Wachter, derStandard.at, 24.4.2013)

Markus Wachter (36) ist Journalist und Blogger und verfolgte den Prozess zu Mehrerau intensiv mit. Er lebt heute in den Niederlanden. Die Berichterstattung des STANDARD zu dem Fall finden Sie hier.

 

 

 

 

 




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