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Keine Erklarungen Vom Aufklarer

Christoph Fleischmann
June 18, 2013

http://www.christoph-fleischmann.de/pages/de/archiv_zum_lesen/rezensionen/977.htm

Klaus Mertes will "Verlorenes Vertrauen" fur die Katholische Kirche zuruckgewinnen.

Vor zweieinhalb Jahren, ein Jahr nach Aufdeckung der Missbrauchsfalle am Berliner Canisius-Kolleg, gab Klaus Mertes gegenuber dem WDR einen – freilich sehr kurzen – Einblick in die Verfassung seines Ordens und seiner eigenen Gemutslage:

"Da muss noch einiges geklart werden, fur mich auch", so Mertes damals, "das betrifft ja auch mein Verhaltnis zu Mitbrudern der Generation, von der Sie grad gesprochen haben, also insofern hab ich selbst nochmal ein existenzielles Interesse daran. Ich muss ja nochmal mit den Mitbrudern, die damals Verantwortung trugen, die fur mich auch personlich was bedeuten, heute nochmal in die Augen blicken und fragen: was hast Du gewusst. Oder vielleicht habe ich auch das Gefuhl, dass ich belogen worden bin von einigen."

Wer nun erwartet, dass Mertes diesen Prozess des Umgangs mit der Schuld im eigenen Orden und die daraus folgenden Konsequenzen in seinem aktuellen Buch thematisiert, der wird enttauscht. Dazu findet sich nichts – obwohl Mertes das erste Viertel des Buches der personlichen Geschichte mit dem Missbrauchsskandal widmet. Dort wiederholt er vieles, was schon oft von ihm zu horen war; unter anderem, dass es zwischen ihm und den Opfern kein Wir gebe, sondern dass er auf der »Taterseite« fur die Institution habe Verantwortung ubernehmen mussen. Zwar gibt Mertes in einer Fu?note zu erkennen, dass er wei?, dass diese Positionierung fur viele Missbrauchsopfer unverstandlich war und ist, aber letztlich gibt er sie nicht auf. Er will loyal sein zum Orden und zu seiner Kirche, und tritt den Opfern damit gegenuber:

"Beim Thema Kirche kam es fur mich ebenfalls nicht in Frage, den Opfern das Gegenuber zu verweigern, indem ich mit dem Finger auf die Kirche zeige. Das konnen Au?enstehende vielleicht tun. Ich gehore zur Kirche und reprasentiere sie als Getaufter und speziell auch als kirchlicher Amtstrager." (43)

Man konnte das auch anders sehen: Mertes selber nimmt die Missbrauchsopfer, die in der Kirche weiter eine Heimat sehen, dafur in Anspruch, dass seine Kirche auch eine Kirche der Armen und Gewaltopfer sei. Aber die Losung von der Kirche der Armen hei?t fur ihn nicht, dass er als Christ unzweifelhaft an die Seite der Armen und Geschadigten gehort, auch wenn ihm das Stress mit Orden und offizieller Kirche einbringt.

Zwar ist Mertes kein Leisetreter, er fordert vieles ein, was man als liberaler Katholik so fordert: Abbau von hierarchischen Machtstrukturen, eine Sexualmoral ohne Zwang zur Heimlichtuerei, keine Ausgrenzung von Homosexuellen – alles schon und gut. Nur ist es wenigstens unsensibel, fur dieses Reformprogramm die Missbrauchsopfer als Argumentationsverstarker zu verwenden. Die wollen Anerkennung ihres Leides, vielleicht sowas wie Gerechtigkeit, aber ihr Interesse ist nicht eine Kirchenreform der treuen Anhanger des Zweiten Vatikanums.

Die Erfahrungen von massenhaftem Missbrauch stellt aber wohl Fragen an den kirchlichen Umgang mit Schuld. Die Kirche sieht die Menschen zuerst als Sunder, fur die sie Vergebung bereithalt, aber sie sieht sie selten oder nie als Opfer, die nicht Vergebung brauchen, sondern nach Gerechtigkeit verlangen. Und die spannende Frage ware, ob – und wenn ja wie – man beides glaubwurdig miteinander vermitteln kann. Aber auch dazu kein Wort bei Mertes, denn dann hatte er ja auch vom Umgang mit den Tater-Brudern im eigenen Orden und den Forderungen der Opfer reden mussen, denen gegenuber der Jesuiten-Orden wohl einen gewissen Abschluss gefunden aber beileibe kein Musterbeispiel fur einen Versohnungsprozess gegeben hat.

Mertes halt sich damit nicht auf, er schaut nach vorn und glaubt, die Kirche konne nun dem staunenden Publikum eine Lektion geben, wie man Vertrauen schaffe:

"Dass die Kirche mit ihrer Vertrauenskrise vor den Augen der Welt derzeit so unattraktiv dasteht, konnte ein Auftrag Gottes an die Kirche sein – ein „Zeichen der Zeit“, eine Gelegenheit, der Welt zu zeigen, wie Vertrauen neu werden kann. Diese Orientierung braucht die Welt tatsachlich auch fur ihre eigenen Probleme, die sie belasten und zerrei?en." (17f.)

Statt Aufarbeitung, was da eigentlich passiert ist die letzten drei Jahre, ob man den Opfern der Missbrauchstaten gerecht geworden ist, verbreitet Mertes Argumente fur ein selbstbewusstes Katholischsein. So ist sein Buch wohl ein unfreiwilliger Beleg dafur, dass auch der liberale Katholizismus bisher keine uberzeugende theologische Antwort auf den massenhaften Missbrauch im Raum der Kirche geben kann.

Klaus Mertes, Verlorenes Vertrauen. Katholisch sein in der Krise, Herder Verlag, Freiburg 2013, 224 Seiten, 19,99 ˆ.

 

 

 

 

 




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