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Blick in Eine Dustere Zeit

Evangelische Hochschule
June 26, 2013

http://www.eh-freiburg.de/news-detail/blick-in-eine-duestere-zeit/295


Alarmiert vom Bekanntwerden von Misshandlungs- und Missbrauchsfällen in den 50er und 60er Jahren, hat der Vorstand der Johannes-Diakonie Mosbach eine Aufarbeitung der Vorkommnisse an den beiden Komplexstandorten Mosbach und Schwarzach beauftragt. Das Sozialwissenschaftliche FrauenForschungsInstitut (Soffi) an der EH Freiburg hat das Vorkommen physischer und sexueller Gewalt und den Umgang damit untersucht. Dabei wurden auch die strukturellen Rahmenbedingungen in den Johannes-Anstalten und der Alltag der Bewohnerinnen und Bewohner sowie der Mitarbeitenden rekonstruiert. Der Abschlussbericht dieser historischen Aufarbeitung liegt nun vor.

Prof. Dr. Cornelia Helfferich, Michael Kramer und Beate Massell führten dazu 32 Interviews mit (ehemaligen) Heimbewohnerinnen und Heimbewohnern und weitere zwölf Interviews mit (ehemaligen) Mitarbeitenden. Dabei entstand ein klares Bild der damaligen Verhältnisse, auch wenn nur wenige schriftliche Dokumente zu dieser Aufarbeitung herangezogen werden konnten. Die Interviews zeigen, dass es in den Johannes-Anstalten wie in anderen Einrichtungen ähnlicher Art Gewalt gab.

Die Mitarbeiterschaft bildete damals eine Notgemeinschaft aus Flüchtlingen, Entnazifizierten, Menschen in verschiedenen Notlagen sowie nur wenig Fachkräften und Diakonissen. Ihre Bezahlung war schlecht, es herrschte eine starre Hierarchie. In diese „totale Institution“, in diese Welt für sich, hatten sich Menschen mit Behinderung widerspruchslos einzufügen. Übergriffe verschiedenster Art – von Mitarbeitenden gegen Bewohner aber auch innerhalb der Bewohnerschaft – waren in diesem Klima unvermeidlich. Als Problem sahen die Wissenschaftler auch an, dass in der Nachkriegszeit viele „Sozialwaisen“ aufgenommen wurden, die keine oder nur eine geringe Behinderung aufwiesen.

Auch wenn nicht alles schlecht war in dieser Zeit und Zeitzeugen auch von fröhlichen, unbeschwerten Erlebnissen sprechen, konnten die Soffi-Mitarbeiter in den Interviews verschiedene Formen von Gewalt herausarbeiten: Körperliche, psychische und sexuelle Gewalt gab es ebenso wie Fixierung, Sedierung und die heimliche Verabreichung von Psychopharmaka. Erst mit den veränderten Rahmenbedingungen in den 1970er Jahren, die rechtlich, baulich, strukturell und personell positive Entwicklungen brachten, verbesserte sich die Gesamtsituation. In den 1990er Jahren fand in der heutigen Johannes-Diakonie eine generalisierende Thematisierung von Gewalt statt, die Auflösung der Gruppenleiterstrukturen Ende jenes Jahrzehnts sorgte weiter für mehr Transparenz und Durchlässigkeit in den Wohnbereichen. Dennoch will Vorstand Jörg Huber auch heute keine „Entwarnung“ geben. „Ein hundertprozentiges gewaltfreies Miteinander wird es realistisch gesehen nicht geben.“

Klar sei jedoch, so die Verantwortlichen, dass heute bei den Mitarbeitenden keinerlei Form von Gewalt toleriert werde. Diese würden im Umgang mit dem Thema fort- und weitergebildet und auch die Bewohnerinnen und Bewohner werden sensibilisiert und geschult. Offen und transparent wolle man mit der Thematik umgehen, so Vorstandsvorsitzender Dr. Hanns-Lothar Förschler. Ganz so, wie es in der abschließenden Empfehlung der historischen Aufarbeitung des Freiburger Sozialwissenschaftlichen FrauenForschungsInstituts heißt. „Uns ist es ein Anliegen, auch aus diesem Anlass einmal zu sagen: Es tut uns leid, wir entschuldigen uns bei den Opfern!“, so Förschler.

Quelle: Pressemitteilung der Johannes-Diakonie Mosbach vom 4. Juni 2013, mit freundlicher Genehmigung der Johannes-Diakonie Mosbach




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