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Missbrauch: Wien Ist Anders

der Standard
June 26, 2013

http://derstandard.at/1371169864574/Missbrauch-Wien-ist-anders

Der kirchliche Missbrauchsskandal wird hierzulande, anders als in Irland, nie aufgearbeitet werden

Promt nach der Veroffentlichung des Endberichts der Kommission Wilhelminenberg ("Helige-Kommission") reagierte, wie erwartet, die Wiener Opposition: OVP-Landesparteiobmann Manfred Juraczka zeigte sich "erschuttert" uber das Ausma? der Vorfalle, und FPO-Chef Strache emporte sich uber nun angeblich nachgewiesene Vertuschung "von oben".

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Das Dokument selbst zeugt von einem aufrichtigen Versuch, aufzuklaren. Der Leser dieses 344 Seiten starken Berichts kann sich zweifelsohne von dem, was sich zwischen 1948 und 1977 im Wiener Kinderheim abspielte, ein lebendiges Bild machen, und zwar aus sachlichem, geschichtlichem, juristischem sowie medizinischem Blickwinkel. Insbesondere das einleitende Kapitel "Das Leben im Kinderheim" liefert einen Einblick in einen Alltag, den niemand heutzutage guthei?en wurde.

Zahlreiche Exkurse runden das Bild ab und zeugen vom Bestreben, keine weiterfuhrenden Fragen unbehandelt zu lassen. Kritisch zu sehen ist, dass die Helige-Kommission von der Stadt Wien, die ja fur das Heim verantwortlich zeichnete, eingesetzt wurde; wunschenswerter ware eine staatliche Untersuchungskommission, die ihr Dasein auf ein entsprechendes Gesetz zuruckfuhren konnte. Aber immerhin: Aus rechtsstaatlicher Sicht qualifiziert die Gebietskorperschaft Wien als offentliche und daher neutrale Auftraggeberin. Gerade noch. Und gut kommt Wien in diesem Bericht keineswegs davon.

Dublin zeigt den Weg

Nachdem sich im erzkatholischen Irland wahrend der neunziger Jahre Geruchte und zunehmend auch Berichte uber weit verbreitete padokriminelle Aktivitat in uberwiegend kirchlichen Jugendeinrichtungen hauften, wurde dort im Jahr 1999 die erste staatliche Untersuchungskommission ins Leben gerufen. Diese laborierte neun Jahre lang und lieferte ein wahres Monsterwerk, den sogenannten Ryan-Bericht, zum Thema "Kindesmissbrauch seit 1936".

Parallel zu dieser Kommission wurden auch weitere gegrundet, um Licht in besonders dunkle Nischen der irischen Gesellschaft beziehungsweise Geschichte zu werfen. Begleitet wurde die Arbeit dieser stets offentlichen Kommissionen von einem lebhaften gesellschaftlichen und politischen Diskurs, der sich auch mit der systematischen kirchlichen Vertuschung - in Irland sowie in Rom - auseinandersetzte und gar zu einem Kopferollen - in der Politik sowie in der Kirche - fuhrte. In Irland kann nun die Aufarbeitung so gut wie abgeschlossen betrachtet werden.

The Austrian Way

Osterreich ist aber anders. Nicht in jeder Hinsicht naturlich: Osterreich ist, sowie Irland, katholisch gepragt und auch hierzulande konnten "Wurdentrager" mit padophilen bzw. sadistischen Neigungen jahrzehntelang ihre Fantasien unbehelligt Realitat werden lassen. Anders als in Irland hat aber der osterreichische Staat, milde formuliert, noch lange nicht verinnerlicht, dass er jahrzehntelang als Erfullungsgehilfe gedient hat.

Ganz im Gegenteil: Die Republik gibt sich sehr zufrieden, wenn sie sich hinter dem Feigenblatt einer kirchlich berufenen Arbeitsgruppe, der "Unabhangigen Opferschutzanwaltschaft", verstecken kann. Jene kirchliche Arbeitsgruppe - im Volksmund auch "Klasnic-Kommission" genannt - die im Jahr 2010 errichtet wurde, begann ihr Dasein, so waren und sind viele Kommentatoren einig, als genialer Schachzug der katholischen Kirche Osterreichs.

Dank ihrer Besetzung durch Laien und insbesondere vor dem Hintergrund der staatlichen Verantwortungslosigkeit, konnte sie sich mit der Zeit von einer kirchlichen Entschadigungseinrichtung zu einer "Opferschutzanwaltschaft" - feierlicher Empfang beim Bundesprasidenten inklusive weiterentwickeln.

Am 14. Dezember 2012 begann das Bild sich einzutruben. Per Bescheid hielt die Datenschutzkommission amtlich fest, dass die Klasnic-Kommission eine "Einrichtung der Erzdiozese Wien" und somit der katholischen Kirche sei. Und die nachste Hiobsbotschaft lie? nicht lange auf sich warten: Eine fur den 26. Februar 2013 anberaumte parlamentarische (Nicht-)Enquete unter der Regie der Klasnic-Kommission wurde von Hausherrin Prammer kurzfristig und ersatzlos abgesagt.

Seilschaften im Dienste der Kirche

Und die Nationalratsprasidentin hatte recht, als sie im letzten Moment den Missbrauch des Hohen Hauses am Ring fur eine kirchliche PR-Aktion verhinderte. Der nun veroffentlichte Bericht der Helige-Kommission und das Bekanntwerden der unheiligen Machenschaften um den Stadterweiterungsfonds bestatigen ihre Vorgehensweise auch im Nachhinein. Eines gleich vorweg: Jeder Versuch der katholischen Kirche, Opfer kirchlicher Gewalt freiwillig und unburokratisch zumindest teilweise zu entschadigen, ist zu begru?en.

Vor dem Hintergrund der manifesten Vernetzung zwischen Politik und Kirche durfen jedoch gewisse Vorkommnisse um den kirchlichen Missbrauchsskandal und seine Nichtaufklarung hierzulande kritisch hinterfragt werden. Nur in Osterreich kann namlich der Vorsitzende der Bischofskonferenz eine fromme Tragerin des papstlichen "Gregorius-Orden fur besonderen Eifer in der Verteidigung der katholischen Religion" beauftragen, eine "unabhangige Opferschutzanwaltschaft" zu errichten, ohne dafur Hohn und Spott zu ernten.

Nur in Osterreich findet sich in Windeseile auch eine prominente Mannschaft, die willig die Hauptrollen in dieser Farce besetzt. Wahrend sich in Irland – und wie sich jungst gezeigt hat, auch in Wien – RichterInnen im Rahmen von offentlich beauftragten Untersuchungskommissionen erfolgreich auf Wahrheitssuche begeben haben, lassen sich andere osterreichische RichterInnen fur kirchliche PR-Aktionen einspannen.

Wer glaubt, dass die Klasnic-Kommission nach dem Vorbild der Helige-Kommission je unter Einbeziehung aller wissenschaftlichen Mittel die Geschehnisse im kirchlichen Sektor aufklaren, die Schicksale der Betroffen anerkennen und daruber hinaus die Ausforschung der Verantwortlichen (!) sowie die Gewinnung von Erkenntnissen uber die Dynamik von Gewalt in kirchlichen Einrichtungen vorantreiben wird, der irrt.

Wer glaubt, dass eine tatsachlich unabhangige Untersuchungskommission in Osterreich dies je tun wird, wird sogar selig. Hier sind namlich sehr potente Seilschaften am Werk und, naturlich, Geld. Sehr viel Geld. In Irland haben namlich Staat und Kirche uber zwei Milliarden Euro fur Entschadigungszahlungen bereitgestellt. In Osterreich schlug die Entschadigung, so die stolze Darstellung der Klasnic-Kommission, mit gerade zwolf Millionen Euro zu Buche. (Eytan Reif, Leserkommentar, derStandard.at, 26.6.2013)

 

 

 

 

 




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