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„jede Mauer Bekommt Irgendwann Einmal Risse“

The Diesseits
January 24, 2014

http://www.diesseits.de/menschen/1390518000/jede-mauer-bekommt-irgendwann-einmal-risse

Franziskus Superstar? Norbert Denef versuchte im November 2013 bei einer Papstaudienz in Rom vergeblich, das Kirchenoberhaupt auf sein Anliegen aufmerksam zu machen. Foto: privat

Erstmalig mussten sich in der vergangenen Woche Vertreter des Vatikans den Fragen des UN-Kinderrechtskomitees stellen. Denn bislang hat sich die Kirche geweigert, genaue Angaben uber die Zahl und den Umgang mit den Tausenden Fallen des Missbrauchs Minderjahriger durch katholische Geistliche zu machen. Kritik ubten die Kinderrechtsexperten der Vereinten Nationen unter anderem daran, dass manche Geistliche bis heute nicht aus dem Kirchendienst entfernt worden seien.

Norbert Denef glaubt, dass es einen gemeinsamen Weg fur die unzahligen Betroffenen und die katholische Kirche geben kann. In einem Brief an Franziskus hat der 64-Jahrige das Kirchenoberhaupt dazu aufgefordert, sich an einer Stiftung gegen die Vertuschung von sexualisierter Gewalt zu beteiligen. „Ein Akt der Versohnung ist dringend geboten, um uber Brucken zu gehen, wo die Wege bisher versperrt sind“, schreibt er in seinem am Donnerstag in der ZEIT veroffentlichten Appell an den Papst.

Herr Denef, Sie wollen eine Stiftung gegen das Verschweigen und Verleugnen von sexualisierter Gewalt grunden. Warum?

Norbert Denef: Weil Opfer von sexualisierter Gewalt es in der Regel nicht alleine schaffen, ihre Schweigemauer zu durchbrechen. Sie sind auf Hilfe angewiesen – auf Personen, die sich in der O?ffentlichkeit gegen das Verschweigen, Verleugnen und Vertuschen von sexualisierter Gewalt einsetzen. Das erfordert Mut und diesen gilt es zu unterstu?tzen – genau das soll die Stiftung leisten, indem sie einen Preis ausschreibt, der an Personen vergeben wird, die au?ergewo?hnliches leisten, um Opfern von sexualisierter Gewalt zu helfen, ihr Schweigen zu brechen.

Warum reichen die staatlichen Strafverfolgungsbehorden nicht aus?

Bei staatlichen Strafverfolgungsbehorden geht es immer nur um die Tater. Opfer treten nur als Zeugen in Erscheinung. Deshalb sprechen wir ja auch von Taterschutzgesetzen – mit Opferschutz haben Strafverfolgungsbehorden nichts zu tun.

Welche Aufgaben soll die Stiftung einmal haben?

Die Stiftung mo?chte Transparenz fo?rdern und fordern, insbesondere bei Berufsgruppen, die viel mit Kindern und Schutzbefohlenen zu tun haben, also Erzieher, Lehrer, Geistliche, A?rzte und Psychotherapeuten, Anwa?lte und Richter. Und bei denen die Gefahr einer Vertuschung besteht, weil aus Korpsgeist Ta?ter geschu?tzt werden und Opfer dadurch bei der Aufarbeitung ihres Traumas massiv behindert werden.

Warum sollte die Kirche etwas finanzieren, dessen Ergebnisse gegen sie verwendet werden konnten? Eine Logik der geringen Opferentschadigungen erscheint doch einleuchtend: Wenn man den Opfern mehr Geld gibt, werden sie das gegen die Kirche einsetzen. Also besser moglichst geringe Entschadigungen zahlen.

Das Bistum Magdeburg schuldet mir 450.000 Euro. Diese Forderung habe ich bereits im Februar 2003 gestellt. Mit diesem Geld beabsichtige ich, die Stiftung zu grunden. Es ware ein Akt der Versohnung, wenn nicht nur das Bistum Magdeburg in diese Stiftung einzahlt, sondern wenn auch das Oberhaupt der romisch-katholischen Kirche es tut. Wenn Papst Franziskus hier eine Vorreiterrolle einnehmen wurde und auch andere Staatsoberhaupter und Prominente bittet, das gleiche zu tun – dann konnte ein Akt der Versohnung stattfinden. Es geht nicht nur um den Skandal des Missbrauchs Minderjahriger innerhalb der katholischen Kirche.

Sondern?

Die meisten Opfer gibt es ja im familiaren Bereich, die sehr oft mit der Kirche nichts zu tun haben. Die Stiftung geht uns alle etwas an. Mit dem Geld, was mir die Kirche schuldet, mochte ich lediglich einen Grundstein legen. Wir sollten alle unser Ich-Denken uberprufen und uns fragen: Was kann ich personlich fur die Gesellschaft tun? Ohne danach zu fragen: Was bekomme ich zuruck? Dadurch werden die Schwachen automatisch mitgetragen. Und wenn diese dann spater vielleicht einmal selbst wieder Kraft haben, um anderen zu helfen, dann wird unsere Gesellschaft menschlicher. Versohnen sollte man nicht mit unterordnen verwechseln. Es geht darum, auf Augenhohe vertrauensvoll gemeinsam neue Wege zu suchen. Ob man kirchlich gebunden ist oder nicht, sollte dabei keine Rolle spielen. Es geht um unsere Kinder.

Sie haben zu Beginn der Ermittlungen in Deutschland selbst einmal uber die Rolle der Kirche bei der Aufklarung gesagt: „Man wurde ja auch nicht die Mafia bitten, ihre eigenen Verbrechen aufzuklaren.“

Die Stiftung wurde ja eigenstandig und neutral arbeiten, ahnlich wie die Nobelpreisstiftung. Insofern ist die Wahrscheinlichkeit sehr gering, dass Taterorganisationen die Preisvergabe beeinflussen.

Warum hat die Offentlichkeit so wenig Interesse an dem Schicksal der Betroffenen und warum sind so wenig Menschen bereit, personlich finanziell etwas in die Aufarbeitung und den Schutz potentieller Betroffener zu investieren?

Wenn man sich mit dem Leid anderer Menschen beschaftigt, wird man dadurch automatisch an seine eigene Geschichte erinnert. Denn es gibt keinen Menschen, der nicht irgendwann mal in seinem Leben etwas Schmerzliches erlebt hat. Ist man bemuht seine eigene Geschichte aufzuarbeiten, kommt der Schmerz nicht unkontrolliert hoch, sondern man kann damit relativ gut umgehen. Immer wenn man sich argert sollte man in seiner eigenen Geschichte nachschauen. Fur mich personlich gilt der Satz: Wenn Du Dich argerst, guck bei Dir nach! Das Leid vor der eigenen Haustur macht Angst – deshalb schaut man lieber daruber hinweg.

Sie haben nun einen Brief an Papst Franziskus geschrieben, nachdem Ihr Versuch vor wenigen Wochen, ihn personlich zu treffen, fehlgeschlagen ist. Glauben Sie, dass Franziskus ein echtes Interesse an Ihren Anliegen und Hoffnungen besitzt?

Ja.

Warum?

Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Wie verliefen denn Ihre Kontakte mit anderen Vertretern der Kirchen?

Der Bischof von Magdeburg wollte mich 2003 mit 25.000 Euro wieder zum Schweigen bringen – gesprochen hat er mit mir bis heute kein einziges Wort.

Erwarten Sie von Papst Franziskus mehr als von Benedikt XVI.?

Ja.

Welche Unterstutzung erfahren Sie aus den politischen Parteien?

Keine.

Und wie erleben Sie das Interesse der Medien?

Ein gro?er Teil der Redakteure zeigen nach wie vor Interesse, dass die Opfer nicht wieder allein im Regen stehen mussen. Sie sind bestrebt, dass die Schweigemauer Risse bekommt. Viel zu oft werden sie jedoch von ihren Vorgesetzten gebremst, manchmal auch gemobbt und entlassen.

Konnen Sie ein Minimum nennen, das Sie mit der Arbeit von netzwerkB erreichen wollen?

Die Aufhebung der Verjahrungsfristen, eine Melde- und Anzeigepflicht, keine Almosen sondern eine angemessene Entschadigung fur die Opfer und deren Angehorigen, so wie die Grundung der Stiftung, wie oben beschrieben.

Gibt es so etwas wie eine gemeinsame Utopie?

Alles muss raus – denn Leichen, die im Verborgenen liegen bleiben, verhalten sich wie ein Krebsgeschwur.

In unseren Archiven finden sich Dokumente, die belegen, dass sexuelle Gewalt bei Priestern schon vor 100 Jahren nicht nur existierte, sondern auch ein Thema war, das in manchen Kreisen offen thematisiert wurde. Halten Sie es fur denkbar, dass der sexuelle Missbrauch in gewisser Weise einfach zum Wesen der Kirche gehort?

Nein, denn „sexuellen Missbrauch“ gab bzw. gibt es ja nicht nur in der Kirche. Ganz besonders ist diese Form von Gewalt in den Familien zu finden. Wir mussen die Kirche im Dorf lassen und uns endlich zusammenraufen und uns auf die Seite der Opfer stellen und ihr Leid wurdevoll anerkennen und sie nicht mehr verschweigen, verleugnen und vertuschen wie bisher. Von den Kirchen erwarte ich hier eine Vorreiterrolle. Opfer mit 5.000 Euro abzufinden und dann moglichst schnell wieder den Deckel zumachen – Jesus hatte diese Heuchler bestimmt aus dem Tempel geworfen.

Wenn es in Zukunft keine sexuelle Gewalt in der Kirche und keine Vertuschung mehr gebe, ware das ruckblickend betrachtet wohl eine historische Zasur. Wie soll es dazu kommen, falls die Grundung der Stiftung gegen das Verleugnen und Vertuschen nicht gelingt?

Die Stiftung wird kommen! Jede Mauer bekommt irgendwann einmal Risse.

Gestatten Sie mir zum Schluss noch eine personliche Frage: Woran denken Sie am Ende des Tages, bevor Sie einschlafen? Was gibt Ihnen Kraft und Hoffnung bei Ihrem Kampf?

Ich sorge tagsuber dafur, mit Sport und einer gesunden Lebensweise, dass ich abends mude bin und mich hinlege und gleich einschlafe, ohne viel uber den vergangenen Tag nachzudenken. Oft werde ich nachts wegen schrecklicher Albtraume wach, da denke ich viel nach. Morgens gehe ich dann in die Ostsee schwimmen, auch im Winter – ich schopfe viel Kraft und Hoffnung aus dem unendlich weiten Meer.

Herr Denef, vielen Dank fur Ihre Zeit.

 

 

 

 

 




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