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Missbrauch Im Internat: „ich Glaube Beiden Und Bitte Um Vergebung!“

Augsburger Allgemeine
January 28, 2014

http://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/Missbrauch-im-Internat-Ich-glaube-beiden-und-bitte-um-Vergebung-id28476437.html

Theodor Hausmann, Abt von St. Stephan in Augsburg, nimmt im Interview Stellung zu den Missbrauchs-Vorwurfen am 2005 geschlossenen Vollinternat St. Joseph des Augsburger Klosters St. Stephan.

Nach dem Komponisten Wilfried Hiller hat auch der Schauspieler, Regisseur und Intendant Michael Lerchenberg erstmals offentlich schwere Vorwurfe gegenuber mehreren Patres am 2005 geschlossenen Vollinternat St. Joseph des Augsburger Klosters St. Stephan erhoben: Zuchtigungen sowie sexueller Missbrauch habe es dort Mitte der 50er bzw. Mitte der 60er Jahre wiederholt gegeben.

Im folgenden Interview reagiert Abt Theodor Hausmann auf die Anklagen. Hausmann, geboren 1963 in Augsburg, war selbst Stephaner-Schuler. Er trat 1984 in die Abtei ein, studierte Theologie und Geschichte, wurde 1991 zum Priester geweiht und ist seit 2009 Abt von St. Stephan.

Herr Hausmann, Abt Theodor, glauben Sie den Schilderungen von Wilfried Hiller und Michael Lerchenberg?

Hausmann: Ich glaube beiden. Durch Gesprache mit Trauma-Therapeuten habe ich gelernt, dass der Kern der Vorwurfe immer zutrifft – selbst wenn Details der Schilderungen unscharf oder verschwommen sind. Ich wiederhole hier, was ich allen Betroffenen schon gesagt habe: Ich bedauere und wir bedauern als Kloster erlittenes Unrecht und bitten dafur um Vergebung!

Wie viele Klagen sind bei Ihnen eingegangen?

Hausmann: Drei. In einem Fall, der von uns auf Wunsch des Betroffenen diskret behandelt wurde, haben wir dem Antrag zugestimmt, dass nach den Richtlinien der Deutschen Bischofskonferenz einer Entschadigung stattgegeben wird.

Gibt es Menschen aus den Reihen der Ordensgemeinschaft und der Alt-Stephaner, die den Schilderungen Lerchenbergs und Hillers nicht glauben?

Hausmann: Nach den Beschuldigungen Hillers im April 2013 habe ich rund 100 Gesprache gefuhrt uber Telefon, personlich, in E-Mail-Form. Es gibt ganz viele, die die Schilderungen nicht nachvollziehen konnen. Manchmal werden die Berichte als illoyal, undankbar, wehleidig abgetan. Wichtig ist mir, eine Atmosphare zu schaffen, in der jeder erzahlen kann und mit seinem Erzahlen ernst genommen wird. Die Schwierigkeit der Aufarbeitung besteht darin, dass Verantwortliche meiner Generation Erlebnisse anhoren und beurteilen mussen, die die Generation vor uns erlebt hat. Es war z. B. ein Mann bei mir, der sagte, es sei ein Gluck gewesen, dass er ins Internat St. Joseph kam, weil ihn sonst sein Stiefvater totgeschlagen hatte. So weit liegen die Erfahrungen auseinander.

Mussen Sie aufgrund Ihrer Nachforschungen davon ausgehen, dass es weitere Betroffene von Missbrauch gibt?

Hausmann: Nach meinen derzeitigen Informationen gibt es keinen Grund, weitere Missbrauchsfalle anzunehmen. Aber ich kann es naturlich nicht ausschlie?en – auch weil ich wei?, wie schwer der Schritt fur Betroffene ist, sich zu offenbaren. Ich weise immer wieder auf unsere Missbrauchsbeauftragten hin und bitte, dieses Angebot au?enstehender, unabhangiger Experten auch wahrzunehmen.

Empfanden Sie schon einmal Verzweiflung daruber, etwas ausbaden zu mussen, wofur andere Schuld tragen?

Hausmann: Verzweiflung wurde ich es nicht nennen. Aber das Bemuhen, Menschen gerecht zu werden, sto?t an seine Grenzen. Es gibt die Grenzerfahrung der Ohnmacht und Hilflosigkeit angesichts von Geschehenem und Geschildertem. Ich habe durch die Begegnung mit Betroffenen und durch die Auseinandersetzung mit ihnen entdeckt, dass zur Geschichte eines Klosters immer Gelingen und Versagen gehoren.

Haben Sie sich schon einmal zwischen den Fronten gefuhlt – zwischen Betroffenen und Alt-Stephanern?

Hausmann: Ich bin nicht dauerhaft zwischen die Fronten geraten, weil ich durch Hilfe mich beratender und unterstutzender Personen immer wieder Klarheit und Freiraum finden konnte, wenn Druck entstanden war.

Es ist offensichtlich ein enormes Problem, wenn konkrete Nachfragen, detaillierte Forschungen bei Missbrauchs-Betroffenen den Anschein erwecken, man wolle relativieren, in Erlauterungszwang bringen, gar Widerspruche aufdecken – um alles Geschilderte in Zweifel zu ziehen. Ist es da nicht besser, auch einmal kleinere Erinnerungsfehler stehen zu lassen – im Vertrauen auf das Gro?e, Ganze?

Hausmann: Ich stimme Ihnen zu, und genau deshalb glaube ich, dass die Aufarbeitung von Missbrauch zunachst einmal ein personlicher Prozess ist – auch, um Unscharfen zu klaren. Scheinbare Widerspruche moglichst aufzuklaren ist ja Voraussetzung, um Au?enstehenden Einsicht in geschehenes Unrecht zu ermoglichen. Das setzt Vertrauen auf beiden Seiten voraus – und dies kann nur in Freiheit und behutsam wachsen. Ein Gesprach unter vier Augen unterliegt bekanntlich anderen Kommunikationsgesetzen als Schilderungen in den Medien. Aber beides ist notwendig, um eine mogliche Heilung traumatischer Erfahrungen zu unterstutzen.

Worin sehen Sie den Grund, dass so viele Benediktiner betroffen sind?

Hausmann: Die Benediktiner in Bayern waren und sind schwerpunktma?ig im Bereich Schule und Internat tatig. Dazu kommt, dass dies oft in einer reinen Mannerwelt geschah und dass enge Wohnverhaltnisse herrschten. Aber damit will ich nichts entschuldigen!

Was ist denn in Metten, Schaftlarn, Ettal geschehen, was Michael Lerchenberg als vorbildlich in der Aufarbeitung von Missbrauchsfallen ansieht?

Hausmann: So, wie Schaftlarn, Ettal und Metten 2010 auf konkrete Vorwurfe mit offentlicher Information reagiert haben, so hat unsere Abtei im April 2013 auf die Vorwurfe von Wilfried Hiller reagiert und tut dies jetzt bei Michael Lerchenberg wieder. Der dritte Betroffene bat, wie gesagt, um Diskretion.

Michael Lerchenberg hat Sie direkt angegriffen bzw. Ihre Antwort auf seine briefliche Anklage 2010. Mochten Sie darauf reagieren?

Hausmann: Ich kann mir seine Vorwurfe nur erklaren als Reaktion auf Ruckfragen meinerseits, die Unscharfen im Umfeld seiner Schilderungen betreffen. Unterschiedlich waren und sind wohl auch unsere Vorstellungen, in welcher Reihenfolge Klarung, Stellungnahme und Formen der Veroffentlichung erfolgen sollen. Er mag das als Relativieren empfunden haben, aber es war und ist von mir in keiner Weise so beabsichtigt.

 

 

 

 

 




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