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„Von Reue Keine Spur"

Berliner Zeitung
February 8, 2014

http://www.berliner-zeitung.de/politik/sexueller-missbrauch--von-reue-keine-spur-,10808018,26111732.html

Bischofsweihe im Erfurter Dom

Jesuitenpater Klaus Mertes

Jesuitenpater Klaus Mertes spricht im Interview mit der Berliner Zeitung über Missbrauch in der katholischen Kirche und die fehlende Bereitschaft, sich den Fällen zu stellen.

Die Kritik der Vereinten Nationen am Umgang des Vatikans mit Fällen sexuellen Missbrauchs hat am Donnerstag ein geteiltes Echo ausgelöst. Tenor der Aussagen ist jedoch, dass die Opfer ein Recht auf Transparenz und Aufklärung haben. Das sagt auch der Jesuitenpater Klaus Mertes.

Pater Mertes, gehen Sie mit der Kritik der UN an der katholischen Kirche konform?

Nicht jede Kritik ist sachlich und sachdienlich. Zum Beispiel kann ich nur den Kopf schütteln, wenn der UN-Bericht immer noch auf einer zwingenden Meldepflicht von Missbrauchsfällen an die staatliche Justiz herumreitet. Darüber sind wir in der Diskussion längst hinweg. Gerade die Opferschutzverbände warnen vor solch einem Automatismus.

Warum?

Man kann nicht an den Opfern und ihren Wünschen vorbei melden. Als die bayerischen Bischöfe vor drei Jahren in Panik die Meldepflicht einführten, beklagten sich Missbrauchsopfer bei mir, dass ihnen damit vertrauliche und vertrauensvolle Gespräche mit Kirchenvertretern fast unmöglich geworden seien. Für einen staatlichen Ermittler steht an erster Stelle die Unschuldsvermutung zugunsten eines mutmaßlichen Täters. Das heißt, er muss die Angaben der Opfer zunächst einmal bezweifeln. Dann kommt die ganze Maschinerie mit Befragungen, Glaubwürdigkeitsgutachten et cetera in Gang. Davor haben viele Opfer Angst. Aber das sieht der UN-Bericht in seiner Naivität nicht.

Naivität?

Da ist von einer zentralen Hotline im Vatikan für Missbrauchsopfer aus aller Welt die Rede. Ich weiß nicht, wie die Leute in Genf sich das vorstellen. Als ob das Problem gelöst würde, wenn die Zentrale es an sich zieht. Das hat Papst Johannes Paul II. ja vergeblich versucht. Zentralisierung bringt uns überhaupt nicht weiter. Im Gegenteil: Zentralisierung ist Teil des Problems. Aber die UN haben da die gleiche zentralistische Wasserkopf-Denke wie der Vatikan selbst. Und wenn dann noch Themen wie Abtreibung oder Homosexualität in den Bericht einfließen, kommt endgültig gerührter Quark heraus.

Warum? Sie haben doch selbst immer moniert, der kirchliche Umgang mit Homosexualität begünstige und fördere strukturell das Vertuschen und Verschweigen von Missbrauch.

Das stimmt. Aber das muss man dann schon differenzierter entwickeln als die UN. Beim Thema Homosexualität geht es zunächst einmal um ein Menschrechts-Thema, und in zweiter Linie dann auch um die Frage, wie der Umgang der katholischen Kirche mit dem Thema Homosexualität Gewalt in der Kirche begünstigt. Bei der Abtreibung hingegen steht das Tötungsverbot zur Debatte. Statt solcher Unterscheidungen mixt der Bericht alles zusammen, was an Vorbehalten gegenüber der katholischen Kirche herumwabert. Dabei sind die UN selbst weder interesselos noch ideologiefrei. Die Phrasen bestimmter Gender-Theoretiker bei den UN und Aussagen katholischer Betonköpfe stehen einander in puncto Extremismus in nichts nach.

Also reagiert der Vatikan mit Recht verschnupft?

Ich warne davor, auf beleidigte Leberwurst oder verfolgte Unschuld zu machen. Schließlich enthält der Bericht immer noch genügend berechtigte Kritik. Das Grundproblem ist und bleibt die Aufklärung – nicht nur der Einzelfälle, sondern auch der Strukturbedingungen, die Missbrauch ermöglichen und fördern.

Aufklärung funktioniert nicht, wenn sie nach oben verlagert wird, sagen Sie. Aber der Vatikan ist ja „oben“.

Stimmt. Aufklärung funktioniert nur, wenn sie nach außen verlagert wird. Das gilt auch für den Vatikan: Er muss sich in den fraglichen Fällen einer externen Prüfung stellen, also unabhängigen Ermittlern und Gutachtern. Genauso wichtig ist es, dass die Aufklärung selbst transparent ist. Das ist vor allem für die Opfer wichtig, um die es der Kirche vorrangig gehen muss. Die Opfer dürfen nicht das Gefühl haben, sie müssten dauernd um Aufklärung kämpfen. Sie müssen das Gefühl haben: Unsere Geschichte wird von der Institution gesehen, unser Leid wird anerkannt. Und es muss endlich disziplinarische Konsequenzen für Kirchenmänner geben, die vertuscht haben.

Woran denken Sie?

Bischöfe, die an Vertuschungen beteiligt waren, sollten ihr Amt verlieren oder zurücktreten. Aber stattdessen klettert ein Bischof Müller, der in Regensburg an höchster Stelle vertuscht und vernebelt hat, mir nichts dir nichts auf der römischen Karriereleiter nach oben.

Gerhard Ludwig Müller ist heute Präfekt der Glaubenskongregation und wird demnächst Kardinal.

Da sitzt er als Nummer drei im Vatikan und fabuliert immer noch ständig von irgendwelchen „böswilligen Pressekampagnen“ gegen die katholische Kirche. Von Reue keine Spur, und erst recht nicht von der Bereitschaft, sich auf Strukturprobleme der Kirche im Zusammenhang mit Missbrauch einzulassen. Müller macht einfach weiter, als wäre nichts gewesen. Er tut so, als hätte es da halt ein paar böse Kleriker gegeben, aber sonst wäre in der Kirche alles in Ordnung und könnte so bleiben, wie es immer war. Ich halte das für unerträglich. Unerträglich vor allem auch für die Opfer. Wie will dieser Mann ausgerechnet als Chef der Behörde, die ja nicht zuletzt für das Thema Missbrauch zuständig ist, eigentlich je wieder glaubwürdig sein?

Steht Müller nur für sich – oder vertritt er die herrschende Meinung im Vatikan?

Ich fürchte, dass es in Rom immer noch an der Bereitschaft fehlt, sich dem Problem in seiner ganzen Tiefe zu stellen. Dafür ist Müllers Haltung durchaus typisch.

Wo sehen Sie den Vatikan auf einer Wir-haben-verstanden-Skala von eins bis zehn?

Den Vatikan als Institution? Nicht sehr weit, bei zwei bis drei vielleicht. Sicher, Papst Benedikt XVI. hat schon mehr verstanden als sein Vorgänger. Und eine der besten Veranstaltungen fand 2011 im Vatikan statt, als Bischöfe sich hinsetzen, die Geschichten von Opfern anhören mussten und nicht vor ihnen davonlaufen konnten. So etwas sollte regelmäßig alle paar Monate passieren. Denn die Teilnehmer haben anschließend gesagt: „Wir dachten immer, das sei alles antikirchliche Propaganda. Jetzt merken wir, das sind ja wahre Geschichten!“ So eine Erfahrung verändert Menschen mehr als ein Haufen Papier mit vielen Spiegelstrichen.

Mit Blick auf die katholische Kirche in Deutschland: Wie beurteilen Sie hier die Aufarbeitung des Missbrauchs-Skandals?

Bei der Prävention und zum Teil auch bei der Aufklärung leistet die katholische Kirche in Deutschland unterdessen Hervorragendes. Was auf der mittleren Ebene – bei den Präventionsbeauftragten, Schulleitern, Kindergärtnerinnen, in Jugendverbänden – geschieht, ist erste Sahne. Da hat die Kirche in der Praxis die Nase so weit vorn, dass staatliche Stellen sie inzwischen um Beratung bitten, wie sie es mit der Prävention halten sollen. Das Problem ist nur, dass die Glaubwürdigkeit dieses Bemühens ständig von oben erschüttert wird.




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