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"Missbrauchsskandal war der Tiefpunkt"

By Joachim Frank
Frankfurter Rundschau
March 11, 2014

http://www.fr-online.de/politik/robert-zollitsch-bischofskonferenz--missbrauchsskandal-war-der-tiefpunkt-,1472596,26512626.html

Robert Zollitsch ist Vorsitzender der Bischofskonferenz. Auf der Frühjahrsvollversammlung in Münster wird sein Nachfolger gesucht.

[Summary: Archbishop Robert Zollitsch talks about the successes and failures of his tenure as chairman of the German Bishops' Conference. A number of controversial issues and scandals fell during his tenure, including sexual abuse. He said that the cases of sexual abuse of minors were a deep abyss into which the bishops had to look.]

Erzbischof Robert Zollitsch spricht im Interview über Erfolge und Misserfolge seiner Amtszeit als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Tebartz-van Elst habe sich nicht zur Frühjahrsvollversammlung angemeldet, erzählt er. Seine Teilnahme wäre aber offiziell möglich.

Herr Erzbischof, die Liste der Reizthemen und Skandale, die in Ihre Amtszeit fielen, ist lang: sexueller Missbrauch, Vorwürfe Bischof Mixa, Kirchenfinanzen, die Limburger Bischofsresidenz, Kritik an Papst Benedikt zum Beispiel wegen der Piusbrüder und des Holocaust-Leugners Williamson… Wie sehr haben Sie mit dem Tag gehadert, an dem Ihre Mitbrüder Sie zum Vorsitzenden der Bischofskonferenz und damit zu Gesicht und Stimme des deutschen Episkopats gewählt haben?

Ich habe mir dieses Amt vor sechs Jahren nicht gesucht, sondern wurde von zahlreichen Mitbrüdern gedrängt, die Aufgabe des Vorsitzenden nicht abzulehnen. Vielleicht es gut, dass man im Vorfeld nicht weiß, was auf einem zukommt. Denn es gab zweifellos viele Probleme und Krisen, mehr als in den Jahren zuvor. Und diesen Herausforderungen, gilt es sich zu stellen, um nicht überrollt zu werden. Das kostet Kraft, ist aber um des Evangeliums willen notwendig. Gott sei Dank gab es auch viel Positives, das nicht schlagzeilenträchtig ist, das aber das Leben der Kirche ausmacht. Ich erinnere mich an zahlreiche Begegnungen und bin dankbar zu wissen, wie viele Gläubige mich durch ihr Vertrauen und Ihr Gebet mitgetragen haben. Besonders in Erinnerung sind mir natürlich der Besuch von Papst Benedikt 2011 und der Katholikentag in Mannheim 2012.

Was war Ihre schwierigste folgenschwerste Entscheidung?

Ohne Frage waren die Fälle sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen ein tiefer Abgrund, in den wir hineinschauen mussten. Da war es notwendig zu handeln, um der Wahrheit ans Licht zu verhelfen. Wir sind als Kirche in Deutschland einen mutigen und raschen Weg der Aufarbeitung gegangen, der Verabschiedung von Leitlinien und der Prävention, der uns viel Anerkennung von Fachleuten eingebracht hat.

Woran erinnern Sie sich besonders gern? Und woran möchten Sie, dass sich die Menschen besonders erinnern, wenn Sie an Ihre Amtszeit denken?

Dass wir uns, trotz Bedenken so mancher, auf einen Dialogprozess eingelassen haben, und so eine neue Gesprächsatmosphäre entstanden ist, die durch Papst Franziskus stetig Impulse bekommt. Und dass sich die Kirche unaufdringlich, aber eindringlich zum Wohl der Menschen in gesellschaftliche Diskurse einbringt – das lag und liegt mir am Herzen.

Was rechnen Sie sich als Ihren größten Erfolg an?

Das Wort Erfolg klingt sehr technokratisch. Sagen wir dankbar! Ich bin dankbar für die Möglichkeiten, die ich bisher hatte, mich als Priester und Bischof einzubringen und die befreiende Botschaft den Menschen zu verkünden. Das habe ich oft auf Wallfahrten gespürt, bei Gottesdiensten, im Gespräch mit Jugendlichen, im Gebet, das stärkt und trägt.

Der „Dialogprozess“ war Ihre Idee. Was wird dabei mehr herauskommen als ein „Gut, dass wir drüber geredet haben?“

In einer der größten Krisen der katholischen Kirche war es notwendig, rasch handlungsfähig zu werden und aus der Schockstarre herauszukommen. Deshalb habe ich den Dialog auf allen Ebenen angeregt, den ich als einen geistlichen Dialog verstehe, weil es um das gemeinsame Hören auf Gott und aufeinander geht, um unterschiedliche Erfahrungen zusammenzuführen und gemeinsame Perspektiven zu gewinnen. Gerade Mitbrüder, die zunächst skeptisch waren, haben mir später geschrieben, wie gut es gewesen sei, diesen mutigen Schritt zu gehen.

Was ist die größte Herausforderung für Ihren Nachfolger?

Wir müssen als pilgernde, hörende und dienende Kirche mit den Gläubigen gemeinsam auf dem Weg in die Zukunft gehen, um Christus und den Menschen möglichst nah zu sein, so wie es uns Papst Franziskus in Wort und Tat vorlebt. Dazu gehört es, uns den Fragen der Zeit unvoreingenommen zu stellen, ohne uns dem Zeitgeist anzupassen, sondern den Geist der Zeit aus dem Glauben heraus mitzuprägen. Das sehe ich als zentrale Herausforderung.

Die Causa Tebartz-van Elst werden Sie mutmaßlich nicht mehr ganz bis zum Ende mitverantworten.

Ich bedauere, dass die Debatte um die Baukosten auf dem Limburger Domberg eine solche Krise in der Kirche ausgelöst hat. Der Vorgang darf aber das viele Gute, was in der Kirche geschieht, nicht überdecken. Daran müssen wir arbeiten.

Welchen Ausgang erwarten Sie?

Wir warten jetzt ab, wie Rom entscheidet. Ich bin froh, dass sich die Situation im Bistum durch das umsichtige Handeln des dortigen Generalvikars wesentlich beruhigt hat.

Gibt es aus Ihrer Sicht eine tragfähige Lösung für das Bistum und den Bischof? Wenn ja, welche?

Ich möchte der Entscheidung aus Rom nicht vorweggreifen.

Was würde passieren, wenn Tebartz-van Elst zur Vollversammlung der Bischöfe und zur Wahl Ihres Nachfolgers nach Münster käme?

Er hat sich bisher nicht angemeldet. Offiziell wäre ihm die Teilnahme möglich. Es ist seine Entscheidung und seine Verantwortung.

Genau vor einem Jahr hat Papst Franziskus die Nachfolge Benedikts XVI. angetreten. Schon bald war von einer franziskanischen Wende die Rede.

Wir können froh sein, dass die Kardinäle einen so guten Nachfolger für Papst Benedikt gewählt haben. Beiden haben wir anregende Impulse zu verdanken.

Wo spüren Sie konkret den „Wind of Change“?

Ich würde nicht vom „Wind of change“ reden, aber von der Nähe des Papstes, die er zu den Menschen pflegt. Der berührbare Papst Franziskus, der die Kirche – neben aller Theologie – an ihre Verantwortung für die Menschen erinnert, das empfinde ich als Bereicherung.

Haben Sie sich davon bei Ihrem Papier zum Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen beflügeln lassen?

Die Handreichung des Freiburger Seelsorgeamtes war eine Reaktion auf Aussagen von ihm und von seinem Vorgänger. Beide vertreten hier die gleiche Linie: Niemand darf ausgeschlossen sein aus der Gemeinschaft des Glaubens.

Sie haben greifbare Veränderungen noch zu Ihren Lebzeiten prognostiziert. Wie nahe stehen wir davor?

Ich hoffe, dass ich noch einiges an Veränderungen erleben darf.

Welche Veränderungen sind das?

Es wird unter Papst Franziskus keine Revolution geben. Aber er wird – so wie er es in Evangelii Gaudium schreibt – da mit Änderungen ansetzen, wo Botschaften, die früher einmal aktuell waren, heute neu erklärt und definiert werden müssen.

Die vom Papst initiierte Umfrage zu Ehe und Familie hat in Deutschland ein realistisch-ernüchterndes Ergebnis gebracht, das Sie in bemerkenswerter Offenheit niedergelegt und kommuniziert haben…

… wir haben das, was wir an über 1000 Seiten Papier erhalten haben, zusammengefasst und einstimmig in der Bischofskonferenz abgestimmt…

Was folgt daraus für die Bischofssynode in Rom, die sich mit diesen Fragen befassen soll?

Der Fragebogen und dessen Antworten sind eine ehrliche Analyse dessen, was in der Kirche und in der Gesellschaft Realität ist. Überrascht hat uns Bischöfe das Ergebnis nicht, aber jetzt haben wir es gewissermaßen schwarz auf weiß. So geht es ja auch anderen Bischofskonferenzen. So hat die Synode eine solide Grundlage an Fakten, um dann hoffentlich auch konkrete theologische Debatten einzuleiten.

Was sagen Sie dazu, dass der Vatikan die Publikation bereits öffentlich getadelt hat?

Davon höre ich zum ersten Mal. Andere Bischofskonferenzen haben ja auch veröffentlicht. Und Transparenz tut uns gut.

Welche Veränderungen im Bereich von Ehe, Familie, Sexualmoral halten Sie realistischerweise für möglich?

Das kann man nicht so einfach beantworten. Wir müssen versuchen, unsere Sexualmoral wieder verständlicher zu machen und zu erklären, wie lebensdienlich sie ist. Dabei dürfen wir die Lehre der Kirche nicht aufgeben, müssen sie aber in die veränderten Rahmenbedingungen einbringen.

Wie sehr sehen Sie die Gefahr einer Enttäuschung über den Papst, wenn er „nicht liefert“?

Jetzt geben wir dem Papst die notwendige Zeit, entsprechende Schritte zu gehen. Wir dürfen ihn nicht schon heute festlegen, was er morgen sagen soll.

Aber Erwartungen daran hegen?

Wir sind mit Papst Franziskus auf einem guten Weg. Wir staunen alle, wie Vieles er schon angestoßen hat.

Wenn Sie drei Wünsche an den Papst freihätten – was sollte er Ihnen erfüllen?

Er soll weiterhin so unkompliziert auf die Menschen zugehen, um sie so die Freude des Evangeliums hautnah spüren und erleben zu lassen. Er soll weiterhin so offen auf die anderen Konfessionen und Religionen zugehen. Und er soll – so gut es sein Alter und seine Gesundheit zulassen – zu den Menschen reisen, die ihn unbedingt sehen möchten, die aber nicht zu ihm kommen können.

Worauf freuen Sie sich nach dem bevorstehenden Amtswechsel am meisten?

Auf mehr Zeit zum Lesen, zum Wandern und zur persönlichen Besinnung und auf weniger Verpflichtungen und Sitzungen, die sich um zahlreiche Sachfragen drehen.




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