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Die spirituellen Fallschirmjäger des Vatikan

By Von Kai Biermann
Zeit
April 20, 2014

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Weißer Chormantel, Dornenkrone mit weißem Schleier – Schwestern der Gemeinschaft "Das Werk" beim Gebet

Eine Frau sucht im Kloster des Ordens "Das Werk" Geborgenheit. Sie findet sektenartige Strukturen, wird sexuell missbraucht und ein Opfer religiösen Fundamentalismus.

Manche reisen nach dem Abitur in die Welt, manche suchen sich eine Lehrstelle, viele studieren. Klara geht ins Kloster. Es ist das Jahr 2003. Der Krieg im Irak hat gerade begonnen, in Österreich regiert zum zweiten Mal die FPÖ mit, Arnold Schwarzenegger wird Gouverneur in Kalifornien. Für Klara ist das alles fernes Rauschen. Viel lauter ist eine Stimme in ihr, die sagt, sie sei berufen. Klara ist neunzehn Jahre alt. 

Sie ist in Süddeutschland aufgewachsen, mit sechs Geschwistern und der Überzeugung, dass die Kirche Halt und Trost gibt. "Seit ich sechzehn war, wollte ich Nonne werden", sagt sie. Heute will sie davon erzählen, um andere zu warnen. Es war ein Wunsch, an dem sie fast zugrunde ging.

Die katholische Kirche hat seit Jahren Mühe mit dem Nachwuchs. Die Zahl der Ordensfrauen hat sich in zwanzig Jahren halbiert, 84 Prozent sind älter als 65 Jahre. Klara aber hält fest an ihrer Überzeugung, aus jugendlichem Überschwang und wohl auch, weil sie hofft, in einem Orden geborgen zu sein. Sie entscheidet sich schließlich für ein Kloster in Österreich, weil dort viele junge Menschen lebten. "Leute mit strahlenden Gesichtern." 

Acht Jahre später flieht Klara aus dem Kloster. Ohne Geld, ohne Ausbildung, ohne Freunde kommt sie zurück in die Welt, ihres Selbstbewusstseins beraubt, sexuell missbraucht und psychisch gebrochen. 

Mächtige Freunde in der Kurie

Ein tragischer Einzelfall? Leider nein. Klara hatte sich einer der rückwärtsgewandtesten und radikalsten Gruppen in der katholischen Kirche angeschlossen, einer neokonservativen Gemeinschaft. Sie sagt: einer Sekte. Kaum jemand kennt die kleine Gruppierung, selbst katholische Religionswissenschaftler müssen erst nachschlagen, obwohl diese Gemeinschaft an einflussreichen Stellen im Vatikan vertreten ist und mächtige Freunde in der Kurie hat, bis hin zu Päpsten wie Johannes Paul II. und Benedikt XVI. Es ist eine Gemeinschaft, in der ein System aus religiösem Wahn herrscht, aus Überwachung und Unterdrückung. Willkommen in der Geistlichen Familie Das Werk oder auch Familia Spiritualis Opus, kurz FSO. 

Das Kloster Thalbach liegt am Rande von Bregenz am Bodensee. Es ist ein viereckiger Bau, drei Stockwerke hoch, mit weißen, glatten Mauern und quadratischen Fenstern. Dahinter steigen die Alpen von Vorarlberg auf. Thalbach ist der Hauptsitz von Das Werk, hier leben Schwestern, Brüder und Priester zusammen. FSO ist eine gemischte Gemeinschaft. 

"Am Anfang hatte alles einen gewissen Zauber, alles war neu, alle strahlten einen an, versicherten, wie glücklich sie sind", sagt Klara über ihr erstes Jahr dort. "Ich empfand eine große Geborgenheit, ich gehörte dazu." Ihr Alltag besteht aus Gebeten: Laudes, Vesper, Anrufung, Anbetung, Abendsegen. Und aus Arbeit. Die Schwestern waschen, putzen, kochen. Es geht zu wie in jedem anderen Kloster auch. 

Doch manches ist merkwürdig. Das Werk verbietet den Schwestern persönliche Kontakte zu Freunden und Familie. Wer seine Eltern anrufen will, muss vorher fragen, alle Briefe werden geöffnet und manche zurückgehalten. Dafür gibt es regelmäßige Gespräche mit einem vom Orden benannten Menschen, die Verhören gleichen.  

Einen Habit, die Tracht anderer Nonnen, gibt es nicht. Zu Festen und Gottesdiensten tragen die Schwestern zwar einen weißen Mantel mit hohem Kragen, dazu eine weiße Dornenkrone samt Schleier. Doch außerhalb der Klostermauern sollen sie nicht weiter auffallen. Die ungeschriebene Kleiderordnung fordert: Gedeckte Farben, vor allem grau. Strickjacken oder gestrickte Westen, lange Röcke mit Unterrock, Nylonstrümpfe bei jedem Wetter, flache, grobe Schuhe. "In dieser Kleidung traut man sich nicht mehr auf die Straße. Es verändert das Selbstwertgefühl, wenn man wie eine Achtzigjährige angezogen ist. Man verliert ein Stück Identität", sagt Klara. Und dass die Regeln sie entfernt hätten von ihrem alten Leben und von jedem normalen Gedanken. Der Orden kontrolliert alles. "Früher oder später hat man niemanden mehr da draußen." 

Auch nach innen wird jedes Mitglied der Geistlichen Familie isoliert. Es gibt einige katholische Orden, die verpflichten sich zum Schweigen. FSO tut das nicht, trotzdem darf kaum geredet werden: "Das meiste geschieht wortlos. Es gibt nicht viel, worüber man reden kann. Man kennt sich nicht, weiß nichts übereinander, über Träume und Wünsche der anderen. Freundschaften werden nicht geduldet. Wir haben zwar unsere Geburtstage gefeiert, aber ich wusste nicht einmal, wie alt die anderen eigentlich sind. Ich wusste auch nie, woher sie kommen oder was sie mal gemacht haben." 

Jedes Interesse wird unterdrückt, Bücher zu lesen ist unerwünscht, wer es will, muss vorher fragen. Nicht einmal Bibeltexte können unvoreingenommen gelesen werden, alles wird im Sinne der Gemeinschaft ausgelegt. 

Stattdessen bekommt Klara eine Verantwortliche, wie Das Werk es nennt, eine direkte Vorgesetzte und Aufseherin, der sie alles zu berichten hat, was sie bewegt. Jeden Gedanken muss sie offenbaren. Sie darf sich nicht aussuchen, wem sie beichten will und hat keinen Einfluss auf den Inhalt der Gespräche. Das gesamte Seelenleben werde durchleuchtet, jeder Satz gedeutet, sagt Klara. "Es gab nichts, was sie nicht fragen konnte, nichts, was sie nicht von anderen über mich erfuhr, alle meine Taten, Worte und Gefühle lagen nicht nur offen vor ihr, sondern wurden auch von ihr beurteilt." Auf Fragen antwortet die Aufseherin mit Zurechtweisungen. Wenn Klara etwas kritisiert, wenn sie zweifelt, hört sie nur, es sei ihr Fehler, weil sie nicht fest genug glaube. 

Die Gemeinschaft selbst sieht das anders. Die Verantwortliche sei eine sehr gute Begleiterin, viele Schwestern seien ihr dankbar und hätten großes Vertrauen zu ihr, heißt es auf die Frage nach den Verhören. Möglicherweise sehe Klara alles durch eine zu eindimensionale Brille. Die Gemeinschaft habe Klara geliebt und liebe sie noch immer.

Die Gründerin der Gruppe, die vor einigen Jahren verstorbene Belgierin Julia Verhaeghe, forderte absoluten Gehorsam und vollständige Offenheit von ihren Gefolgsleuten. Het Werk ist der Titel des einzigen Buches über die Gruppe, das nicht von ihr selbst veröffentlicht wurde. Es erschien 1996 in Belgien. Der Autor, Rik Devillé, hat darin Berichte von Aussteigern gesammelt. Alle erzählen, wie Verhaeghe sogar das Beichtgeheimnis brach und die Beichte als Instrument der Kontrolle und Repression einsetzte. Das Beichtgeheimnis ist eines der Sakramente der Kirche, eines ihrer heiligen Prinzipien. Jeder Priester, der es bricht, muss mit Exkommunikation rechnen.

Die Gemeinschaft hat nicht viele Mitglieder, weltweit sind es 110 Schwestern, ungefähr 30 geweihte Priester und drei Brüder. Sie besitzt mindestens 17 klosterartige Häuser und Wohnungen, vor allem in Österreich, aber auch in Italien, Deutschland, Großbritannien und Belgien.

Gehorsam, Keuschheit, Armut

Finanziert wird alles aus Spenden, Erbschaften und aus dem, was die Mitglieder verdienen. Wenn Schwestern oder Priester bei einer Diözese arbeiten, wenn sie lehren, pflegen oder geistlichen Beistand leisten, bekommen sie dafür ein Gehalt. Das landet zwar auf ihrem persönlichen Konto, doch sie spenden es nahezu vollständig der Gemeinschaft. Denn jedes Mitglied ist verpflichtet, monatlich genau abzurechnen, wie viel seines Einkommens es für sich selbst ausgegeben hat. Jeder Fahrschein, jede Tasse Kaffee muss aufgeführt werden. 

Askese ist eine der Tugenden, die hoch gehalten werden in der Geistlichen Familie. Schließlich lauten die drei Räte des Evangeliums, zu denen sich jeder katholische Orden nach dem kanonischen Kodex verpflichten muss, Gehorsam, Keuschheit und Armut. Doch entscheidend ist, wie diese Regeln gelebt werden. "Man nimmt eben nicht das Stück Brot vom Teller, das einem am besten schmeckt", beschreibt Klara die im Werk erwartete Haltung. Das funktioniert auch beim Geld. "Man traut sich nicht, das Geld auszugeben", sagt ein anderer Aussteiger. Manche Brüder und Schwestern machten weniger als 100 Euro Ausgaben für sich selbst geltend – für ein ganzes Jahr. Kontrolle durch schlechtes Gewissen. 

So klein die Gemeinschaft ist, versucht sie doch, entscheidende Positionen in der Kirche zu besetzen. Pater Herman Geißler ist Mitarbeiter in der wichtigen Kongregation für die Glaubenslehre, die einst von Josef Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI.,  geleitet wurde. Er machte Pater Geißler dort zum Abteilungsleiter. Ein anderer Priester des Werkes ist Mitglied der Bildungskongregation, die alle religiösen Ausbildungen regelt. 

Sie seien "spirituelle Fallschirmjäger", nannte es die Gründerin Verhaeghe und noch heute nutzen Mitglieder der Gemeinschaft diesen Begriff, um ihre Aufgabe zu erklären. Ein interessanter Vergleich: Fallschirmjäger kämpfen in Unterzahl, hinter den feindlichen Linien und so heimlich wie möglich. Eine kleine, radikale Elite. Die Fallschirmjäger von Das Werk sollen Katholiken missionieren, sagt Klara. Jene, die nicht mehr glauben oder nicht genug, die die alten Lehren anders auslegen oder sogar übergehen. "Sie haben den Anspruch, die wahre Kirche zu sein, die erleuchtetste Form des Katholizismus."

Zustand ständiger Bestrafbarkeit

Konservativen in der Kirche gefällt das. Viele Kirchenleute, die für rechtskonservative Äußerungen in der Öffentlichkeit bekannt sind, sind gleichzeitig Freunde von Das Werk. Kardinal Leo Scheffczyk, der stets gegen eine Öffnung der Kirche zur Welt argumentierte, war beispielsweise ein wichtiger Förderer. Scheffczyk galt als einer der Vordenker der Konservativen in der Katholischen Kirche und war nicht nur in Deutschland bekannt und angesehen. Er starb 2005, sein Grab liegt auf dem Gelände des Klosters Thalbach. 

Papst Johannes Paul II. erhob das 1938 gegründete Werk 2001 zu einer "Familie des geweihten Lebens". Er machte die Brüder, Schwestern und Priester damit auch institutionell zu einem Teil der Katholischen Kirche und unterstellte sie seinem direkten Befehl. Auch Papst Benedikt XVI. pflegte enge Beziehungen zum Werk. Sein Bruder Georg besucht den Orden häufig. Ratzingers Privatsekretär, Erzbischof Georg Gänswein, gilt als Unterstützer des Hauses, genauso wie Joachim Kardinal Meisner, der gerade als Erzbischof von Köln zurückgetreten ist. Der verschwenderische Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst ist ebenfalls ein Förderer, seit 2013 residieren drei Schwestern von Das Werk in Limburg als Domschwestern

Klara weiß nichts von diesen kirchenpolitischen Zielen, als sie in Das Werk eintritt. Sie sieht nur eine freundliche Gemeinschaft, schöne Gesänge und stille Gebete. Doch je länger sie bleibt, desto stärker bekommt sie die Auswirkungen des reaktionären Katholizismus zu spüren. Die wöchentlichen Verhöre, die sie anfangs als Interesse an ihrer Person interpretiert, werden ihr bald zur Last. Nie allein zu sein, nichts selbst entscheiden zu dürfen, engt sie ein. Die vielen ungeschriebenen Regeln empfindet sie als Willkür. Jede Kleinigkeit wird angewiesen, korrigiert. Nicht einmal Kartoffeln darf sie so schälen, wie sie es für richtig hält. Gehorsam ist Freiheit, lehrt Das Werk. 

"Ich lebte in einem Zustand ständiger Bestrafbarkeit", sagt Klara. Vier Jahre nach ihrem Eintritt fühlt sie sich einsam, eingesperrt, depressiv, denkt an Selbstmord. 

Es gibt ein Bild von Klara, aufgenommen in dieser Zeit. Sie steht dort zwischen vier anderen Schwestern. Eine junge Frau mit kurzen Haaren und Nickelbrille. Die anderen vier lachen, sie lächelt nur vorsichtig, schaut von unten in die Kamera. Die Schultern sind schief, die Hände hat sie zu Fäusten geballt, die Füße eng nebeneinander gestellt. Nichts spricht von Lebensfreude, nichts von Neugier oder gar Glück. Dort steht eine gebeugte Frau, ein junger Mensch ohne Selbstvertrauen. 

Und ein Opfer. Es ist 2008, Klara lebt in einem Haus der Gemeinschaft in Rom in einem Einzelzimmer. Schon mehrfach hat der Leiter des Hauses, ein Priester, ihre Nähe gesucht. Klara ist das unangenehm. Sie sagt ihm, er solle sie in Ruhe lassen, schreibt es ihm sogar. Doch irgendwann steht er in ihrem Zimmer, es ist Abend, und er will mit ihr darüber reden. Sagt er. Aber dann zieht er sie einfach aus, wortlos. Starr vor Angst und Scham hält Klara still. Denn schon als sie ihrer Vertrauensperson von den verbalen Annäherungsversuchen des Priesters erzählt hatte, war sie angebrüllt und mit Vorwürfen überschüttet worden. Dass er sie nun missbraucht, wagt sie später niemandem zu sagen. Still leidet sie, die Scham und die Schmerzen. Auch als er wiederkommt.

Gestorben, vernichtet, gelähmt. Mit solchen Worten beschreibt Klara ihre Empfindungen jener Zeit. Ausgeliefert habe sie sich gefühlt, allein, schutzlos. Gleichzeitig zerstört der Missbrauch all ihre Illusionen über Das Werk.

Der Kontrollwahn der Gemeinschaft rettet Klara schließlich: Sie wird versetzt. Die Schwestern ständig in anderen Häusern von FSO einzusetzen, ist Prinzip. So soll verhindert werden, dass Bindungen zwischen einzelnen Mitgliedern entstehen. Klara kehrt nach Thalbach zurück. Dort begegnet sie zwei jungen Mitbrüdern, mit denen sie sich versteht. Sie reden miteinander, lachen sogar, obwohl das eigentlich unerwünscht ist. Klara gibt das die Kraft, endlich die geistliche Bildung einzufordern, die sie sich immer erhofft hat. Widerstrebend wird ihr erlaubt, Theologie zu studieren. Das bedeutet Bücher, andere Menschen, andere Interessen. Es wird ihr Weg zurück zu sich selbst und zurück ins Leben. 

Ein langer Weg. Wer sie heute sieht, kann sich kaum vorstellen, dass sie einst das gebeugte Mädchen auf dem Foto war. Offen sind ihr Blick und ihre Haare. Sie trägt sie lang, in Wellen fallen sie ihr auf die Schulter, immer mal wieder schiebt sie einzelne Strähnen hinters Ohr, ohne sie ernsthaft bändigen zu wollen. Der Kragen ihrer Bluse steht offen, ihre Ärmel hat sie hochgeschoben, die Hände malen Gesten. Sie trägt Hosen. Es habe lange gedauert, bis sie sich das wieder getraut habe, sagte sie.

Im Werk wird niemand zum Bleiben gezwungen. Das heißt aber nicht, dass es leicht ist, zu gehen. Durch die Entmündigung entstehe eine psychische Abhängigkeit, sagt Klara. Wer gehen wolle, müsse damit fertig werden, seine einzigen verbliebenen Bezugspersonen für immer zu verlassen. "Es ist schließlich auch eine Berufung. Wer austritt, tut es in dem Bewusstsein, die Berufung und damit das eigene Lebensglück verspielt zu haben." Das sei, wie in die Verbannung zu ziehen. "Keiner geht in dem Bewusstsein, nun ein besseres Leben zu beginnen." 

Sie tut es trotzdem. Klara verlässt Das Werk im November 2012. Einige Monate darauf zeigt sie den Missbrauch bei der deutschen Polizei und bei der katholischen Kirche an.

Gerechtigkeit im Sinne einer Verurteilung des Täters wird Klara nie bekommen. Die Staatsanwaltschaft sieht keine Chance dafür. Das Verfahren wird eingestellt, da die Tat nicht in Deutschland geschah und weil sie sich nicht dagegen wehrte. Psychische Abhängigkeit genügt den Ermittlern nicht als Begründung bei einer erwachsenen Frau. Die Struktur des Ordens, die von ihm erzeugte Hilf- und Wehrlosigkeit, wurde offensichtlich nicht berücksichtigt. Es handele sich rechtlich höchstens um sexuelle Nötigung. 

Die Kirche hat ihre eigenen Wege, mit Tätern umzugehen. Immerhin wird der Priester aus Rom abberufen. Er habe Reue gezeigt, Buße getan und sei nun für interne Aufgaben wie Finanzen zuständig, heißt es. Für die Kirche ist der Fall damit erledigt. 

Was wenig wundert, hört man die Version, die Das Werk von dem Geschehen erzählt. Es sei gegenseitige Liebe gewesen, sagt Pater Georg Gantioler, der Leiter des Klosters Thalbach, in einem via Skype geführten Interview. "Die zwei haben sich irgendwo gefunden in diesem Haus in Rom. Aus Vertrauen ist Vertraulichkeit geworden und dann ist es eben auch zu sexuellem Kontakt gekommen. Aus der Darstellung des Mitbruders war das in gegenseitigem Einverständnis." Bis zum Ausscheiden von Klara aus der Gemeinschaft sei diese Liebe, dieses Wohlwollen gegenüber dem Mitbruder, zu spüren gewesen. 

Klara machen diese Worte wütend. "Ich hatte Todesangst und habe ihn gebeten, aufzuhören. Er hat einfach weitergemacht. Es hat ihn nicht gekümmert. Es hat furchtbar wehgetan." Zu keinem Zeitpunkt habe sie ihn geliebt, der Orden stricke nur an einer Legende und habe ihr schon damals nicht helfen wollen. "Tatsächlich wurde ich immer wieder psychisch unter Druck gesetzt. Bis zuletzt wurde mir eingeredet, ich wäre selbst schuld, und wenn ich das erst einsehen würde, würde es mir besser gehen."

Sektenartige Struktur

Eine Erfahrung, die nicht nur sie gemacht hat. Eine andere Schwester ging nach Jahren der Einsamkeit, sie fühlte sich ausgenutzt und ausgebrannt. Statt vom Werk Unterstützung zu bekommen, sollte sie gegen ihren Willen Psychopharmaka nehmen. Sie beschwerte sich 2005 bei ihrem heimatlichen Bischof über die Praktiken der Gemeinschaft. Der antwortete, ihr Brief lasse gut erkennen, wie schmerzhaft ihre Erfahrung gewesen sein müsse, und er wolle auch gern mit den Verantwortlichen reden. Vor allem aber solle sie sich Gott zuwenden und zur Erfüllung seines Willens bereit sein. "Es wird dann schon das Richtige herauskommen." Der ebenfalls von ihr angeschriebene apostolische Nuntius, der Botschafter des Vatikan in einem Land, antwortete, sie solle doch trotz aller negativen Erfahrungen in gutem Glauben in der Kirche "ausharren". In dem Brief heißt es wörtlich: "Ihren sicher sehr schmerzlichen und verwirrenden Erfahrungen stehen auch sehr positive Zeugnisse über diese Gemeinschaft gegenüber. Man wird also ohne viel Differenzierung unmöglich zu einer gerechten Beurteilung kommen." 

Katholische Orden sind nicht gerade pluralistisch. Wer dort eintritt, unterwirft sich jahrhundertealten Regeln. Es ist normal, als Mitglied eines Ordens kein eigenes Geld zu verdienen und alles der Gemeinschaft zu spenden. Es ist aber auch üblich, sich den Beichtvater selbst zu wählen. Und selbst in strengen Kongregationen werden Entscheidungen im Einklang mit den Betroffenen gefällt. Absoluter Gehorsam ist nicht ihr Weg. 

"Was mich stutzig macht, ist die starke Stellung der Gründerin Mutter Julia", sagt Pfarrer Martin Bräuer, Catholica-Referent am Konfessionskundlichen Institut Bensheim. Sie werde offenbar wie eine Heilige behandelt. Eine so überhöhte Gründerfigur könne durchaus ein Zeichen für sektenartige Strukturen sein: vollständige Reglementierung und Kontrolle, Abwertung der Außenwelt und das Betrachten des eigenen Glaubens als einzig wahre Lehre, eine unantastbare Führungspersönlichkeit, die Isolation der Mitglieder und der Versuch, ihnen die Persönlichkeit und die Eigenständigkeit zu nehmen. 

Wer Klara zuhört, sieht diese Kriterien bei der Geistlichen Familie Das Werk erfüllt. Die Geschichten anderer Aussteiger bestätigen ihre Beobachtungen. 

Klara ist nicht ihr richtiger Name. Sie will anonym bleiben, auch in der Hoffnung, nicht ständig mit ihrer Geschichte konfrontiert zu werden. Doch sie weiß, dass sie ihre Vergangenheit nicht loswerden wird. "Es wird immer ein Teil meiner Geschichte sein. Kein schöner Teil. Ich bin dreißig, mir fehlen entscheidende Jahre, Freundschaften schließen, Beziehungen leben, Erfahrungen machen – das habe ich alles nie gelernt und das hole ich so schnell auch nicht mehr nach."

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