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Missbrauchs-vorwurfe Seit 1942 Ausgewertet

Erzbistum Freiburg
July 18, 2014

http://www.erzbistum-freiburg.de/html/aktuell/aktuell_u.html?t=d2b22428f2a0d49ebf8cdbcbcec82a4c&tto=d0e64c95&&cataktuell=955&m=19718&artikel=34048&stichwort_aktuell=&default=true

Freiburg / Mannheim / Heidelberg. Das Erzbistum Freiburg ist entschlossen, alle Falle von sexuellem Missbrauch aufzuklaren und weitere Taten zu verhindern. Deshalb hatte das Erzbistum entschieden, samtliche Missbrauchs-Vorwurfe aus der Zeit von 1942 bis 2013 aufzuarbeiten. Jetzt liegt die Auswertung vor: Sie erfolgte in der Kanzlei der externen unabhangigen Beauftragten der Erzdiozese zur Prufung des Vorwurfs von sexuellem Missbrauch Minderjahriger (Dr. Angelika Musella / Freiburg) - in Zusammenarbeit mit einem ehemaligen Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts fur auslandisches und internationales Strafrecht in Freiburg.

Akten unter der Lupe externer Strafrechtsexperten

Wie das Erzbischofliche Ordinariat dazu am Freitag (18. Juli) in Freiburg weiter mitteilte, wird diese Auswertung nun einem interdisziplinaren Forschungsprojekt zur Verfugung gestellt, das den sexuellen Missbrauch an Minderjahrigen durch katholische Priester, Diakone und Ordensangehorige im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz genauer untersucht. Das Forschungskonsortium wird von Prof. Dr. Harald Dre?ing vom Zentralinstitut fur Seelische Gesundheit in Mannheim als Verbundkoordinator geleitet. Neben dem Zentralinstitut fur Seelische Gesundheit Mannheim sind das Kriminologische Institut der Universitat Heidelberg (Prof. Dr. Dieter Dolling, Prof. Dr. Dieter Hermann), das Institut fur Gerontologie der Universitat Heidelberg (Prof. Dr. Dr. Andreas Kruse, Prof. Dr. Eric Schmitt) und der Lehrstuhl fur Kriminologie der Universitat Gie?en (Prof. Dr. Britta Bannenberg) Mitglieder des Forschungskonsortiums.

Mehrzahl der Vorwurfe wurde erst ab Fruhjahr 2010 bekannt

Wie die externe Beauftragte der Erzdiozese Freiburg, Rechtsanwaltin Dr. Angelika Musella, dazu erklarte, wurden fur die Auswertung alle aktenkundigen Vorkommnisse aus der Erzdiozese Freiburg mit Verdacht auf Missbrauch erfasst: „Ausreichend war zum Beispiel eine blo?e Aktennotiz uber ein Telefonat, bei dem ein solcher Verdacht zur Sprache kam.“ Die Auswertung beruht auf protokollierten Gesprachen mit Opfern sowie auf grundlichem Aktenstudium - systematisiert durch einen Fragebogen mit 43 Rubriken. Die Fragebogen waren von einem fruheren Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts fur auslandisches und internationales Strafrecht auf der Basis vergleichbarer Studien erarbeitet und ausgewertet worden. Dr. Musella hatte das Amt der externen Beauftragten im Erzbistum Freiburg zum 1. Januar 2011 ubernommen. Hintergrund: In ihren (im Herbst 2010 uberarbeiteten) Leitlinien zum Umgang mit sexuellem Missbrauch hatte die Bischofskonferenz entschieden, Verdachtsfalle in den Diozesen mit Blick auf die Objektivitat und Transparenz des Verfahrens durch externe Fachleute aufklaren zu lassen. Die Mehrzahl der Vorwurfe war der Kirche selbst erst in den vergangenen vier Jahren bekannt geworden: Die meisten der Opfer meldeten sich im Zuge der weltweit gefuhrten Diskussion zum Thema ab Fruhjahr 2010.

„Aus den Erfahrungen gelernt – Pravention gilt als vorbildlich“

„Wir wollen diese dunkle Seite unserer Kirche aufklaren: Um der Opfer willen und um moglichst alles dafur zu tun, dasssich solche Verfehlungen nicht wiederholen“, erklarte der emeritierte Erzbischof Dr. Robert Zollitsch. Er hatte Wert darauf gelegt, die Auswertung der Opfer-Gesprache und Akten durch externe Juristen rechtzeitig zum Start des interdisziplinaren Forschungsprojektes vorlegen zu konnen. Die Bischofskonferenz hat den Vertrag mit dem Forschungskonsortium Ende Juni beschlossen. Zollitsch ist zuversichtlich, dass die wissenschaftliche Aufarbeitung nun vorankommt: „Die Erzdiozese hat aus den Erfahrungen gelernt, lasst alle Vorwurfe durch externe Fachleute auswerten und tut alles, was in ihrer Macht steht, damit Menschen, die sich der Kirche anvertrauen, in ihrer Wurde respektiert werden.“ Auch der ehemalige Bundestagsabgeordnete Robert Antretter, der eine unabhangige Kommission zum Thema sexueller Missbrauch in der Diozese Rottenburg-Stuttgart geleitet hat, begru?t die Aufarbeitungs-Aktivitaten der Erzdiozese Freiburg: Die Kirche sei in der Aufarbeitung und Pravention inzwischen wegweisend. Antretter ermutigt auch andere Institutionen, das Thema anzupacken, Vorwurfe aufzuklaren und Opfern eine Moglichkeit zu geben, uber ihr Leid zu sprechen. Denn wie auch die Auswertung im Erzbistum Freiburg zeigt, leiden Opfer teilweise noch nach Jahrzehnten bis heute zum Beispiel unter Depressionen, Schlaf- und Beziehungs-Storungen.

Erzbistum: „Anerkennung des Leids - nicht nur durch Finanzhilfe“

Wie aus der statistischen Auswertung der Missbrauchsfalle der Erzdiozese hervorgeht, sind im Zeitraum von 1942 bis 2013 insgesamt 185 Opfer dokumentiert. Hinzuweisen ist auf 72 so genannte Heimkinder, die - soweit es sich um Ubergriffe mit sexueller Relevanz handelt - in diesen Zahlen enthalten sind. Heimkinder waren besonders wehrlos und verfugten uber keine Ruckzugsmoglichkeiten. Hier begann der Missbrauch oftmals im Kleinkindalter. Ein Gro?teil der Falle betrifft die Zeit von 1960 bis 1990. Dem stehen 119 Beschuldigte gegenuber - davon wurden 23 mehrfach als Tater genannt. Die Ubergriffe reichen von verbalen sexuell gefarbten Angriffen bis zur Vergewaltigung - viele der Opfer sind von Beschuldigten in irgendeiner Weise eingeschuchtert worden. Bei den Opfern handelte es sich oft um Kommunionkinder, Ministranten sowie Kinder aus „gut katholischen Elternhausern“. In 38 Fallen kam es zu einer strafrechtlichen Verurteilung der Tater. Die meisten Falle endeten allerdings ohne eine Verurteilung, weil Verjahrung eingetreten war oder nach Auffassung der zustandigen Staatsanwaltschaften kein strafrechtlich relevantes Verhalten vorlag („Distanzlosigkeit“).

Inzwischen hat die Erzdiozese Freiburg rund 130 Opfern finanzielle Leistungen in Anerkennung des Leids uberwiesen. Wo dies beantragt wird (knapp 60 Prozent der Falle), werden zudem die Kosten fur zusatzliche Therapieleistungen durch die Diozese ubernommen. Die Untersuchungen ergaben als Folge der Ubergriffe eine erhebliche physische und psychische langjahrige Beeintrachtigung der Opfer, die bei Heimkindern oft in verscharfter Form auftraten. Wie aus der Auswertung hervorgeht, zeigen sich dennoch mehr als 90 Prozent der Opfer daruber erleichtert, dass ihr Anliegen angehort und ernst genommen wurde. Die finanzielle Zuwendung spiele dabei „"eine hilfreiche, aber nicht entscheidende Rolle“.

 

 

 

 

 




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