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Über die fatale Scheinheiligkeit der katholischen Kirche

By Georg Dietlein
HuffingtPost
October 18, 2014

http://www.huffingtonpost.de/georg-dietlein/scheinheiligkeit-katholische-kirche_b_5958370.html


[Corruption, money laundering and hustlers in the Vatican, sexual assault of minors by bishops and priests, gay sex orgies in the seminary.

Much Has been said and some stories are just rumors. But behind all this lies a kernel of truth. The Catholic Church more often than not lacks massive credibility. These are not just isolated incidents but systematic failure.]

Korruption, Geldwäsche und Stricher im Vatikan, sexuelle Übergriffe von Bischöfen und Priestern auf Minderjährige, schwule Sexorgien im Priesterseminar. Und das in der katholischen Kirche?

Vieles wird erzählt und manches sind auch nur Gerüchte. Doch hinter all dem steckt ein wahrer Kern: Die katholische Kirche hat gegenwärtig massive Glaubwürdigkeitsprobleme, weil bei ihrem „Bodenpersonal" immer häufiger Anspruch und Wirklichkeit auseinanderfallen.

Doch mittlerweile handelt es sich dabei nicht mehr nur um Einzelfälle, sondern um systematisches Versagen. Ein gravierendes Problem sind all die, die sich von der katholischen Kirche mit ihren Traditionen und Ritualen angezogen fühlen - ohne etwas mit Jesus Christus am Hut haben zu wollen.

Auch Priester sind nur Menschen

Spätestens seit 2010 beschäftigt der Missbrauchsskandal die katholische Kirche in Deutschland und weltweit fast täglich. Immer wieder kommen neue Missbrauchsfälle zum Vorschein, weil Opfer erst nach Jahrzehnten den Mut fassen, ihre Vorwürfe zur Sprache zu bringen.

Erst vor wenigen Wochen hat der Vatikan einen ehemaligen polnischen Bischof unter Hausarrest gestellt, der sich an Kindern in der Dominikanischen Republik vergangen haben soll. Und das bei einem Menschen, der als Vatikan-Botschafter eigentlich den Heiligen Vater vertreten sollte!

Das führt uns zu einer ersten Erkenntnis: Auch die Kirche besteht nur aus Menschen, mit ihren eigenen Fehlern und Problemen ringen. Doch daran kann (und muss) man arbeiten.

Systematische Missstände?

Soweit so gut. Wenn es nur das wäre. Doch gerade in den vergangenen Jahren wurde deutlich, dass das Versagen von Kirchenvertretern über den Einzelfall hinausgeht. Auch in der katholischen Kirche, die das Kirchenattribut „heilig" trägt, gibt es Scheinheiligkeit.

In bestimmten Kreisen und Milieus führen Priester sogar ein Doppelleben. Kindesmissbrauch und Vatileaks sind nur die Spitzen des Eisberges, der langsam zum Vorschein kommt.

In seinem Buch „Das 11. Gebot - Du sollst nicht darüber sprechen - Dunkle Wahrheiten über das Priesterseminar" berichtet der ehemalige Priesteramtskandidat Daniel Bühling von seiner Zeit im Spätberufenenseminar St. Matthias Waldram, im Priesterseminar St. Hieronymus Augsburg und im Studienhaus St. Lambert Lantershofen - und benennt ganz klar die Probleme und systematischen Missstände, die er erlebt hat:

Scheinheiligkeit und Doppelmoral, praktizierte Homosexualität, schwule Sexorgien in der Sauna des Priesterseminars, Alkoholismus, Frauenfeindlichkeit, Lagerdenken, Mobbing, Karrierismus, Klerikalismus und Klerikalfetischismus.

Schwule Sexorgien und Homo-Netzwerke?

Zwei kleine Passagen aus dem Buch von Daniel Bühling sollen uns die Augen dafür öffnen, wovor wir die Augen nicht verschließen dürfen. Bühling, der mittlerweile aus der katholischen Kirche ausgetreten ist und in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebt, berichtet:

Eines Tages erlebte ich ... eine dicke Überraschung: Ich bekam mit, wie die Pullunderträger untereinander über einen Mitschüler aus dem liberalen Lager herzogen, er sei schwul und ein schlechter Christ, und sie raunten, sie würden ihm Schaden zufügen.

Alarmiert warnte ich meinen Kumpel, dass er derzeit das Opfer des Geredes war. Daraufhin starrte er mich entgeistert an und fragte: Woher weißt du das, und woher wissen die, dass ich dabei war?

Verwirrt fragte ich zurück: Wo warst du dabei? Und da erzählte er mir im Vertrauen, dass es auf einem der Zimmer eine schwule Gruppensexorgie mit fünf Männern gegeben habe."

Das ist wirklich schon ein Skandal. Noch nachdenklicher macht uns vielleicht folgende Passage:

Schwule, die ihre Sexualität heimlich ausleben, haben in der Kirche beste Karrierechancen. In keinem anderen Betrieb sind die schwulen Netzwerke - sprich: nach außen getragene Homophobie und nach innen gelebte Männerfreundlichkeit - so stark wie in der katholischen Kirche: Wer sich in diese Gesellschaft einfügt, sie mitträgt und stärkt und stets das elfte Gebot befolgt, der hat gute Chancen, ganz nach oben zu kommen. Keiner verrät den anderen, alle leben, wie sie möchten, alle verstehen sich und bilden nach außen hin eine Einheit, wenn es darum geht, Sexualität und speziell Homosexualität als sündhaft abzustempeln."

Ratlosigkeit und Resignation auf Seiten der Verantwortlichen?

Freilich: Für die Leitung eines Priesterseminars ist es extrem schwierig, hinter die Stirn jedes einzelnen Seminaristen zu schauen. Scheinheilige heißen ja gerade deshalb „scheinheilig", weil sie den Anschein von Heiligkeit vermitteln.

Im Laufe der Zeit im Priesterseminar - allein bis zur Diakonenweihe vergehen ja etwa sechs Jahre - kommt die Wahrheit aber immer ans Licht - zumindest dann, wenn die in der Priesterausbildung Verantwortlichen Augen und Ohren offen halten. Lügen haben kurze Beine.

Doch: Wollen alle Verantwortlichen die Wahrheit wirklich wahr haben? Wenn es nach Daniel Bühling geht, wird auch hier aufgrund der Knappheit an Priesterberufungen so manches Auge zugedrückt.

Kirche ja, Christus nein?

In einigen kirchlichen Kreisen, gerade auch in deutschen Priesterseminaren, hat sich eine Haltung eingeschlichen, die eigentlich absurd klingt: Kirche ja, Christus nein.

Was „68er" früher mit „Christus ja, Kirche nein" zum Ausdruck brachten, begegnet auch in umgekehrter Form: als ausgeprägte Liebe zur Kirche, die aber nicht in der Beziehung zu Jesus Christus gründet, sondern im Angezogensein von kirchlichen Ritualen und Zeremonien, von einer reinen Männergesellschaft im kirchlichen Klerus, von Weihrauch, Mitren und Kaseln - letztlich: Ästhetizismus und Bigotterie, die gerne auch einmal in ästhetischen Amoralismus und bigotten Karrierismus münden.

Angesichts unserer eigenen Sündhaftigkeit wäre es wohl vermessen, den Zeigefinger gegen jemanden zu richten. Auch wir dürfen uns immer wieder einmal an die eigene Nase fassen und unsere Christus-Beziehung auf den Prüfstand stellen: Liebe ich Jesus wirklich - oder liebe ich nur seine Geschenke? Pflege ich mein Verhältnis zu Gott, wenn ich ihn „brauche" - oder bete ich auch dann, wenn ich ihn scheinbar nicht brauche?

Wie steht es um den Empfang der Sakramente und mein Verhältnis zum Nächsten? Gehe ich regelmäßig in die Kirche und beweise Gott meine Liebe in den kleinen Dingen, die auch einmal Überwindung kosten können, etwa im heiligen Rosenkranz oder in der tätigen Nächstenliebe?

Mit der Heiligkeit der Kirche steht und fällt ihre Glaubwürdigkeit

Zu Christus führen können wir andere nur dann, wenn wir wirklich (glaub)würdige Zeugen sind. Das bedeutet nicht, dass wir perfekt sein müssen. Aber: Wir sollten an uns arbeiten und zumindest kämpfen. Es ist etwas anderes, ob wir bestimmte moralische Ansprüche hochhalten und eingestehen „Auch ich bleibe manchmal hinter meinen Ansprüchen zurück" - oder ob wir so tun, als seien wir perfekt, obwohl hinter der Fassade alles modert und bröckelt.

Kirche ja, Christus nein? Die katholische Kirche in Deutschland ist gerade deshalb für viele so unglaubwürdig, weil es bei einem Großteil aller Kirchenmitglieder an der Beziehung zu Jesus Christus hapert.

Wir nennen uns Christen, aber letztlich bedeutet Christentum für uns nicht mehr als „christliche Werte". Wir feiern Weihnachten, aber wir glauben nicht mehr daran, dass Gott uns wirklich in Jesus Christus nahe gekommen ist.

Wir gehen vielleicht noch in die Kirche - aber nicht mehr um Jesus Christus zu begegnen, sondern um mit Freunden etwas gemeinsam zu unternehmen, Kirchenmusik zu hören oder zur Ruhe zu kommen.

Das „dem Namen nach christliche Europa ist seit rund vierhundert Jahren zur Geburtsstätte eines neuen Heidentums geworden, das im Herzen der Kirche selbst unaufhaltsam wächst und sie von innen her auszuhöhlen droht", mahnte der damalige Privatdozent Joseph Ratzinger bereits 1958.

Das größte Problem, das die katholische Kirche heute hat, sind nicht all ihre Kritiker, die sich von ihr bereits getrennt haben, sondern all jene „Taufscheinchristen", die ihr zwar formell noch angehören, sich im Herzen aber längst von Christus verabschiedet haben.

Besonders brisant wird es dann, wenn junge Männer Priester werden wollen, die sich allein aufgrund von Äußerlichkeiten von der Kirche angezogen fühlen.




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