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Dokumentation Sexuelle Gewalt in der katholischen Kirche

By Wolfgang Blaschka
Kritisches Netzwek
November 7, 2014

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Wir sind Frauen, die in der Kindheit, Jugend oder im Erwachsenenalter Gewalt erlebt haben. Diese Gewalt erfuhren wir körperlich, seelisch, sexuell oder als Kombination dieser Gewaltformen. Sie war einmalig, mehrmalig oder auch langjährig. Sie konnte in der Familie, einer Beziehung oder Ehe, in einer Schule, in der Jugendarbeit, aber auch in Therapie oder Seelsorge geschehen. Sie ging von Menschen aus.

Jede von uns hat ihre eigene Geschichte und ihre eigenen Bewältigungsstrategien. Von unserer Verschiedenheit können wir lernen - die Gemeinsamkeit der Traumatisierung jedoch ist es, die uns verbinden kann.

Wir sind unsichtbar und machen uns unsichtbar. Die Scham, Opfer geworden zu sein, lässt uns ebenso verstummen wie das gesellschaftliche und kirchliche Schweigetabu. Für die kirchliche und gesellschaftliche Öffentlichkeit ist das Wissen um Opfer von Gewalttaten - und damit natürlich auch das Wissen um Täter und Täterinnen - schwer zu ertragen.

Dieses Wissen konfrontiert Menschen mit der Erkenntnis, dass das Leben, die Menschen, die Welt, Gott vielleicht nicht so zuverlässig und sicher sind, wie das für ein normales Leben anzunehmen notwendig ist. Dieses Wissen führt zur Erkenntis, dass jede/r von uns Opfer einer Gewalttat werden kann.

Sie hat offenbar klar erkannt, dass es nicht darum geht, dass ein Kirchenmann sagt: "Ich entschuldige mich". Sondern dass es darum gehen muss, dass wir ihm verzeihen. Nicht weil wir Gott spielen wollten, sondern weil er (in seinen Kategorien gesagt) des Teufels war, als er Täter oder aber Mittäter durch Verschweigen wurde. Sie sind es fast alle, die der Aufklärung im Wege stehen und ihr nicht aktiv, aufrichtig und kompetent zum Durchbruch verhelfen. Denn sie wissen und wussten, was sie tun und taten. Ihr Erstaunen über die Dimensionen oder über diesen oder jenen Fall können sie ihrem höchsten Herrn vorgaukeln, aber nicht uns. Denn wir wissen und wussten, was sie uns angetan haben. Und wir wissen, wie sie sich bemühten, das unter dem Teppich zu halten, teils mit konkreten Einschüchterungen und Drohungen, Verwarnungen und "Vergatterungen" gegen die Opfer oder Zeugen von Übergriffen.

Viele, die meisten leiden heute noch darunter, dreißig, vierzig Jahre danach, und gehen an das Grab ihres ehemaligen Peinigers, um darauf zu pissen. Das sagt doch alles darüber, wie es in mancher Psyche noch präsent ist, das Leid, der Schmerz, die Scham, die Wut. Die wenigsten reden offen darüber. Und kaum jemand unbefangen. Ich sehe das ähnlich wie die Betreiberin der Website "gottes-suche", wenn auch ohne die Gottes-Metapher: Der Graben zwischen Opfern und Tätern ist bodenlos abgründig. Er wäre nur überbrückbar, wenn es mehr solche gäbe wie sie, und wenn es nicht nur die einfachen Kirchenmitglieder, sondern verantwortliche Amtsträger wären, die sagen würden: Mea maxima culpa. Und zwar nicht nur für sich selbst und ihr persönliches Versagen oder ihre Verstrickung oder konkrete Täterschaft, sondern im Namen der gesamten "Una Sancta Catholica", jenes Systems der Unterdrückung, Entsolidarisierung, Gefügigmachung und Erniedrigung.

Einzelne "Fehltritte" waren es nämlich nicht. Die rigide Disziplinierung hatte System. Wir sollten hart werden wie sie selbst. Sie können von Glück reden, dass es ihnen in den meisten Fällen nicht gelungen ist, sonst hätten wir uns bitter gerächt. Sie wären vermutlich von einigen meiner Klassenkumpels nicht nur genüsslich malträtiert, sondern eiskalt tot geschlagen worden, wenn ihr Erziehungskonzept an uns wirklich Früchte getragen hätte. Denn ihre Autorität hatten sie gründlich verspielt. Übrig geblieben wäre der blanke Hass. Dass aus uns halbwegs sozialkompatible Menschen geworden sind, lag gewiss zuletzt an der Kirche. Dazu mussten wir uns selbst emanzipieren. Ob wir ihre Bitte um Verzeihung annehmen könnten, weiß ich immer noch nicht, und werde es erst wissen, wenn sie tatsächlich aufrichtig, umfassend und mit Konsequenzen im Handeln vorgetragen ist. Da müsste sich die Kirche radikal wandeln. Nicht für mich, mir bedeutet das nichts. Um ihrer selbst und ihrer Mitglieder willen.

So wie es jedoch in Limburg aussieht, geht es genauso weiter wie bisher, selbst wenn der Papst den Protzbischof absetzt. Mit Beten und Singen ist es da nicht getan. Da muss schon strukturell Grundlegendes passieren. Aber das geht mich nichts an. Bei mir hat's schon vor über vierzig Jahren dreizehn geschlagen. Mit 14 war ich scheinbar darüber hinweg. Heute merke ich: Es tut immer noch weh, wenn ich nur dran denke. Richtig physisch, Schlag auf Schlag. Traumata bleiben ein Leben lang. Darum muss die Forderung nach Abschaffung der Verjährungsfristen ganz oben anstehen, gerichtet an den Staat. Aber der ist noch nicht einmal willens und fähig, das Konkordat aufzukündigen, eine Grundlage selbstherrlichen kirchlichen Machtmissbrauchs. Die Kirche profitiert davon viel zu sehr, als dass sie sich von ihrem Vertrag mit dem Verbrecher Hitler verabschieden würde, damit wenigstens ihre zivilen Mitarbeiter aus sozialen Einrichtungen in den vollen Genuss der Grundrechte gelangen könnten. Das wiederum interessiert mich als Staatsbürger sehr wohl. Die Zeit des Absolutismus sollte nämlich längst vorüber sein. Ich wünsche den demokratisch gesinnten Katholiken viel Erfolg bei ihrer zweifellos nötigen internen Umwälzung. Und den Frauen die nötige Power. Denn eines ist sicher. Die geschlossene Veranstaltung einer Männergesellschaft zu knacken ist fast so hart wie in ihr zu leben und sich zu behaupten. Wir ehemaligen Domknäblein können eine ganze Reihe Lieder davon singen.

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[1]  Ich bezweifle die Richtigkeit dieser Aussage. Wenn man grob davon ausgeht, dass im Laufe einer Schuljahres beinahe jeder, mindestens zwei Drittel einmal die brutale Gewalt des sadistisch veranlagten Internatsdirektors zu spüren bekommen hat, wenn die Hälfte des öfteren und vielleicht ein Drittel mindestens einmal im Monat mit Stockschlägen gezüchtigt wurden, und wenn ich vorsichtig geschätzt von etwa einem Sechstel bis Siebtel meiner ehemaligen Mitschüler sagen kann, dass sie jede Woche und manche mehrmals die Woche das Pfeifen der Weidenrute auf ihren Fingernägeln oder das Spreißeln des Bambusrohrs auf den Fingerkuppen zu erdulden hatten, dann kann etwas nicht stimmen mit der Statistik, die angeblich besage, dass in kirchlichen Einrichtungen verhältnismäßig weniger geschlagen, geohrfeigt, gedemütigt oder auch direkt sexuell misshandelt worden sei.

In meinem Erlebnishorizont war sexualisierte Gewalt an der Tagesordnung. Es gab einen regelrechten Strafkodex: 5, 10 oder 15 Schläge je nach (meist nichtigem) Anlass, oft auch aus dem schlichten Grund, weil der "Direx" oder der nicht minder brutale Hilfspräfekt einen auf dem Kieker hatte. Das ging jahrgangsweise so, am schlimmsten in der Vorschule in Etterzhausen, aber ähnlich und noch lange grausam weiter für Einzelne im Musikgymnasium der Regensburger Domspatzen in der Stadt. Der sprichwörtliche Jähzorn des Domkapellmeisters Ratzinger (des Altpapst-Bruders) war noch das Harmlosere im Vergleich zum Unterstufen-Präfekten "Prügel" (der eigentlich Freundl hieß) und den meisten anderen kriminellen Priestern oder Seminaristen.

Fast alle übten sich in schwerer Körperverletzung (hartes Schlagen mit Gegenständen, gezielte Kopfnüsse, heftige Ohrfeigen). Einige in gezielten sexuellen Übergriffen (von Anal-Penetration bis zur "Penis-Salbung") Es gab nur wenige Ausnahmen unter dem kirchlichen Personal, die nicht schlugen oder "nur" aus dem Affekt ohrfeigten. Ich wüsste wirklich nicht nachzuvollziehen, wie man bei den massenhaften Berichten aus so vielen kirchlichen Einrichtungen zu dem Schluss kommen könne, "draußen" im "Zivilleben" oder in der Familie oder im Sportverein sei es prozentual härter oder häufiger zur Sache gegangen. Auch in dieser Hinsicht muss ich zugeben: Ich höre wohl die Worte. Allein, mir fehlt der Glaube. Auf mich wirkte das Terrorregime umfassend.

Ich wundere mich über die Verdrängungskünste mancher Mitschüler oder ihre Bereitschaft, das heute noch akzeptabel zu finden. Das lange, einsame Schweigen mancher besonders hart Betroffener kann ich noch am ehesten verstehen. Auch die Wut der anderen, die sich ausagierend selbst therapieren. Für Feigheit und Opportunismus fehlt mir jedes Einfühlungsvermögen.

Unsere Unsichtbarkeit und unser Schweigen werden weder uns noch andere schützen. Sie spielen den Tätern und Täterinnen in die Hände. Das darf - um Gottes willen - nicht sein.

 

Dokumentation Sexuelle Gewalt in der katholischen Kirche


Eine Website, die sich tatsächlich um Aufklärung bemüht


Ein Atheist lobt die "gottes-suche"

Unter den Katholiken, die es mit der Aufklärung der Kirchenverbrechen an Kindern und Jugendlichen wirklich ernst meinen, sind auffallend wenige Kleriker, kaum jemand aus der römischen Kurie. Doch unter "Laien" sind welche zu finden: Kirchenmitglieder, die begriffen haben, dass die Opfer sexualisierter Gewalt im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen müssen, nicht die Täter. Letztere wurden lange genug beschützt und gedeckt von der treu sorgenden "Mutter Kirche", welche ihnen die ihr Anvertrauten oft genug "zum Fraß" vorgeworfen hat, als Frischfleisch für ihre missbräuchlichen Ambitionen, sie zu formen zu frommen Untertanen vor dem Herrn (und ihnen). Das Kirchenrecht half ihr dabei, schrieb es ihr geradezu vor, und machte ihr das rigide "Rabenmutter"-Verhalten erst möglich. Die Strukturen sind es nämlich, die die Kirchenkriminalität befördern: Der Zölibat, das Konkordat, die innerkirchliche Jurisprudenz mit ihrer immanenten Selbstgerechtigkeit, kircheninterne Geheimhaltung und Vertuschung, erzwungene Loyalität und Papstgehorsam. All das muss überwunden werden. Darunter wird kaum etwas gehen.

Ich will nicht beurteilen oder gar erwarten, ob sie das auch so sehen mag, jedenfalls scheue ich mich nicht, ihren Blog zu empfehlen. Er besteht im Wesentlichen aus einer überaus ergiebigen Chronologie von Veröffentlichungen zum Thema bis in die jüngste Zeit hinein, außerordentlich umfangreich natürlich im Jahr der großen Skandal-Aufdeckung 2010 und der sich daran entzündenden Debatte. Teils mit Kommentaren versehen sind die Publikationen direkt verlinkt, nach absteigendem Datum geordnet. Allein die Lektüre der kurzen Kapitel lässt erschaudern über die ruchlose Kaltschnäuzigkeit, mit der die Amtskirche auf die Anklagen und Vorwürfe von Opfern, Presse und Wissenschaftlern reagiert, die Aufklärung fordern, Einsicht in Archive begehren, selbstkritische Einsichten einfordern. Meist sind die Reaktionen absolute Fehlanzeige, mal wohlfeile Worte, aber oft genug freches Abwimmeln, Leugnen, Ablenken, Verharmlosen, Kleinreden und im Zweifelsfall sogar offene Drohung mit einer Verleumdungsanzeige, hin und wieder irreführende Absichtserklärungen, denen keine Taten folgen. Bei manchen besonders hartleibigen Äußerungen warnt die Autorin dieses verdienstvollen Almanachs gar mit dem Hinweis "Triggergefahr", um den Betroffenen schmerzliche Begegnungen mit der bis heute konservierten Kälte der Kirche zu ersparen. Es kann einen wirklich frösteln, wenn man liest, wie formalistisch, uneinsichtig und absichtsvoll verschleiernd da von manchem Amtsträger geredet wird. Von Reue wenig zu spüren, von tiefer Gewissenserforschung kaum, von Bekennermut schon gleich ganz selten.

Unter dem Datum 20.03.2010 bekennt Erika Kerstner ihrerseits "Persönliches zwischendurch: Es führt kein Weg an der Aufdeckung von Missbrauchsfällen vorbei. Es führt auch kein Weg daran vorbei, dass die Verantwortlichen in meiner Kirche, die Täter geschützt haben und Opfer alleine gelassen haben, sich wirklich zu den Opfern bekehren. Nur so und nur dann hat die Kirche noch eine Chance, hierzulande Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Ohne Glaubwürdigkeit wird es kein Erzählen der frohen Nachricht geben."

Zwar stimmen die Botschaften über den Klerus und die Kirche alles andere als froh, aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Oder ist es vielleicht der Glaube? Gerade ihre unbeirrbare Betroffenheit als Christin lässt sie so akribisch ackern und graben. Sie hat keine Angst vor den Leichen, die schon knapp unter der Erdkrume und den Teppichen zu finden sind. Die faulen Ausreden, die verwesten Allgemeinplätze, die stinkenden Unverschämtheiten scheut sie nicht auszubuddeln und anzuschaun, auch wenn es ihr weh tut und sie regelrecht zu ekeln scheint. Sie fährt fort:


"Der taz-Kommentator sagt es völlig richtig so: ‚Die katholische Kirche ist angesichts des Missbrauchsskandals derzeit wie in einem Zeitraffer einem umfassenden Lernprozess ausgesetzt. Dieser Prozess ist schmerzhaft und wird lange dauern. Das Gute aber ist: Die Kirche hat keine Alternative.‘ Gesagt sei, dass es keine Freude macht, Chronistin von Täterschutz und Opfer-Einsamkeit zu sein – aber irgend jemand muss diesen Job tun. Gesagt sei auch: Es ist absolut richtig, dass die überwältigende Mehrheit der Missbrauchsopfer in ihren Familien und im Nahbereich zum Opfer wird und nur eine statistische Minderheit im kirchlichen Kontext. Aber diese richtige Aussage [1] macht das Leid der Opfer leider nicht kleiner. Sie vernachlässigt auch völlig, dass Missbrauch durch Priester den Opfern zeigt: Der Gott der Täter steht nicht auf der Seite der Opfer. Damit fällt Gott für die Opfer als Appellationsinstanz gegen himmelschreiendes Unrecht aus. Und das ist wirklich schlimm."

 

Selten äußert sie sich so selbstbezogen, überwiegend, ja fast immer an der Sache orientiert. Sie stellt sich in den Dienst der Aufklärung. Das darf man einer gläubigen Katholikin mehr als hoch anrechnen. Ich tue es mit Respekt und besten Wünschen für ihr Projekt, als Atheist. Für mich gibt es ihren Gott schon lange nicht mehr. Sie haben ihn mir schon als kleiner Domspatz gründlich aus dem Leib geprügelt. Satanisch sadistisch, wie sie eben damals so waren, die schwarzen Pädagogen in schwarzen Kutten. Es wäre mir eine Genugtuung, würden ihre schwarzen Seelen in der Hölle schmoren. Nur schade, dass ich auch daran nicht mehr glauben kann. Nach allem, was ich erlebt und gesehen habe, sind die Hauptmerkmale der katholischen Kirche die Lüge und die Heuchelei, die Bigotterie und die moralinsaure Doppelbödigkeit. Umso erfreulicher zu sehen, dass nicht alle so brave, folgsame und ängstliche Schäfchen sind, wie sie viele Seelsorger gern hätten: Loyal um jeden Preis, gläubig für jeden Unsinn, empfänglich für jene Ignoranz, die aus den Predigten und Stellungnahmen der Kirchenoberen wie verräterischer Ausfluss aus Eiterbeulen verleugneter Schuld quellen.




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