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Länder streiten über Hilfsfonds

By Von Miriam Hollstein
Die Welt
December 29, 2014

http://www.welt.de/print/die_welt/politik/article135813724/Laender-streiten-ueber-Hilfsfonds.html

Es war ein ungewöhnlicher Brief, der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) kürzlich erreichte: Unterzeichnet hatten ihn die Behindertenbeauftragten aller vier Fraktionen im Bundestag – ein seltener Akt der Einmütigkeit. "Sehr enttäuscht" habe man zur Kenntnis gekommen, dass die Arbeits- und Sozialminister der Länder auf ihrer Sitzung Ende November sich mehrheitlich gegen eine Beteiligung an einem Hilfsfonds für missbrauchte behinderte Heimkinder ausgesprochen hätten. "Aus unserer Sicht geht es um eine gemeinschaftliche Verantwortung der Länder, des Bundes und der Kirchen", steht in dem Schreiben. "Eine Verweigerung der Länder ist deshalb aus unserer Sicht nicht akzeptabel."

Als der von Bund und Ländern eingerichtete "Runde Tisch Heimerziehung", der sich mit dem Missbrauch von Kindern in westdeutschen Heimen in den 50er- und 60er-Jahren beschäftigt hatte, 2011 seine Empfehlungen vorlegte, da blieb eine Gruppe außen vor: Heimkinder, die in Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Psychiatrie misshandelt wurden. Das war kein Versäumnis des Runden Tisches. Dieser wies in seinem Abschlussbericht explizit darauf hin, "die Bearbeitung der Thematik der Behindertenheime" habe nicht zu seinem Auftrag gehört. Für die nicht behinderten ehemaligen Heimkinder wurde ein Fonds in Höhe von 120 Millionen Euro aufgelegt. Anfang 2013 forderte der Petitionsausschuss des Bundestags eine Änderung des Opferentschädigungsgesetzes (OEG). Auch behinderte Heimkinder müssten die Möglichkeit erhalten, über das Gesetz Leistungen zu beziehen.

Das OEG ist 1976 in Kraft getreten. Opfer, die in der Zeit davor Missbrauch erlebten, haben nur in Einzelfällen Anspruch auf gesetzliche Versorgungsleistungen. Nach der Bundestagswahl kündigte das Sozialministerium deshalb auch einen Fonds für behinderte Heimkinder an. Wie bei dem anderen Fond sollte dieser zu je einem Drittel von Bund, Ländern und Kirchen finanziert werden. 20 Millionen Euro stellte das Ministerium dafür schon einmal vorab zur Verfügung. Doch der Vorschlag fiel auf der November-Sitzung der Arbeits- und Sozialminister durch: Außer Bayern lehnten ihn alle anderen Länder ab.

"Aufgrund der Erfahrungen mit dem bestehenden Fonds 'Heimerziehung' wollen die Länder gemeinsam mit dem Bund einen rechtssicheren Weg finden, um den Betroffenen möglichst rasch geeignete Hilfe zugutekommen zu lassen", begründet ein Sprecher des nordrhein-westfälischen Sozialministeriums gegenüber der "Welt" den Schritt. Deshalb habe man der Bund-Länder-Arbeitsgruppe den Auftrag erteilt, konkrete Vorschläge zu erarbeiten, die "insbesondere auch notwendige Anpassungen in bestehenden sozialen Sicherungssystemen vorsehen sollen". Auch Baden-Württemberg möchte erst prüfen lassen, ob man eine Entschädigung nicht besser über andere Wege, etwa eine Angleichung des Rentenrechts, gewährt. Die Bayern, die als Einzige dem Fonds zugestimmt hatten, kommen zu einer anderen Beurteilung. "Es ist sehr bedauerlich, dass die anderen Bundesländer dem Vorbild Bayerns nicht folgen wollen", sagte Sozialministerin Emilia Müller (CSU) der "Welt". Bayern werde weiterhin für den Hilfsfonds werben, "damit die Betroffenen endlich Gerechtigkeit erfahren".

Der unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, nannte den Beschluss der Arbeits- und Sozialminister "sehr bedauerlich". "Eine schnelle und unbürokratische Lösung zur Linderung des Leids, das Kinder und Jugendliche in Heimen der Behindertenhilfe und Psychiatrie erfahren haben, ist dringend erforderlich", sagte Rörig der "Welt". "Ein Verweis auf die bestehenden Regelsysteme kann nur dann überzeugen, wenn diese erheblich nachgebessert werden." Es könne nicht sein, dass eine von sexueller Gewalt besonders betroffene, schutzbedürftige Gruppe schlechtergestellt werde als andere Missbrauchsopfer: "Hier darf es nicht nur beim unverbindlichen Mitgefühl bleiben."

Das sieht auch der Behindertenbeauftragte der Unionsfraktion im Bundestag, Uwe Schummer, so. "Es gibt keinen Grund, den zweiten Fonds für missbrauchte behinderte Heimkinder anders aufzulegen als den ersten. Ich appelliere an die Länder, ihre Blockade zu beenden oder einen konkreten Vorschlag zu machen." Im Frühjahr wollen die Minister erneut über das Thema beraten.




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