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Die Akte Regensburger Domspatzen

Der Regensburg-Digital
December 30, 2014

http://www.regensburg-digital.de/die-akte-regensburger-domspatzen/30122014/

Vom Umgang des Bistums Regensburg mit den missbrauchten Domspatzen: Am 7. Januar, 23.30 Uhr, zeigt die ARD dazu die Dokumentation „Sunden an den Sangerknaben“. Die Filmemacherin Mona Botros hat drei Betroffene bei ihrem Kampf um Gehor und Gerechtigkeit begleitet. Erstmals gibt in dieser Doku auch Geedo Papprotta ein Interview, der „Opferanwalt“, der im Auftrag der Diozese Regensburg die Antrage auf Entschadigung pruft und der einem Betroffenen erklarte, warum der an ihm begangene sexuelle Missbrauch kein sexueller Missbrauch sei.

Ein Ort, an dem Kindheiten zerstort wurden: die ehemalige Domspatzen-Vorschule in Ettertzhausen: Foto: SWR/ Mona Botros

„Es gab Situationen, da ware es besser gewesen, tot zu sein.“ Georg Auer bricht zusammen, als er das sagt. In dieser Doku spricht der 63jahrige, uber dessen Fall Regensburg Digital 2012 berichtete, zum ersten Mal offentlich uber die dunkelste Zeit in seinem Leben. Mit neun Jahren kommt Georg Auer in die Vorschule der Regensburger Domspatzen. Der Knabenchor aus Bayern ist international bekannt, seine weltweiten Konzertreisen legendar. Seit Generationen schicken Eltern ihre Sohne nach Regensburg zu einer der besten musikalischen Ausbildungen des Landes.

Das Versprechen des Bistums

Doch 2010 erschuttern Nachrichten um Kindesmissbrauch im beruhmtesten Chor der katholischen Kirche die deutsche Offentlichkeit. Fruhjahr 2010. Immer neue Falle von sexuellem Missbrauch an Kindern in katholischen Einrichtungen in ganz Deutschland werden bekannt. Menschen, die ihr Leben lang die Geschehnisse verdrangt oder aus Scham geschwiegen hatten, berichten nun uber schwere Ubergriffe durch Geistliche in ihrer Kindheit. Im Zuge der Offenbarungen gerat auch der alteste Knabenchor Deutschlands in die Schlagzeilen. Schnell tritt das Bistum in Regensburg den Anschuldigungen entgegen. Man verspricht Transparenz und unburokratische Hilfe fur die Betroffenen.

Domspatzen? Keine Antwort!

Im November 2014, funf Jahre nach dem Skandal, legt das Bistum Regensburg den ersten Tatigkeitsbericht nach drei Jahren vor: „In Anerkennung des Leids“ hat das Bistum 30 Missbrauchsopfern zwischen 1.000 und 15.000 Euro gezahlt, insgesamt 158.500 EUR. Die Frage, wie viele Domspatzen sich unter den Betroffenen befinden, will das Bistum nicht beantworten.

Der Film erzahlt die Geschichte von drei ehemaligen Domspatzen, deren Leben durch die Erfahrungen im Internat des beruhmten Knabenchors fur immer verandert wurde. Sie berichten uber gnadenlose Misshandlungen, uber Trinken- und Essensentzug, uber alltagliche Demutigungen und Prugel. Und sie berichten, was ihnen nachts in den Schlafraumen der Prafekten angetan wurde. Alle drei stellten Antrage auf „Leistungen in Anerkennung des Leids“, wie es im Formular der Kirche hei?t. Die Dokumentation zeigt, was aus den Antragen geworden ist und wie sich diese neuen Erfahrungen mit der Kirche auf die Betroffenen ausgewirkt haben.

Katholikentag 2014: Missbrauchte Domspatzen demonstrieren fur Gerechtigkeit und Aufklarung. Foto: SWR/ Mona Botros

Die Regensburger Domspatzen haben einen besonderen Platz in der katholischen Kirche. Regelma?ig reisen die Sangerknaben nach Rom, um vor dem Papst zu singen. Die Verbindung zwischen Regensburg und dem Vatikan ist seit 1981 besonders eng. Damals war Georg Ratzinger Domkappelmeister des Knabenchores, sein Bruder – Josef Kardinal Ratzinger – wechselte mit seinem Aufstieg zum Prafekt der Glaubenskongregation in den Vatikan. Damit erhielt der Kardinal die drittmachtigste Position der katholischen Kirche. Spater wurde er Papst Benedikt XVI.

„Prozesse dieser Art unterliegen der papstlichen Geheimhaltung.“

Die Glaubenskongregation ist Nachfolgeinstitution der romischen Inquisition. Hier werden Versto?e gegen die Sittenlehre kirchenintern behandelt. Als Prafekt dieser Glaubenskongregation war Kardinal Ratzinger jahrelang fur jeden Missbrauchsfall zustandig, der sich in der Kirche ereignete. 2001 erlasst er einen sogenannten Apostolischen Brief, in dem er eine langjahrige Tradition der katholischen Kirche bekraftigte: Schwerwiegende Straftaten gegen die Sitten, die sich innerhalb der Kirche ereignen, sind „der Kongregation fur die Glaubenslehre als Apostolischem Gerichtshof vorbehalten“. Darunter fallt der sexuelle Missbrauch von Minderjahrigen. „Prozesse dieser Art unterliegen der papstlichen Geheimhaltung“, hei?t es in dem Erlass. Eine Auflage mit schwerwiegenden Folgen, denn Polizei und Staatsanwaltschaft waren damit von der Aufklarung ausgeschlossen

Katholikentag 2014: Georg Auer verteilt Flugblatter, um auf die Missstande im Bistum Regensburg aufmerksam zu machen. Foto: SWR/ Mona Botros

Zu der Zeit, als Georg Ratzinger den Chor leitete, war der junge Alexander Probst im Gymnasium der Domspatzen. Was er dort erlebte, erscheint alles andere als padagogisch. „Der Erzieher hat mich in einen Teil der Raumlichkeiten gebeten, der abgetrennt war. Da war eine Couch und ein Super-8-Projektor. Mit einer kleinen Gruppe von Jungs wurde Bier getrunken, geraucht und Pornos geguckt,“ erzahlt Probst. Kurze Zeit spater habe der Erzieher nachts an seinem Bett gesessen, unter die Decke gegriffen und mit seinem Penis gespielt. Die unbekannte Reaktion des eigenen Korpers, die er als Kind nicht verstand, habe ihn innerlich zerrissen. „Diese Zwiespaltigkeit, das ist ganz dramatisch, weil sie jeder Entscheidung enthoben werden und sie konnen dieser Sache nicht entrinnen.“ Alexander Probst hat noch die Briefe, die er damals an seine Eltern schrieb. Die Verzweiflung des Elfjahrigen lasst sich an Veranderungen in der Handschrift ablesen.

„Zapfchen in den Po“ und „Medizin als Tropfen“

Auch der junge Georg Auer erlebte gro?e Enttauschungen. Die Aussicht auf eine glanzende musikalische Ausbildung wandelte sich sehr bald in Angst und Pein. Regelma?ig sei er psychisch, physisch und sexuell missbraucht worden, erzahlt Auer. Insbesondere einer der Erzieher soll ihn regelma?ig nachts aus dem Bett und in sein Privatzimmer geholt haben. Der junge Georg musste sich ausziehen, splitternackt auf einen Stuhl stellen und sich bucken. Dann, so Auer, hat der Erzieher ihn untersucht „uberall, uberall“. Am Ende, berichtet er mit leiser Stimme, bekam er „Zapfchen in den Po“ und „Medizin als Tropfen“. Die Behandlung habe Schmerzen verursacht, die auch am nachsten Tag andauerten. „Wie ich wieder in mein Bett kam, wei? ich nicht,“ erzahlt Georg Auer. Hat der Geistliche einem ihm anvertrauten Kind K.O.-Tropfen verabreicht, um Straftaten zu vertuschen?

Johann Meier: Direktor an der Vorschule in Ettertzhausen: ein Gewaltater. Foto: SWR/ Mona Botros

Der Film zeigt: Schon in den funfziger Jahren verabreichte man den Sangerknaben in Regensburg Alkohol. Ein ehemaliger Internatsdirektor der Regensburger Domspatzen, zum Beispiel, wurde 1959 wegen Missbrauch an Minderjahrigen zu drei Jahren Haft verurteilt. In dem bislang unveroffentlichten Urteil hei?t es dazu, er habe die Schutzbefohlenen, „mit Alkohol bewirtet, um eventuelle Hemmungen (…) leichter zu beseitigen.“ Die Methode zeigte offensichtlich Wirkung, denn in dem Urteil hei?t es: „Die sexuellen Betatigungen waren ziemlich registerreich. Es kam zu Betastungen des Korpers, zu gegenseitiger Onanie, zu Zungenkussen, zu geschlechtsverkehrahnlichen Handlungen, zu Schenkelverkehr und einmal auch zu versuchtem Afterverkehr.“ Die Ubergriffe fanden laut Urteil sowohl im Internat der Domspatzen als auch auf Konzertreisen statt.

Missbrauchstater uber Jahrzehnte: Der ehemalige Domspatzen-Direktor Georg Zimmermann. Foto: Archiv

“Opferanwalt” erklart, warum Missbrauch kein Missbrauch ist

Der ehemalige Domspatz Udo Kaiser berichtet, wie sein mutma?licher Tater ihn nachts aus dem Bett geholt hat. Der Erzieher habe den Kopf des zehnjahrigen Knaben zwischen seine Oberschenkel geklemmt, seinen nackten Hintern verdroschen und dabei sein erigiertes Glied im Nacken des Jungen gerieben. Das Leben von Udo Kaiser war fur immer verandert. Als der Skandal ausbrach stellte er nach dem Aufruf des Bistums Regensburg einen Antrag auf Anerkennung seines Leids. Im Dezember 2011 erhielt er eine Ablehnung. Bei einem Gesprach habe ihm der Anwalt des Bistums folgende Erklarung mit auf den Weg gegeben: Das Stohnen des Erziehers hatte auch durch die reine korperliche Anstrengung beim Schlagen verursacht werden konnen.

Auch Georg Auer, der aussagte, wie er als Sangerknabe immer wieder fur den Erzieher in Etterzhausen nackt auf einen Stuhl klettern musste, bekam einen ablehnenden Bescheid vom Bistum, fast wortgleich wie das Schreiben an Udo Kaiser.

„Unglaubwurdig, unbarmherzig, kalt, berechnend“

Die drei ehemaligen Domspatzen haben einen langen Weg hinter sich. Viele Jahre hofften sie auf ein Zeichen seitens der Kirche. „Unglaubwurdig, unbarmherzig, kalt, berechnend“, summiert Udo Kaiser seine Eindrucke von der machtigen Institution. „Das ist traurig, wenn diese Menschen das so empfunden haben.“, sagt heute Geedo Paprotta, der Rechtsanwalt, der Antrage im Auftrag des Bistums pruft. Es ist das erste Mal, dass er ein Interview gibt. Zu den konkreten Vorwurfen schweigt der Anwalt, der als Schwerpunkt „Opferrecht“ angibt. Das Bistum wurde grundsatzlich zu Einzelfallen keine Stellungnahmen abgeben.

„Nie wieder katholisch sein, nie wieder“

Nach jahrzehntelanger Therapie, nach zahlreichen Versuchen, Gehor zu finden, hat auch Georg Auer einen personlichen Schlussstrich gezogen. Mit 63 Jahren ist er aus der Kirche ausgetreten. „Sie haben alle Chancen verspielt.“ resumiert er heute. Er wolle „nie wieder katholisch sein, nie wieder“



Der Autorin gelang es, Dr. Martin Linder, den Missbrauchsbeauftragten des Bistums Regensburg, Anwalt Geedo Paprotta und Pressesprecher Clemens Neck fur ein Interview zu der Aufarbeitung des Skandals zu gewinnen. Im November 2014 gibt das Bistum bekannt, insgesamt seien 13 Geistliche der Diozese Regensburg wegen sexueller Straftaten an 77 Minderjahrigen verurteilt worden.

Was ist der Fehler im System?

Von einem Fehler im System bei den Regensburger Domspatzen mag Linder vor der Kamera auch heute nicht sprechen. Wortlich sagt er dazu im Interview: „Ich glaube, dass die Anforderungen dort sehr hoch sind, mit Schule und Musik und diesem Chordienst. Aber einen systematischen Fehler? Fur viele Jugendliche, fur viele Kinder ist das eine unglaubliche Herausforderung und Bestatigung. Da fallt mir eine pauschale Aussage – ‚was ist der Fehler des Systems‘ schwer.“

Wie das Bistum mit den drei Antragstellern und ihren schweren Vorwurfen umgegangen ist, die so sehr im Widerspruch stehen zu den Wert- und Moralvorstellungen der katholischen Kirche, das dokumentiert dieser Film. Erstausstrahlung: Mittwoch, 7. Januar, 23.30 Uhr, ARD.

Filmemacherin Mona Botros und Kameramann Andreas Kerle nahmen sich des Themas an. Foto: SWR/ Mona Botros

 

 

 

 

 




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