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Des Bistums Durchsichtige Flucht Nach Vorn

By Stefan Aigner
Regensburg-Digitial
January 16, 2015

http://www.regensburg-digital.de/des-bistums-durchsichtige-flucht-nach-vorn/16012015/

Nach der ARD-Dokumentation zur sexuellen Gewalt bei den Regensburger Domspatzen will das Bistum Regensburg einen Fall „neu aufrollen“. Bischofssprecher Clemens Neck spricht von „neuen Vorwurfen“, die bisher gegenuber dem Bistum nicht geau?ert worden seien. Mit der Wahrheit hat das nur wenig zu tun. Die Schwester des Betroffenen sagt: „Es ist jetzt acht Jahre her, seit sich mein Bruder an das Bistum gewandt hat. Seitdem ist dort alles ganz genau bekannt und dokumentiert.“

Georg Auer wandte sich 2006 zum ersten Mal an das Bistum. Acht Jahre spater will man plotzlich seinen Fall “neu aufrollen”. Foto: Archiv

Am spaten Donnerstagnachmittag wurde die Meldung uber die Katholische Nachrichtenagentur (KNA) verbreitet: Nach der ARD-Dokumentation „Sunden an den Sangerknaben“ wolle das Bistum Regensburg den Fall des ehemaligen Domspatzen Georg Auer erneut prufen. Rechtsanwalt Geedo Paprotta, der die Antrage an das Bistum Regensburg juristisch pruft, habe die Initiative ergriffen, hei?t es, weil sich „signifikant neue Details“ ergeben hatten. Er, Paprotta, sei mit dem Fall bislang „uberhaupt nicht befasst gewesen“, wird berichtet. Nach der Dokumentation hatten sich „neue Vorwurfe“ ergeben, behauptet der bischofliche Pressesprecher Clemens Neck und bittet andere Opfer, sich doch weiter an die Diozese zu wenden. Ein durchsichtiger Versuch der Schadensbegrenzung.

Schwester: „Alles lange bekannt und dokumentiert.“

Georg Auer selbst hat derzeit nicht die Kraft, mit Medien zu sprechen. In seinem personlichen Umfeld aber ist man uber das Verhalten des Bistums verwundert, um nicht zu sagen verargert. „Es ist jetzt acht Jahre her, seit sich mein Bruder an das Bistum gewandt hat“, sagt uns seine Schwester. „Seitdem ist dort alles ganz genau bekannt und dokumentiert.“ Weiter will sie die Aussagen von Neck und Paprotta nicht kommentieren. Das verwundert kaum, wenn man betrachtet, wie das Bistum in den letzten Jahren mit ihrem Bruder umgegangen ist.

2006 hat sich Georg Auer zum ersten Mal an das Bistum Regensburg gewandt und die sexuelle, korperliche und psychische Gewalt geschildert hat, der er als Neunjahriger an der Vorschule der Domspatzen in Ettertzhausen ausgesetzt war. Der Brief an seine ehemaligen Schule liegt unserer Redaktion vor. Ein Auszug:

„(…) des Ofteren nahm mich der Erzieher auch zu sich ins Zimmer, entkleidete mich und befahl mir mich auf den Stuhl zu stellen, auf dass er mich untersuchen konne. Nach irgendwelchen, von ihm an mir vorgenommenen, dubiosen Manipulationen, bekam ich immer Medizin eingeflo?t, auf die ich morgens immer noch ganz benommen war. (…) Viele Anhaltspunkte sprechen dafur, dass es sich bei ihm um einen padophilen Triebtater handelt.“

Er hort fast vier Jahre nichts mehr.

Staatsanwaltschaft 2010: „Mogliche Straftaten: sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen und Kindern“

2010 schildert Auer seine Vorwurfe erneut und dieses Mal noch ausfuhrlicher der damaligen Missbrauchsbeauftragten des Bistums, Dr. Birgit Bohm. Gemeinsam mit Bohm erstattete er Strafanzeige. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren damals zwar wegen Verjahrung ein, schreibt aber: „Als mogliche Straftaten kamen sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen und Kindern in Betracht.“

Es kommt zu einer durch Bohm vermittelten Begegnung zwischen Auer und dem Tater, bei dem die Missbrauchsbeauftragte auch anwesend ist. Der Beschuldigte leugnet zunachst, raumt aber laut Auer schlie?lich den Missbrauch ein und bittet ihn unter Tranen um Verzeihung. Auer stellt einen Antrag auf „Anerkennung des erlittenen Leids“.

2012: Sexuelle Gewalt „nicht nachvollziehbar“

Vermittelte ein Gesprach zwischen Auer und seinem Tater: die mittlerweile verstorbene Missbrauchsbeauftragte Birgit Bohm. Foto: Archiv

Im Januar 2012 schlie?lich erhalt Auer ein ablehnendes Schreiben der Diozese Regensburg. Seine Schilderungen werden darin als „nicht nachvollziehbar“ bezeichnet. Spater stellt sich heraus: Es handelt sich um einen Serienbrief, der weitgehend wortgleich an mehrere Betroffene verschickt wurde. Auer konne sich an Rechtsanwalt Geedo Paprotta wenden, hei?t es in dem Brief weiter, „wenn Sie daruber sprechen wollen“. Auer nimmt dieses Angebot nicht wahr. Er erleidet einen Nervenkollaps, nachdem er das Schreiben erhalten hat und muss fur mehrere Wochen in die Klinik. Seine Schwester wendet sich kurz darauf an Bischof Stephan Ackermann, den Missbrauchsbeauftragten der Deutschen Bischofskonferenz. Erfolglos.

Unsere Redaktion berichtet im Februar 2012 (damals noch unter Pseudonym) uber den Umgang des Bistums Regensburg mit Georg Auer. Wir stellen eine Reihe von Fragen an Pressesprecher Clemens Neck und die Missbrauchsbeauftragte Birgit Bohm, legen eine Schweigepflichtentbindung vor, die Auer unterschrieben hat. Eine Antwort erhalten wir nicht.

Bayerisches Fernsehen berichtete

Im April 2012 nimmt sich das BR-Magazin Kontrovers des Falls an. Auer selbst ist damals nicht in der Lage, vor Fernsehkameras zu sprechen, aber seine Schwester schildert die an ihrem Bruder begangene sexuelle Gewalt folgenderma?en:

„Der hat ihn nackt ausgezogen und mein Bruder musste sich vorbeugen und der Prafekt hat gesagt: ‘Dreh Dich nicht um. Ich geb Dir jetzt ein Zapfchen.’ Und mein Bruder wusste, das ist kein Zapfchen, das ihm der hinten reingeschoben hat.“

Bistum zum BR: „In der Zusammenschau aller relevanten – auch der juristischen Aspekte nicht ausreichend…“

Auf eine Anfrage des Bayerischen Fernsehens zum Fall von Georg Auer antwortet das Bistum damals: „In der Zusammenschau aller relevanten – auch der juristischen Aspekte waren die Hinweise nicht ausreichend genug, die Vorwurfe gegen den Erzieher als gegeben einzustufen.“ Der Beschuldigte habe die Vorwurfe eines sexuellen Missbrauchs ausgeschlossen und lediglich „allgemein bedauert, ‘wenn es Herrn Auer damals schlecht ergangen sein sollte’“.

Wenig spater outet sich Georg Auer in unserem Kommentar-Forum und bekraftigt dort – erneut – seine Vorwurfe. Vom Bistum Regensburg hort er nichts mehr.

2013: Bischof versprach, „noch einmal zu prufen“

Im Juni 2013 kommt der neue Bischof Rudolf Voderholzer zu seinem Antrittsbesuch in den Regensburger Presseclub. Wir konfrontieren ihn mit dem ablehnenden Serienbrief, zu dessen Empfangern auch Georg Auer gehort. Voderholzer verspricht, „diese Falle noch einmal zu prufen“.

Versprach zu prufen: Bischof Voderholzer. Passiert ist nichts. Foto: Archiv/ Staudinger

Sein Sprecher Clemens Neck unterdessen interveniert und erklart am selben Abend, dass „die Faktenlage eine ganz andere“ sei. Offenbar uberzeugt er davon auch Bischof Voderholzer: Von einer erneuten Prufung ist nichts bekannt, bei Auer meldet sich niemand. Eineinhalb Jahre vergehen. Mittlerweile sind sowohl der Tater wie auch die Missbrauchsbeauftragte Birgit Bohm verstorben.

Vorwurfe sind seit Jahren bekannt

In der ARD-Reportage „Sunden an den Sangerknaben“ schildert Georg Auer am 7. Januar 2015 zum ersten Mal selbst vor laufenden Kameras die Demutigungen und sexuelle Gewalt, die er als Neunjahriger erleiden musste. Unter anderem sagt er:

„Dann hat er mich in sein Zimmer geholt. Da stand ein Stuhl. Dann hat er gesagt, ich soll mich ausziehen und auf den Stuhl stellen. Ich hab mich entkleidet. Schlafanzug ausgezogen. Habe mich nackt auf den Stuhl gestellt, an der Lehne festgehalten. Dann hat er mich untersucht. Uberall, uberall. Ich soll mich bucken. Ich bekomme jetzt Zapfchen, damit ich gesund werde. Und ja, zum Abschluss bekam ich noch Medizin.“

Wer sein Schreiben aus dem Jahr 2006 kennt, seine Strafanzeige, den Antrag an das Bistum Regensburg und die Schilderungen seiner Schwester gegenuber dem BR-Magazin Kontrovers, fur den sind die konkreten Vorwurfe nichts Neues. Es ist alles langst bekannt – insbesondere den Verantwortlichen des Bistums Regensburg. Insbesondere auch Pressesprecher Neck, der sich jetzt zu Wort meldet.

Fragen, die das Bistum nicht beantwortet

Doch dort will man nun – nachdem die Dokumentation erhebliche Welle geschlagen hat – „signifikant neue Details“ und „neue Vorwurfe“, die dem Bistum nicht bekannt gewesen seien, entdeckt haben und den Fall „erneut aufrollen“. Geschehen sei dies auf Initiative von Rechtsanwalt Geedo Paprotta, der bislang nicht mit dem Fall von Georg Auer befasst gewesen sein will.

Geht gern kreativ mit den Fakten um: Bistumssprecher Clemens Neck. Foto: Archiv/ as

Doch welche Details und neuen Vorwurfe sind das, die das Bistum in der ARD-Doku entdeckt haben will?

Wie kann es sein, dass das Bistum Georg Auer in seinem ablehnenden Schreiben an Rechtsanwalt Geedo Paprotta verwiesen hat, wo dieser den Fall doch gar nicht gekannt haben soll?

Wie konnte das Bistum in der Vergangenheit gegenuber dem BR-Magazin Kontrovers behaupten, dass man eine „Zusammenschau aller relevanten – auch der juristischen Aspekte“ vorgenommen habe, wo Rechtsanwalt Paprotta doch mit dem Fall nicht befasst gewesen sein soll?

Auf eine entsprechende Anfrage hat uns Rechtsanwalt Papotta an Bistumssprecher Neck verwiesen. Von ihm bekamen wir bislang keine Antwort.

 

 

 

 

 




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