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Domspatzen: Sexueller Missbrauch Wird Neu Aufgerollt

Nord Bayern
January 16, 2015

http://www.nordbayern.de/region/neumarkt/domspatzen-sexueller-missbrauch-wird-neu-aufgerollt-1.4128732

Bei der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs von Mitgliedern des Knabenchores Regensburger Domspatzen haben jetzt Recherchen der Neumarkter Nachrichten dazu gefuhrt, dass ein alter Fall vom Bistum neu aufgerollt wird. Zuvor war die Stadt Neumarkt zum Schauplatz des Themas geworden — durch einen ARD-Fernsehbeitrag uber ein Treffen von Opfer und mutma?lichem Tater.

Im Pfarrhof von St. Johannes in Neumarkt soll der mutma?liche Sexualtater 2010 im Gesprach mit dem Opfer ein Gestandnis abgelegt haben.

In der Sendung „Sunden an den Sangerknaben“ am 7. Januar im „Ersten“ sah ein Millionenpublikum den 63-jahrigen Georg Auer aus Sudbayern vor dem Pfarrhof von St. Johannes in Neumarkt. In den Raumen der katholischen Kirche hatte sich der ehemalige Domspatz nach Recherchen der Neumarkter Nachrichten im Oktober 2010 mit seinem mutma?lichen Peiniger aus der Schulzeit getroffen - ohne dass einer der Beteiligten einen Neumarkter Bezug hat. Zeugin des Gesprachs, das das Fernsehteam spater fur die Dokumentation nachspielen lie?: die damalige Missbrauchsbeauftragte des Bistums Regensburg, Birgit Bohm.

Bei dem Treffen habe der inzwischen grauhaarige, alte Mann zunachst abgestritten, jemals Erzieher in dem Domspatzen-Vorschul-Internat in Etterzhausen bei Regensburg gewesen zu sein, hei?t es in dem TV-Beitrag.

Erst nach Vorlage eines Klassenfotos aus dem Schuljahr 1960/61 habe er zugegeben, als Prafekt in Etterzhausen gearbeitet zu haben. Dann, nach einem tranenreichen Gesprach zwischen Opfer und Tater, das Gestandnis: Der fruhere Erzieher bat um Verzeihung, „sollte ich Boses getan haben“, zitiert Georg Auer den Mann. Es tue ihm alles leid. Das war 2010.

Bereits vier Jahre vorher, 2006, hatte der ehemalige Domspatz nach vielen Jahren sein Schweigen gebrochen: In einem Brief an seine ehemalige Schule schilderte Auer seine schrecklichen Erlebnisse als Neunjahriger.

Prugel, Demutigungen und vor allem einen Vorfall im Zimmer des besagten Erziehers, an den sich der Schuler spater nur noch bruchstuckhaft erinnern konnte, weil ihm der Prafekt eine „Medizin“ eingeflo?t habe. Angesichts dieser Schilderungen steht fur Professor Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen im Raum, ob es damals zu einem schweren sexuellen Missbrauch gekommen ist, wie er im ARD-Interview erklarte.

Fur den mutma?lichen Sexualtater ist der beschriebene Ubergriff strafrechtlich ohne Folgen geblieben: Etwa vier Wochen vor dem Gestandnis von Neumarkt im Beisein der Zeugin des Bistums hat laut Michael Sieber die Staatsanwaltschaft Regensburg das Ermittlungsverfahren gegen den fruheren Domspatzen-Erzieher eingestellt — wegen Verjahrung.

Die Anklagebehorde habe sich bei der Berechnung der Frist ausdrucklich auf das in den 60ern geltende Recht im Fall eines schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern bezogen, berichtet Sieber, der das „Unabhangige Archiv ehemaliger Regensburger Domspatzen“ fuhrt. Er ist auch Sprecher und Koordinator der „Gesellschaft gegen das Vergessen“, die nach eigenen Angaben 60 bis 70 ehemalige Domspatzen registriert hat, die zwischen 1945 und 2000 zu Opfern sexuellen Missbrauchs geworden sein sollen — eine Zahl, die Bistumssprecher Clemens Neck im NN-Interview nicht bestatigen konnte.

„Therapeutischer Charakter“

Unabhangig von straf- und kirchenrechtlichen Verfahren hat das Bistum ein „Anerkennungsverfahren“ fur Opfer sexuellen Missbrauchs in kirchlichen Einrichtungen eingefuhrt — ein kompliziertes, nichtoffentliches Prozedere, bei dem laut Bistumssprecher Neck am Ende „private Vereinbarungen manchmal auch mit therapeutischem Charakter“ stehen. Opfern hat die Kirche in etlichen Fallen Geldzahlungen angeboten und auch geleistet.

Ein Antrag Georg Auers in dem Anerkennungsverfahren ist vom Bistum abgewiesen worden. Dass er damit als „unglaubwurdig“ hingestellt werde, sei ganz so, als ob „mir jemand auf den Kopf geschlagen hatte“, erklarte er im ARD-Interview. Zu den Ablehnungsgrunden im Einzelfall machte Bistumssprecher Neck gestern auf Anfrage der Neumarkter Nachrichten, zunachst, keine Angaben — mit Hinweis auf den zugesicherten Schutz der Opfer.

In einem ARD-TV-Beitrag hat der ehemalige Domspatz Georg Auer uber seine schrecklichen Erlebnisse als Schuler berichtet.

Dann ging der Neumarkter Rechtsanwalt Geedo Paprotta am gestrigen Nachmittag in die Offensive. Der externe Rechtsberater des Bistums hat zwar bis dato etwa zwei Dutzend Missbrauchsfalle im Auftrag des Diozese bearbeitet, war aber bisher mit dem Fall Georg Auer uberhaupt nicht befasst gewesen. Weil er sich durch den ARD-Beitrag in einem „vollig falschen Licht“ dargestellt sieht, ergriff er gestern vor dem Hintergrund der laufenden NN-Recherchen die Initiative und sichtete alle Aussagen von Georg Auer in den Akten und im TV-Interview.

Angesichts der Schilderungen des Opfers sei die „Nichtanerkennung als sexuelles Missbrauchsopfer nicht nachvollziehbar“, sagte Paprotta den NN. Im Auftrag des Bistums teilte er mit, dass die „Akte erneut geoffnet“ werde. Der Missbrauchsbeauftragte des Bistums, Martin Linder, werde sich des Falles annehmen und den Kontakt mit dem Betroffenen suchen.

Bistumssprecher Clemens Neck bestatigte, es gebe „neue Vorwurfe“, die bisher gegenuber dem Bistum nicht geau?ert worden seien. Der Fall Auer werde „neu betrachtet“. Er appellierte an Geschadigte, sich beim Missbrauchsbeauftragten des Bistums zu melden.

 

 

 

 

 




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