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Kirche Und Missbrauch - Kein Schlussstrich

Deutsche Welle
January 19, 2015

http://www.dw.de/kommentar-kirche-und-missbrauch-kein-schlussstrich/a-18200349

Vor funf Jahren wurde der vielfache sexuelle Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland bekannt. Die Kirche hat seither viel unternommen, doch vor ihr liegt noch ein weiter Weg, meint Christoph Strack.

Es war eine der bewegenden Szenen der Philippinen-Reise von Papst Franziskus: Da stand ihm die kleine Glyzelle Palomar gegenuber und sollte dem Gast berichten von ihrem fruheren Leben - von Drogen, Prostitution, der Zeit als Stra?enkind. Drogen, Prostitution… - zwolf ist das Kind! Und es wird wohl fur sein Leben zu tragen haben. Bald brachen dem Madchen unter Tranen die Worte weg, es kam nur noch ein "Warum lasst Gott das zu?" Trostend nahm Franziskus sie in den Arm und ermutigte sie im Weinen. Ja, ein ruhrender Moment. Ein Bild auch fur die Kameras.

Man kann durchaus an diese Szene denken, wenn in diesen Tagen die katholische Kirche in Deutschland auf das Bekanntwerden von hunderten und tausenden Missbrauchsfallen in Einrichtungen der Kirche zuruckblickt. Hunderte Millionen, vielleicht Milliarden Menschen weltweit sahen in ihren Fernseh-Nachrichten diese Szene. Die ehrliche Anteilnahme des Papstes an einem unschuldigen Opfer, einem Kind. Bei der sexuellen Gewalt von Klerikern oder Kirchenmitarbeitern waren es vielfach auch Kinder, die zu Opfern wurden. Aber als sie endlich an die Offentlichkeit gingen, waren es laute Erwachsene, die ihr Recht, die Anteilnahme einforderten, ihr Schicksal beklagten.

Bischof Ackermann: "Grauenhaft"

Funf Jahre ist es her, dass der Berliner Jesuit Klaus Mertes mutig und eben seelsorgerlich vielfache Missbrauchsfalle in der von ihm geleiteten Ordensschule Canisius-Kolleg aufmerksam machte. Da hatten sich immer mehr Opfer - "Uberlebende", wie sie selbst oft sagen - an ihn gewandt. Der Vorsto? und der Mut dieser Betroffenen und die immer neu bekanntwerdenden Falle erschutterten die katholische Kirche in Deutschland in ihrem Mark. Es dauerte, bis die Bischofe aus einem Abwehrmoment zu ehrlicher Aufarbeitung kamen. Wenn heute der Beauftragte im Kreis der Bischofe, der Trierer Oberhirte Stephan Ackermann, von einzelnen Vorgangen spricht, kommen auch Worte wie "grauenhaft" oder "schrecklich" selbstverstandlich uber seine Lippen.

Das, was da bislang geschah, kann sich durchaus sehen lassen: Entschadigungen wurden und werden gezahlt, alle 27 katholischen Diozesen haben Missbrauchsbeauftragte, es gibt - zwischenzeitlich bereits uberarbeitete - Leitlinien der Bischofskonferenz, Zigtausende kirchliche Mitarbeiter wurden geschult, fast jede kirchliche Einrichtung muss ein Schutzkonzept prasentieren. Informell sagen staatliche Vertreter, dass sich manche gesellschaftliche Gro?organisation, beispielsweise im Bereich des Sports, mit dem Thema deutlich schwerer tue.

Umfassende Studie bis 2017

Das Thema Missbrauch im kirchlichen Kontext spielt in den Medien nicht mehr standig eine Rolle. Einerseits mag das an dem nachsten Gro?skandal liegen, der Selbstherrlichkeit des Bischofs von Limburg bei einem Bauvorhaben. Andererseits leistet da auch die Ausstrahlung von Papst Franziskus ihren Beitrag: Er zeigt bei Begegnungen mit Opfern von Gewalt und Katastrophen tiefe Empathie, er mahnt und ermutigt, er fordert auch deutlich, wenn es um Aufklarung geht.

Christoph Strack, Korrespondent im DW-Hauptstadtstudio

Und nach dem argerlichen Ende eines Forschungsprojekts durch den Hannoveraner Kriminologen Christian Pfeiffer, der im Streit seine Arbeit fur die deutschen Bischofe beendete, lauft langst ein neues Gro?vorhaben mit mehreren Universitaten. Sie interviewen Uberlebende und Tater, nehmen Einsicht in die Personalakten und wollen bis 2017 Ergebnisse vorlegen. Man kann fest damit rechnen, dass aus den Akten mancher Vorgang bekannt wird, bei dem in fruheren Jahrzehnten Verantwortliche - seien es Bischofe oder Personalchefs - Beschuldigte oder Verdachtigte kurzerhand in eine andere Diozese versetzten. Und damit dem Tater neue Moglichkeiten zu sexueller Gewalt gaben.

Ein Prozess, der nie zu einem Ende kommt

Nachrichten aus der vergangenen Woche - rein zufallig zusammengestellt: In Aachen steht ein 56-jahriger Priester vor Gericht und schweigt - dabei sind die Taten erwiesen und seine Aussage wurde den Prozess verkurzen und die Opfer erleichtern. Ein Benediktiner aus dem oberbayerischen Ettal steht ab Mittwoch in Munchen vor Gericht wegen mehr als 20 Missbrauchsfallen in den Jahren 2001 bis 2005. Das Erzbistum Berlin verzeichnet in einer neuen Statistik weitere Verdachtsfalle auf sexuellen Missbrauch durch Kirchenmitarbeiter - Ausdruck zumindest der umfassenden Aufarbeitung.

Es geht weiter. Aber immerhin: Das Vertuschen und Verschieben scheint vorbei. "Die Arbeit ist nicht abgeschlossen", sagte Bischof Ackermann am Montag. "Wir konnen unter dieses Thema keinen Schlussstrich ziehen." Der Blick auf die katholische Kirche in Deutschland ist ein anderer geworden seit dem Januar 2010. Ja, sie tut viel zur Aufarbeitung. Aber es mag ein Weg zu mehr Sensibilitat und zur Offenheit sein, der nie zu einem Abschluss kommen kann.

 

 

 

 

 




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