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Richter Statt Henker

By Jurgen Kaube
Frankfurter Allgemeine
January 19, 2015

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/das-faustrecht-des-papstes-richter-statt-henker-13377107.html

Winkt und segnet, lie? aber auch wissen, dass er mit der Faust zuschlagen wurde, wenn’s sein muss: Papst Franziskus, auf unserem Bild daheim in Rom

Wer die Mutter von Jorge Mario Bergoglio beleidigt, wei? jetzt, womit er zu rechnen hat. Wir formulieren „er“, weil wir mal nicht annehmen mochten, dass der Bischof von Rom eine Frau schlagen wurde. Und wir sprechen seinen burgerlichen Namen an, um dogmatische Komplikationen zu vermeiden, die sich aus der Wendung „Mutter des Papstes“ ergeben konnten. Auch als Papst Franziskus I. genie?t Herr Bergoglio Meinungsfreiheit. Sie wird nicht eingeschrankt, wenn man feststellt, dass nicht recht durchdacht ist, was er gesprachsweise mitgeteilt hat. Ware torichte Kommunikation nicht geschutzt, brauchten wir deutlich mehr Richter.

Dennoch muss angesichts des Papstes, der bei todernstem Anlass nicht einmal ein neckisches Augenzwinkern scheut, offenbar nicht nur die Sache mit der anderen Wange in Erinnerung gerufen werden, sondern auch, wie es sich mit der rechtsstaatlichen Ordnung verhalt. Denn in ihr, der aufgegeben ist, die Meinungsfreiheit zu sichern, hat nicht, wie er sagt, „jede Religion“ eine Wurde, von der sie auch gleich noch selbst feststellen durfte, wodurch sie verletzt wird. Sondern jedes Individuum. Darin steckt mehr Christentum als in familiaren Ehrbegriffen. Und selbst wenn die Mutter von Individuen beleidigt werden – der Papst mag sich an den beruhmten Fall Zidane erinnert haben –, fliegt mindestens vom Platz, wer daraus ein Recht zur Selbstjustiz zieht.

Mit der Formulierung, den Beleidiger seiner Mutter erwarte ein Faustschlag, lie? Bergoglio offen, ob er gegebenenfalls selbst handgreiflich werden oder sich ausfuhrenden Personals bedienen wurde, das sich in manchen Religionen verlasslich findet. Viele Katholiken selbst wissen es, wie alle Glaubigen, die uber Staatsburgerverstand verfugen, besser. Sie schicken, wenn das Belachtwerden unzumutbar erscheint, statt Schlagern Anwalte – in der Vergangenheit beispielsweise ein gutes Dutzend Mal gegen „Charlie Hebdo“.

Und auch, wenn diese erfolglos bleiben: Es sind Gerichte, vor denen zu klaren ist, ob eine Beleidigung oder eine andere Grenzuberschreitung des Meinens – dessen Recht tatsachlich nicht unbeschrankt ist – vorliegt. Wer wiederum meint, die Gerichte urteilten falsch, ist zur Diskussion der entsprechenden Rechtsdogmatik eingeladen oder soll sich fur scharfere Gesetze verwenden. Die Konfessionskriege, aus denen die staatlichen Ordnungen Europas vor mehr als 350 Jahren hervorgegangen sind, haben gelehrt, dass es gar keinen anderen Weg gibt, wenn der Frieden erhalten werden soll.

Verletzte Gefuhle kann jeder reklamieren

Doch die Lektion, wie unwahrscheinlich au?ergerichtliche Einigungen zwischen Leuten sind, denen es um letzte Dinge geht, scheint mancherorts vergessen. Vielleicht, weil es inzwischen vielen gar nicht mehr um die Wahrheit der Religionen geht, sondern um „religiose Gefuhle“. Das setzt die Schwelle der Artikulation stark herab. Uber seine Gefuhle fuhlt sich jeder als eigener Richter. Damit verscharft sich jedoch die Problematik des Konfessionskonflikts, weil es jetzt, anders als bei Wahrheitsfragen, nicht einmal mehr eine klare Adresse fur den gibt, der fragt, wer im Namen der Religion sprechen darf. Religionen, die nicht als Kirchen organisiert sind, lassen dieses Problem nicht kleiner werden. Wurde die Antwort auf die Frage, wer uber den Konfliktfall entscheidet, „jeder“ lauten, liefe es im Grenzfall auf das Fuhlen aller gegen alle, das Beleidigtsein aller durch alle hinaus.

Was es uber einen Glauben aussagt, wenn er sehr auf die Frage fixiert ist, wie er von anderen wahrgenommen wird und ob andere ihn respektieren, ware ein eigenes Thema. Man musste es analog zu der Frage behandeln, was es uber manche Burger aussagt, die ihrerseits auf eine bestimmte Religion negativ fixiert sind und zwischen Sozialstaatsmissbrauch, Jugendgewalt, Schichtzugehorigkeit, Herkunft, Islam und Islamismus nicht mehr unterscheiden wollen. Indem beide Formen des Beleidigtseins zusammenhangen, weil auf beiden Seiten die Krankung empfunden wird, politisch nicht fur voll genommen zu werden, schaukeln sich hier Leute gegenseitig hoch, die einander in dieser Hinsicht – und nur in dieser! – ahnlicher sind, als sie denken.

Menschen verdienen Respekt, nicht Glaubensinhalte

Meinungen selbst aber sind kein Gegenstand von Achtung, auch wenn sie sich auf Unsichtbares beziehen. Wer sagt „Ich achte Ihre Ansicht“, meint gerade nicht deren Inhalt, sondern dass Dissens nicht zu einem letzten Urteil uber den Kontrahenten fuhrt. Geachtet werden Personen. Der katholische franzosisch-deutsche Philosoph Remi Brague, den man sich nicht als Abonnenten von Satirezeitschriften und Anhanger Voltaires vorstellen darf, hat das gerade so ausgedruckt: „Kein Glaube verdient Respekt, auch meiner nicht. Uberzeugungen sind Dinge, Respekt kann es nur fur Menschen geben.“

Gewiss, Respekt kann im Grenzfall entzogen werden. Wer zu Verachtung ubergeht, zahlt personlich den Preis, dass dann Kommunikation nicht mehr moglich ist. Es hat wenig Sinn, jemandem, den man verachtet, etwas und sei es, dass man ihn verachtet, hinterherzurufen. Darin liegen die Grenzen der Satire wie des religiosen Anspruchs auf Rucksichtnahme, die bei uns von Richtern gezogen werden und nicht vom Faustrecht.

 

 

 

 

 




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