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"Schläge, bis die Kinder zu Boden gingen"

By Von Christian Eckl
Die Welt
February 25, 2015

http://www.welt.de/politik/deutschland/article137783420/Schlaege-bis-die-Kinder-zu-Boden-gingen.html

An der Vorschule der Domspatzen in Etterzhausen und Pielenhofen kam es über Jahre hinweg zu exzessiven Prügelorgien gegen Grundschüler

Der frühere Regensburger Domkapellmeister Georg Ratzinger (l.) mit seinem Bruder, Kurienkardinal Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI. (Archivbild vom Januar 2004)

["Blows until the children went to the ground"]

Der Chor der Regensburger Domspatzen ist weltberühmt. Doch in seinem Internat spielten sich bis weit in die 90er-Jahre hinein Gewaltexzesse gegen Schüler ab. Was wusste Chorleiter Georg Ratzinger?

"Liebe Eltern, mir geht es gut, wie geht es euch?" Mit dieser Floskel mussten Schüler am Internat des Domspatzen-Chores in der Vorschule in Etterzhausen und später Pielenhofen (Landkreis Regensburg) regelmäßig Briefe an ihre Eltern beginnen. Die Briefe wurden zensiert – von Priestern und kirchlichen Mitarbeitern, die im Alltag die Dritt- und Viertklässler prügelten, was das Zeug hielt.

Das ist das Ergebnis eines Berichts über Prügelstrafen im Internat der Domspatzen. Die Gewalt war weit bis in die 90er-Jahre gang und gäbe für die zehn- bis elfjährigen Sängerknaben. Nach sexuellen Übergriffen, die an Internatsschülern inzwischen vor allem für die 60er-Jahre gut dokumentiert sind, gesellen sich nun noch grauenhafte Schilderungen von Prügel und Züchtigungen.

Insgesamt 72 ehemalige Grundschüler, die im Landkreis Regensburg die Vorschule des weltberühmten Chors besucht hatten, meldeten sich bei der Diözese, seit Missbrauch- und Prügelvorwürfe durch den Direktor des Canisius-Kollegs in Berlin aufgedeckt worden waren. Das war 2010; die Domspatzen und das Bistum Regensburg hatten bis heute eher den Kopf eingezogen, als sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen – zumindest öffentlich. Erst am 25. Januar dieses Jahres entschuldigte sich der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer im Dom bei den Opfern sexuellen Missbrauchs, aber auch bei geprügelten und gezüchtigten früheren Domspatzen.

Nicht mal mit dem alten Züchtigungsrecht zu vereinbaren

Bis in die 80er-Jahre galt in Deutschland das sogenannte Züchtigungsrecht. Rechtsanwalt Andreas Scheulen, der die Vorwürfe für das Bistum juristisch geprüft hat, kommt nun zu dem Ergebnis, "dass diese Prügel auch unter dem Züchtigungsrecht strafbar gewesen wären". Die Schläge bei den Domspatzen seien eben nicht bloße Ohrfeigen gewesen, sondern deutlich mehr, so der Anwalt. Er wertet die jahrelangen Prügelorgien als "gefährliche Körperverletzung." Allerdings seien die Fälle allesamt verjährt.

Dass die Vorwürfe erst jetzt aufgearbeitet werden, mag auch daran liegen, dass 2010, als die Missbräuche in der Katholischen Kirche ruchbar wurden, der Papst noch Benedikt XVI. hieß. Joseph Ratzinger, der frühere Pontifex, ist der Bruder von Georg Ratzinger. Und der leitete zwischen 1964 und 1994 als Domkapellmeister den Domspatzen-Chor.

Es handelt sich dabei um Prügelstrafen, Schläge mit der Hand und mit den Fäusten ins Gesicht und auf den ganzen Körper, teilweise bis die Kinder zu Boden gingen, und Schläge mit Gegenständen
Aus dem Bericht
zu Missbrauch im Domspatzen-Internat

Welche Verantwortung trägt Georg Ratzinger für die Vorgänge? Dass er sogar selbst zugeschlagen hatte, hat der inzwischen über 90-Jährige vor knapp fünf Jahren bereits zugegeben. "Watsch'n" nennt man das in Bayern – und es gab und gibt viele, die eine solche nicht sonderlich dramatisch finden. In der Tat ist bekannt, dass der damalige Bischof von Regensburg, Gerhard Ludwig Müller, heute mächtiger Glaubenspräfekt und einer der wichtigsten Kurienkardinäle im Vatikan, nicht besonders an Aufklärung interessiert war.

Denn die Vorwürfe wiegen schwer: "Es handelt sich dabei um Prügelstrafen, Schlägen mit der Hand und mit den Fäusten ins Gesicht und auf den ganzen Körper, teilweise bis die Kinder zu Boden gingen, und Schläge mit Gegenständen", heißt es in dem nun präsentierten Bericht. Zudem wurde nach Domspatzen-Grundschülern mit dem Schlüsselbund geworfen.

Die Züchtigungen seien "ohne, mit und aus geringfügigen Anlässen" ausgeführt worden, berichtet die Psychologin Angelika Glaß-Hofmann, die als Ansprechpartnerin für die Opfer vom Bistum eingesetzt worden ist. Es seien häufig keine bloßen "Backpfeifen" gewesen, sondern "schmerzhafte Schläge mit einem großen oder kleinen Stock", die zu "nachhaltigen Verletzungen" führten. Wurden die Kinder in den Schlafsälen der Domspatzen in Etterzhausen dabei erwischt, wie sie trotz Nachtruhe noch redeten, dann mussten sie bis zu eine Stunde lang barfuß im Flur stehen und durften sich nicht rühren.

Hat Georg Ratzinger davon gewusst? Generalvikar Michael Fuchs kann diese Frage nicht beantworten: "Wir wissen das heute nicht." Im Zentrum der Vorwürfe steht der Priester Johann Meier, der zwischen 1953 und 1992 das Internat der Domspatzen-Grundschule leitete. Berichtet wird aber auch von einem grausamen Mitarbeiter, der seinen Siegelring gedreht habe, bevor er zuschlug.

Mixa trat wegen Schlägen gegen Heimkinder zurück

Bei Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs hat die Deutsche Bischofskonferenz ein klares Prozedere vorgegeben; der Umgang mit Körperverletzungen in kirchlichen Einrichtungen ist freilich noch nicht in Richtlinien festgelegt. Insofern ging das Bistum Regensburg, wenn auch spät, neue Wege. Es will jedem Prügelopfer der Empfehlung von Rechtsanwalt Scheulen folgend 2500 Euro zahlen. Generalvikar Fuchs kündigte an, dass man das "System der Angst" bei den Domspatzen weiter aufarbeiten werde. "Auch Kritiker an der Vorgehensweise des Bistums sollen zur Geltung kommen."

Prügel gegen Kindern, das hat in Deutschland sogar schon einmal zum Rücktritt eines Bischofs geführt. 2010 wurde bekannt, dass der frühere Augsburger Bischof Walter Mixa in seiner Zeit als Stadtpfarrer von Schrobenhausen Heimkinder geschlagen hatte. "Ich kann mich an die Kinder gar nicht mehr erinnern", hatte Mixa damals der "Welt am Sonntag" nach dem Karfreitagsgottesdienst 2010 gesagt. Wenig später zwang ihn Papst Benedikt zum Rücktritt.




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