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Wenn Kino Zur Zerrei?probe Wird

Stuttgarter Nachrichten
March 6, 2015

http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.film-zu-missbrauch-skandal-wenn-kino-zur-zerreissprobe-wird.f7019151-4148-460e-9451-882d42155db7.html

Unterstutze die Dreharbeiten: Stadtdekan Christian HermesFoto: Peter Petsch

Am Anfang war das Gebet. Ein Sto?gebet, das um Vergebung und Seelenruhe bittet. „Herr, bitte gewahre mir eine ruhige Nacht.“ Jakob (Sebastian Blomberg) druckt das Gewissen. Er ist Mitwisser einer sundhaften „Verfehlung“, so der Titel des Kino-Films von Gerd Schneider. Deshalb betet er flehentlich.

Jakob ist Freund des Taters Kai Schumann. Er sieht die Not der jungen Opfer. Vor allem aber fuhlt sich der Priester Jakob seinem Dienstherr, der romisch-katholischen Kirche, verpflichtet. Er steht zwischen allen Fronten.

„Glaube, Vertrauen, Zweifel.“

Der Untertitel des Films, der Jakobs inneren Konflikt beschreibt, ergreift den Zuschauer zusehends mehr. Das Schweigen und die Vertuschungsversuche der Kirche. Die Bagatellisierung des Taters. All dem gibt Regisseur Schneider in einer ruhigen Bildsprache weiten Raum. Unbeteiligte fuhlen in diesem Drama Unbehagen. Opfer von sexuellem Missbrauch gehen wahrend des Films sogar wieder durch ihre personliche Holle.

"Mir hat diese Geschichte den Hals zu geschnurt"

Auch an diesem Tag sitzt ein Missbrauchsopfer bei einer Sondervorfuhrung in den Stuhlreihen im Stuttgarter Kino Cinema. Betroffen ringt es nach der Vorstellung um Worte: „Mir hat diese Geschichte den Hals zu geschnurt. Die alte Wut kam zuruck. Und meine Hoffnung, dass dieses Kartell des Schweigens und mit ihm der Tater auffliegt, wuchs wahrend des Films mit jeder Minute.“

Zum Hintergrund: Im Sommer des Jahres 2010 geriet die katholische Kirche in Deutschland durch die Aufdeckung ungezahlter Missbrauchsfalle im Berliner Canisius-Kollegs in eine schwere Krise. Seitdem beklagt die Kirche in der Gesellschaft einen gro?en Vertrauensverlust. So verwundert es nicht, dass in Teilen der katholischen Kirche angesichts dieser Verfilmung Missstimmung herrscht. Auch in Stuttgart.

„Wir hatten einige Diskussionen“, gibt Stadtdekan Christian Hermes zu. Nicht alle waren begeistert, dass der Film auch in Stuttgarter Kirchen und Gemeinden gedreht wurde. Manche sagten: „Muss das jetzt sein.“ Sie wollten nicht, dass alte Wunden aufgerissen werden. Fur Hermes gilt jedoch: „Die Auseinandersetzung mit dieser Problematik steht uber allem. Deshalb habe ich dieses Filmprojekt auch unterstutzt.“

Er hat es nicht bereut. Nachdem sich Hermes die „Verfehlung“ angeschaut hatte, meint er: „Es ist ein schrecklich guter Film.“

Es gibt kein System der Vertuschung

Besser kann man die Ambivalenz, die dieser Streifen auslost, wohl nicht ausdrucken. Die „schrecklichen“ Taten an Schutzbefohlenen hat der Regisseur und Drehbuchautor Schneider „gut“ in Szene gesetzt.

Profitiert hat Gerd Schneider dabei von seinen eigenen Erfahrungen: „Diese Fragen liegen mir sehr nahe: Ich war selbst Priesteramtskandidat der Erzdiozese Koln und festen Willens, mein Leben in den Dienst der katholischen Kirche zu stellen. Vor dem Hintergrund dieser tief greifenden Erfahrung war es mir wichtig zu erzahlen, dass es kein System der Vertuschung gibt, aber das Vertuschen durchaus systematische Zuge hat.“

Dieser seriose Ansatz ist es, den auch Stadtdekan Hermes goutiert: „Ich bin froh, dass dieser Film die feinen Zwischentone findet. Es ist kein plumpes Haudrauf auf eine vermeintliche Kinderschander-Kirche.“ Zudem seien die Strukturen und die inneren Verhaltnisse der Institution Kirche sehr gut beschrieben. „Sehr authentisch“, lobt der Monsignore, „gerade dieser Loyalitatskonflikt in dem sich manche befinden wird gut dargestellt.“

Den Ritterschlag bekommen die Schauspieler und der Regisseur jedoch von Jesuiten-Pater Klaus Mertes. Nach den 95 Minuten „Verfehlung“, die am 23. Marz in die Kinos kommen, meint er: „Mich hat die Darstellung der Figur des Jakobs am meisten beeindruckt.“

Bis zu hundert Kinder missbraucht

Dazu muss man wissen: Mertes kennt diese Rolle und die inneren Note am besten. Mertes war seinerzeit Rektor des Canisius-Kollegs. Er hat die sexuellen Ubergriffe 2010 offentlich gemacht. Ein Tater hatte bis zu hundert Kinder missbraucht. Erschuttert meinte Mertes damals: „Hier geht es nicht um Einzelfalle, sondern um Verbrechen in Serie.“

Auch im Film kommt das Ungeheuerliche in homoopathischen Mengen ans Licht. Manchmal ganz ohne Worte. Allein mit der Kraft des Bildes. Zum Beispiel mit der eingenassten Hose eines Missbrauchopfers. So spielt Schneider mit der Emporung der Zuschauer. Er mutet den Betrachter allerhand zu. Und er lasst einen Spannungsbogen wachsen, an dessen Ende alle stumm nach Gerechtigkeit schreien.

Tatsachlich ist es wahrend des Abspanns im Kinosaal totenstill. Minutenlang. Es passiert in den Kopfen der Zuschauer das Notwendige: Ein Skandal wird aufgearbeitet. Fur die einen ist es schmerzvoll, fur andere lehrreich. Aber alle ahnen: Dies ist kein spezifisches Problem der Kirche, sondern der Gesellschaft. Christian Hermes fuhlt sich in diesem Moment als Unterstutzer des Projektes bestatigt: „Es ist wichtig, dass wir uns dieser Problematik stellen.“

 

 

 

 

 




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