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Der Unberechenbare

By Von Markus Günther
Frankfurter Allgemeine
March 10, 2015

http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/kritik-an-papst-franziskus-die-kanone-ist-los-13470148.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

Papst Franziskus während einer Audienz im Februar.

Papst Franziskus liebt das Bad in der Menge.

Reform der Kurie: Nach der Weihnachtsansprache 2014 gab es die ersten bösen Worte.

Noch wird ihm vieles nachgesehen: Papst Franziskus Ende Januar bei einer Audienz mit Kindern im Vatikan

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[Pope Francis from the beginning had the sympathy on his side. Then followed a gaffe after another.]

Papst Franziskus hatte von Anfang an die Sympathien auf seiner Seite. Dann folgte ein Ausrutscher nach dem anderen. Allmählich ahnen auch seine größten Fans, dass daran nicht zuletzt einer schuld ist. Er selbst.

Die letzten Wochen im Vatikan sind vergleichsweise gut gelaufen: Ein Dementi und eine kleine Richtigstellung, eine scharf formulierte Protestnote des mexikanischen Außenministers und eine prompte Entschuldigung vom Heiligen Stuhl, schließlich ein versöhnlicher Brief des Kardinalstaatssekretärs und herzliche Grüße des Heiligen Vaters an das mexikanische Volk - aber sonst ist der Papst ganz gut durchgekommen. Das liegt auch daran, dass er zwischenzeitlich in Klausur war, in den jährlichen Exerzitien, zu denen sich der Papst traditionell zu Beginn der Fastenzeit gemeinsam mit den führenden Mitarbeitern der Kurie zurückzieht. Deshalb gab es zuletzt nur wenige öffentliche Äußerungen des Papstes.

Doch die Verschnaufpause ist vorbei. Man muss nun wieder täglich mit allem rechnen, mit handfesten Erziehungsratschlägen und deftigen Exkursen zum Paarungsverhalten zwei- und vierbeiniger Säugetiere, mit gutgemeinten Anekdoten und schlecht erzählten Witzen, mit theologischem Ernst und südamerikanischer Lässigkeit. Franziskus hat alles im Angebot. Lange schien es, als nütze ihm das sogar: ein Papst, der Klartext redet, endlich einer, der kein Blatt vor den Mund nimmt, der nicht spricht wie ein hochtrabender Theologe, sondern wie ein echter Seelsorger, der weiß, wie die Menschen nun einmal wirklich sind. So gelang es ein ums andere Mal, eigentlich Unverständliches und Inakzeptables gerade noch zugunsten des Papstes umzudeuten. Und wenn doch etwas gründlich schiefging, wurden Medien und Missverständnisse dafür verantwortlich gemacht. Irgendwer hatte ihn wieder irgendwie ganz falsch verstanden. An Franziskus blieb nichts hängen.

Das Maß ist voll

Das hat sich geändert. Die beispiellose Sympathiewelle, die der Papst gleich beim Amtsantritt vor genau zwei Jahren ausgelöst hat, ebbt langsam ab. Die einen erlebten ein böses Erwachen, als er Katholiken ermahnte, es „nicht wie Karnickel“ zu treiben. Für andere war eine Grenze überschritten, als er sagte, er würde jedem, der seine Mutter beleidigte, „mit einem Faustschlag“ antworten. Dann folgte, in der Generalaudienz auf dem Petersplatz vor mehreren Zehntausenden Menschen, die Plauderei über das richtige, namentlich „würdevolle“ Schlagen von Kindern (also: nicht ins Gesicht), das der Papst mit den Worten kommentierte: „Wie schön!“

Natürlich begannen umgehend die üblichen Rückzugsgefechte, die Deutungen, Umdeutungen und Relativierungen. Die Pressesprecher des Vatikans und Bischöfe in aller Welt bemühten sich redlich, das kaum Erklärbare zu erklären, dass der Papst es also nicht „so“ gemeint habe, sondern eben ganz anders, er dachte an einen harmlosen „Klaps“, als er ausdrücklich „schlagen“ sagte, er hat vergessen, zu erwähnen, dass Erziehung ganz ohne Schläge natürlich noch besser wäre, und dergleichen mehr.

Doch hinter vorgehaltener Hand verloren auch die treuen Apologeten des Papstes zum ersten Mal die Geduld: Musste das sein? Denkt er denn überhaupt nicht darüber nach, wie seine Worte wirken? Kann er sich nicht ausmalen, dass sich demnächst prügelnde Eltern auf den Papst berufen werden? Hat er in zwei Jahren und nach allen anderen „Missverständnissen“ rein gar nichts hinzugelernt? Dass gleichzeitig die vom Papst selbst eingesetzte vatikanische Kommission zum Kinderschutz in Rom tagte, machte die Peinlichkeit perfekt. Zum ersten Mal griff eine neue Stimmung um sich: Das Maß ist voll.

Mexikanisierung Argentiniens: Pannenserie um ein Kapitel reicher

Unter amerikanischen Bischöfen macht schon seit längerem das Wort von der „loose cannon“ die Runde, wenn von Franziskus gesprochen wird. Das ist eine alte englische Redensart, die sich das Bild eines im Sturm schwankenden Schiffes zunutze macht, auf dem sich eine der schweren Kanonen aus der Vertäuung gelöst hat und nun bedrohlich auf Deck hin- und herrollt. Unmöglich, vorauszusagen, wann und wo sie im nächsten Augenblick landen und neuen Schaden anrichten wird. Das Bild bietet sich an, weil die Kirche seit Urzeiten als Schiff auf ihrer Reise durch Raum und Zeit gedacht wird. Es drängt sich aber auch auf, weil bei diesem Papst nie absehbar ist, wohin es im nächsten Moment geht. Alles ist denkbar. Die Kanone ist los.

Wann immer der Papst das vorbereitete Manuskript aus der Hand legt und beginnt, frei weiterzureden (und das tut er trotz aller schlechten Erfahrungen immer wieder), halten die Berater im Hintergrund die Luft an. Typisch ist aber auch, was während der Fastenexerzitien des Papstes geschah: In Argentinien wurde eine E-Mail des Papstes bekannt, in der er seinem alten Freund Gustavo Vera in Buenos Aires geschrieben hatte, die „Mexikanisierung“ ihres gemeinsamen Heimatlandes Argentinien müsse unbedingt verhindert werden.

Wie das gemeint war, erklärte die Pressestelle des Vatikans tags drauf in umfangreichen Erläuterungen, verwies auf den Drogenkrieg in Mexiko, die Kriminalität auf den Straßen und die politische Korruption, bat im Übrigen um Verständnis und stellte klar, dass die Äußerung „keinesfalls beleidigend“ gemeint gewesen sei und der Papst dem mexikanischen Volk die allerhöchste Wertschätzung entgegenbringe. Trotzdem fanden die Mexikaner - die meisten von ihnen sind katholisch und gehören zu den Treusten der Treuen - das gar nicht lustig. Der Kardinalstaatssekretär höchstselbst, immerhin die Nummer zwei in der Hierarchie des Vatikans, antwortete auf die Protestnote des mexikanischen Außenministers mit dem Ausdruck tiefsten Bedauerns. Die Pannenserie des Papstes ist wieder um ein Kapitel reicher.

Schwierigkeiten Privates und Öffentliches zu trennen

Aber wie kann es überhaupt immer wieder zu solchen Ausrutschern kommen? Wird der Papst falsch beraten? Versteht er nicht die Tragweite seiner Worte? Diejenigen, die es wissen müssten, zeigen sich schon seit längerem weitgehend entmutigt. Gewisse Lernprozesse seien zwar zu beobachten, doch am Kern des Problems sei nichts zu ändern: Franziskus lässt sich nicht sagen, was er zu tun oder zu lassen hat. Das freie, spontane, oft auch unbedachte Wort, das er nicht auf die Goldwaage legt, entspricht einfach seinem Naturell.

Er fühlt sich pudelwohl, wenn er einfach drauflosreden kann, ohne auf liturgische Vorschriften oder diplomatische Gepflogenheiten Rücksicht nehmen zu müssen. Jeder äußere Zwang - seien es die päpstlichen Gewänder oder die Dienstwohnung im Apostolischen Palast, die vorbereiteten Ansprachen oder die strengen Rituale im Vatikan - ist ihm im Kern zuwider. Das kann man sympathisch finden; für das geistliche Oberhaupt von 1,2 Milliarden Katholiken in der Welt ist es vielleicht keine ideale Voraussetzung. In Teilzeit lässt sich dieser Job einfach nicht bewältigen. Er fordert den ganzen Mann.

Der Eigensinn des Argentiniers zeigt sich auch darin, dass der Papst über einen erheblichen Teil seiner Zeit, vor allem an den Nachmittagen, komplett selbst verfügt. Niemand verdächtigt ihn, dass er in dieser Zeit faulenzt. Aber was genau er macht, welche Telefongespräche er führt, welche E-Mails er schreibt, mit wem er gerade welche Vereinbarungen trifft - das alles bleibt unklar und führt oft zu den vielbeklagten Pannen. Mindestens ein halbes Dutzend Mal sind Äußerungen, die der Papst als privat verstanden wissen wollte, später öffentlich geworden.

Die Empfänger von päpstlichen Briefen, Anrufen und E-Mails sind viel zu stolz, um damit nicht hausieren zu gehen. Doch bislang hat der Papst noch nicht akzeptiert, dass es für ihn kein Privatleben mehr gibt. Es ist auch schwierig, das Private vom Päpstlichen zu trennen, wenn Franziskus am Telefon einer geschiedenen Frau, der von einem Priester die Kommunion verweigert worden war, mal eben dazu rät, es doch demnächst bei einem anderen Pfarrer zu probieren.

Zweifel über die Ziele des Papstes

Selbst in der Kurie fällt, wenn über den Papst gesprochen wird, kein Satz so häufig wie dieser: „Hat er das wirklich gesagt?“ Man hält längst vieles für denkbar und rechnet immer mit dem Schlimmsten. Päpstliche Ausrutscher und sprachliche Missgeschicke sind von übler Nachrede und haltlosen Gerüchten immer schwerer zu trennen. Wollte der Papst allen Ernstes die Schweizergarde abschaffen, bis es ihm in langen Gesprächen gerade noch ausgeredet werden konnte? Schwer zu sagen, ob das stimmt; für möglich hält man es allemal.

Viele, die nach dem ersten, auch schon reichlich turbulenten Jahr noch hoffnungsvoll auf das neu begonnene Pontifikat geblickt hatten, zeigen sich inzwischen zerknirscht. Das liegt nicht nur an den verbalen Fehlgriffen des Papstes, sondern auch an einer wachsenden Unsicherheit, was er überhaupt will und ob er seiner Aufgabe gewachsen ist. Zwar wird nach wie vor positiv bewertet, wie herzlich Franziskus den Menschen begegnet, wie viel Zeit er sich für jeden Einzelnen nimmt und wie er weltweit Millionen mobilisiert, die sich jetzt wieder neu für den katholischen Glauben interessieren.

Doch immer hartnäckiger wird gefragt, welche Ziele Franziskus jenseits der medialen Effekte verfolgt. Die starke Orientierung an Gesten und Symbolen schien zu Beginn des Pontifikates verständlich, doch längst wachsen Zweifel, ob der Papst in der Lage ist, seine eigene Popularität für die Themen zu nutzen, die ihm am Herzen liegen: die Erneuerung des Glaubens, den Kampf gegen die Armut und den Schutz verfolgter Christen.

Und unklarer denn je ist, was der Papst genau unter Reformen versteht. Sein erstes Schreiben, das er mit dem ganzen Gewicht des katholischen Lehramtes verbindet, ist derzeit in Arbeit und soll im Frühjahr als Enzyklika unter dem Titel „Die Ökologie des Menschen“ erscheinen. Nach allem, was zu hören ist, wird er darin nahtlos an die Theologie seines Vorgängers Benedikt XVI., aber auch an die Thesen des Globalisierungskritikers Luis Antonio Tagle, dem jungen Erzbischof von Manila, anknüpfen.

Für die kirchliche Ausrichtung wichtiger als die Enzyklika ist aber ohne Zweifel der Ausgang der Bischofssynode im Herbst, wo die katholische Lehre zu Ehe und Familie neu formuliert werden soll. Konservative und Liberale streiten seit Monaten heftig über die Themen der Synode - doch auf keiner Seite durchblickt man bislang, was der Papst selbst eigentlich will. Ist es Machtkalkül oder Führungsschwäche, dem Streit tatenlos zuzusehen?

Viel Wunschdenken: „Frischer Wind im Vatikan“

Mit der um sich greifenden Verwirrung ist auch das Angebot an Deutungen des rätselhaften Papstes gewachsen. Nie gab es so viele Interpreten, die der ratlos staunenden Welt erklären, wie dieser Papst richtig zu verstehen ist. Ihre Titel lauten: „Revolution im Vatikan“, „Ein radikaler Papst“, „Revolution der Zärtlichkeit“, „Papst mit Herz und Seele“, „Vom Reaktionär zum Revolutionär“, „Der Papst der Armen“, „Frischer Wind im Vatikan“, „Ein neuer Frühling für die Kirche“, „Eine Revolution von oben“.

Es ist unübersehbar, dass fast alle Titel dasselbe Thema nur leicht variieren: der neue, ganz andere Papst, der Aufbruch, der Neuanfang, die Revolution. Womöglich ist da viel Wunschdenken im Spiel, und in manchem Titel vermischen sich die Hoffnungen des Autors mit der Marketing-Strategie des Verlages. Revolution? Aufbruch? So was läuft immer gut. Ein vorläufiger, unsicherer Befund, eine Indifferenz im Urteil - all das lässt sich in den Medien viel schlechter an den Mann bringen als eine steile These unter einem zugespitzten Titel. Dabei kommen die echten Insider genau zu diesem Schluss, also diejenigen, die den Papst täglich aus der Nähe beobachten oder direkt in der Kurie arbeiten: Sie sind in ihrem Urteil über ihn unsicher - und er verunsichert sie von Tag zu Tag mehr.

Die Mitarbeiter der Kurie haben ohnehin einen schweren Stand beim neuen Papst, der sie seine Abneigung vom ersten Tag an spüren ließ. Für die - ohne Zweifel notwendige - Reform der Kurie setzte er einen Rat von Kardinälen ein, die größtenteils über keinerlei eigene Erfahrung im Vatikan verfügen. In der Öffentlichkeit kam das gut an, wie alles, was sich gegen Apparat und Bürokratie richtet. Doch in der Kurie war die Stimmung dadurch von Beginn an schlecht; dann wurde sie schlechter.

Böse Worte nach der Weihnachtsansprache

Das gilt vor allem für die Laien, die im Vatikan arbeiten und angesichts römischer Lebenshaltungskosten bescheidene Gehälter in Kauf nehmen, um für den Papst im Dienst zu stehen. Als er ihnen die Bezahlung der Überstunden strich, verspielte er auch ihre Sympathien. Dann kam die Weihnachtsansprache 2014, in der Franziskus 15 Krankheiten in der Kurie diagnostizierte, in gewohnt drastischer Wortwahl. Wieder war dem Papst der Beifall der Öffentlichkeit gewiss, denn auf die Kurie zu schimpfen und den Bischöfen „geistliches Alzheimer“ und Karrierismus vorzuwerfen, kommt immer gut an. „Papst liest den Kardinälen die Leviten“, „Franziskus bläst Bischöfen den Marsch“ - so und ähnlich hießen überall auf der Welt die Schlagzeilen.

Doch zwischen dem Papst und seinen Mitarbeitern kam es an diesem Tag zum endgültigen Bruch. Zum ersten Mal machten böse Worte die Runde. Dabei hatten auch innerhalb der Kurie viele Verständnis für die Kritik, nicht aber für das Timing und die Pauschalität des Urteils. Auch hier bleibt rätselhaft, warum niemand dem Papst das Naheliegende erklärt hat: Nach einer solchen Weihnachtsansprache kann kein Chef mehr auf die volle Unterstützung seiner Mitarbeiter zählen.

Vielsagend ist, dass sich der Blick in den letzten Wochen und Monaten um 180 Grad gedreht hat: Immer seltener ist vom Anfang des neuen Pontifikates die Rede; immer häufiger aber wird über dessen Ende spekuliert. Man redet neuerdings wieder viel über die Mehrheitsverhältnisse im nächsten Konklave und über die Kardinäle, die „papabile“ sein könnten. Favoriten bringen sich in Position, Außenseiter arbeiten an ihren Netzwerken. So früh haben Nachfolgespekulationen noch nie begonnen. Doch auch dazu hat Franziskus selbst beigetragen, indem er sagte, er werde schon „in zwei, drei Jahren in das Haus des Herrn“ ziehen. War das eine Todesahnung oder eine Rücktrittsankündigung? Will der Papst den Job, den er vielleicht nie so richtig wollte, bald schon wieder an den Nagel hängen? Wie so vieles in der kurzen Ära Franziskus bleibt auch das unsicher.




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