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"Es Ist Sensibilitat Gewachsen"

Katholisch
April 11, 2015

http://www.katholisch.de/de/katholisch/themen/kirche_2/150323_interview_regens_bentz_missbrauch.php

Vor funf Jahren wurden die systematischen Missbrauche durch Geistliche in Deutschland aufgedeckt. Seitdem hat sich viel getan – auch bei der Ausbildung von Priestern. Udo Bentz, Regens des Mainzer Priesterseminars und Vorsitzender der Deutschen Regentenkonferenz, spricht mit katholisch.de uber die gestiegene Sensibilitat bei der Auswahl von Kandidaten. Au?erdem erklart er, warum der Zolibat mehr als "Verzicht auf Sexualitat" ist.

Frage: Herr Bentz, laut Bischof Franz-Josef Bode werden in den Priesterseminaren mehr Bewerber als fruher abgewiesen, seitdem der Missbrauchsskandal aufgedeckt wurde. Stimmt das?

Bentz: Man kann nicht sagen, seit 2010 wurden wir deshalb mehr Bewerber ablehnen, weil wir plotzlich auf etwas vollig "Neues" achten, worauf vorher gar nicht geachtet worden ware. Ich bin seit 2007 Regens und habe von Anfang an jedes Jahr etliche der Bewerber nicht in die Ausbildung genommen – aus ganz verschiedenen Grunden. Dennoch hat der Bischof recht: Durch viele Gesprache mit Fachleuten und den Austausch unter uns Kollegen ist eine Sensibilitat gewachsen. Wir hatten in den zuruckliegenden Jahren eine aktive Auseinandersetzung mit dem Thema "sexueller Missbrauch" und "Pravention". Es gab keine Zusammenkunft unter uns Priesterausbildern, bei der wir nicht auch daruber gesprochen haben. Das verandert die Perspektive. Ich schaue mir die Interessenten heute anders an. Ich gewichte auch meine Wahrnehmungen anders. Wir haben uns als Regenten auch gefragt: Was konnen wir praventiv beitragen?

Udo Bentz ist Regens des Priesterseminars in Mainz und Vorsitzender der Regentenkonferenz.

Frage: Zur Pravention gehort es auch, ungeeignete Kandidaten abzulehnen. Wie sehen Ihre Kriterien fur Bewerber aus?

Bentz: Zunachst braucht es eine Reihe von Gesprachen uber einen langeren Zeitraum hinweg, damit man sich ernsthaft ein Gesamtbild von der Personlichkeit des Bewerbers machen kann. Der Regens sollte nicht der Einzige sein, der am Aufnahmeverfahren beteiligt ist, sondern auch der Subregens oder andere Personen in der Personalverantwortung des Bistums. Die Verantwortlichen sollten immer gemeinsam zu einem Votum uber die Zulassung oder Ablehnung kommen. Soweit ich das wei?, gibt es mittlerweile in fast allen Diozesen im Zusammenhang mit dem Aufnahmeverfahren oder in der Anfangsphase der Ausbildung auch Gesprache mit psychologischen Fachkraften. Das konkrete Setting dafur ist unterschiedlich. Wir in Mainz haben zum Beispiel vor Beginn der Ausbildung ein Wochenende mit Psychologen, bei dem biographisch gearbeitet wird und durch verschiedene Verfahren und Ubungen bestimmte Personlichkeitskompetenzen in den Blick genommen werden. Am Ende erhalt der Student ein ausfuhrliches Feedback uber Starken und mogliche Lernfelder fur seine Personlichkeitsentwicklung.

Frage: Und was ist das Ziel des ganzen Verfahrens?

Bentz: Klarheit zu finden uber die Ernsthaftigkeit und Reife der religios-spirituellen Motivation, den Beruf zu ergreifen. Daruber, welche biographischen Pragungen die Personlichkeit ausmachen. Wichtig ist auch, einen Eindruck davon zu bekommen, welche sozialen Kompetenzen jemand mitbringt. Dabei muss man sagen: Jeder Personalverantwortliche wei?, die Moglichkeit Bewerber in Aufnahme- und Auswahlverfahren umfassend wahrzunehmen, ist begrenzt. Erst im Priesterseminar beginnt die eigentliche Arbeit der Ausbildungsverantwortlichen. Man muss sowohl fordernd als auch fordernd agieren. Man muss sich eine kritische Distanz bewahren. Es braucht wahrend der gesamten Ausbildungszeit Klarheit und den Mut, bei kritischen Entwicklungen Kandidaten auch wieder wegzuschicken.

Frage: Was hat sich seit 2010 alles geandert?

Bentz: Das Stichwort "Personlichkeitsentwicklung und -reife" steht mittlerweile noch mehr als vorher im Fokus. Dazu wurden an vielen Ausbildungsstatten die pastoral-psychologischen Ausbildungseinheiten uberarbeitet und neu gewichtet. Wir haben mit den geistlichen Begleitern und Fachleuten im sogenannten "Forum internum" gesprochen und gemeinsame Fortbildungen gehabt. Gerade in diesen Begleitungsprozessen gibt es noch einmal andere Moglichkeiten auf die Personlichkeitsentwicklung, Fragen der Identitat und der Sexualitat oder das Beziehungsverhalten zu schauen. Wir haben naturlich auch alle Anforderungen aus den Richtlinien zur Pravention ubernommen: ein erweitertes Fuhrungszeugnis vor der Aufnahme, das alle funf Jahre neu angefordert wird, spezielle Praventionsschulungen wahrend der Studienzeit, in der pastoralen Ausbildungs- und noch einmal in der Berufseinfuhrungsphase. Ich glaube aber, dass wir damit noch nicht am Ende sind.

„Zolibat ist nicht einfach Verzicht auf Sexualitat – fertig aus.“

Regens Udo Bentz

Frage: Was muss denn noch geschehen?

Bentz: Es genugt nicht, ein paar zusatzliche Seminare anzubieten, die die Kandidaten "durchlaufen mussen". Da soll man sich nichts vormachen. Weitere Fragen stellen sich: Wie "abgeschottet" oder wie vernetzt geschieht Ausbildung? Welches Gesprachsklima gibt es? Welche Lernbereitschaft im Blick auf die eigene Personlichkeit bringen die Kandidaten ein? Denn jedem Kandidaten muss klar sein, dass seine Personlichkeit das entscheidende "Werkzeug" fur seine spatere priesterliche Aufgabe sein wird. Also muss auch jeder bereit sein, in dieser Hinsicht an sich selbst zu arbeiten und sich darin begleiten und formen zu lassen. Wir sprechen da ja gerne von der Priesterausbildung als "formatio". Ebenso muss klar sein: Wenn ich die Priesterausbildung aufnehmen mochte, werde ich mich auch mit dem Thema "Sexualitat" auseinandersetzen mussen. Daran darf keiner vorbeikommen.

Frage: Der Kirche wird aber haufig vorgeworfen, das Thema Sexualitat zu tabuisieren.

Bentz: Gegen manche Vorurteile ist es wirklich schwer anzukampfen – naturlich wird in der Ausbildung uber Sexualitat gesprochen! Es ware unverantwortlich, es nicht zu tun. Wir haben ein sehr differenziertes System der Moglichkeiten, dieses Thema anzugehen: in der geistlichen Begleitung im "Forum Internum", in psychologischen Kursen und Einzelgesprachen – und naturlich auch in den Begleitungsgesprachen mit der Ausbildungsleitung.

Frage: Pater Klaus Mertes, der den Missbrauchsskandal aufgedeckt hat, spricht davon, dass Priestern eine "nicht gelebte Beziehungsdimension" Probleme bereiten konnte. Wie bereiten sie die Kandidaten auf den Zolibat vor?

Bentz: Etwas Grundsatzliches vorweg: Zolibat ist nicht einfach "Verzicht auf Sexualitat" – fertig aus. Merkwurdigerweise gibt es solche schragen Vorstellungen auch bei manchen Psychologen, die sich dieser Tage zu Wort gemeldet haben. Zolibatares Leben ist eine bestimmte "geistliche Lebenskultur" – ich wahle absichtlich diesen etwas hochtrabenden Begriff. Naturlich muss man sich mit den Fragen auseinandersetzen, wie man mit sexuellen Bedurfnissen umgeht, welche sexuelle Identitat jemand hat und wie integriert das alles in der Personlichkeit ist. Es gehoren aber noch andere Fragen ganz elementar dazu.

Frage: Welche sind das?

Bentz: In den vergangenen Jahren ist im Verlauf der Diskussion zum Beispiel deutlich geworden, dass das Thema "klerikalisierte Macht" eng mit der Frage der Missbrauchspravention zu sehen ist. Es geht au?erdem um das Beziehungsnetz werdender Priester, darum, wie ich Freundschaften und Beziehungen gestalte. Zolibatar leben hei?t gerade nicht beziehungslos leben. Dabei spielt auch die wichtige Frage eine Rolle, wie ich mit dem berechtigten Bedurfnis nach emotionaler Intimitat umgehe: Was bedeutet Nahe und Distanz in den professionellen und in den personlichen Beziehungen des Seelsorgers? Wie erlebe ich als Zolibatarer Geborgenheit und Halt, Vertrautheit und Hingabe? Und was hei?t das noch einmal im Blick auf die personliche Gottesbeziehung, die ja Dreh- und Angelpunkt dieses Lebensentwurfs ist? Die Priesterausbildung dauert in der Regel von Beginn bis zur Weihe sieben Jahre. Man kann diese Themen nicht wie in einem Lehrplan abhandeln. Entscheidend ist, dass in dieser Zeit entsprechende Prozesse der Auseinandersetzung initiiert werden.

Frage: Ist eine padophile Veranlagung dann eigentlich ein Ausschlusskriterium, wenn der Priester spater sowieso zolibatar lebt?

Bentz: Grundsatzlich gilt: Ja – eine padophile Veranlagung schlie?t die Zulassung zum Weihesakrament aus angesichts dessen, was priesterliche Berufung im ganzen Spektrum bedeutet. Denn Zolibat hei?t ja nicht: Ausschluss und Verdrangung der Sexualitat und auf alles andere kame es dann nicht an. Um erfullt zolibatar leben zu konnen, braucht es ein gro?es Ma? an innerer Freiheit und Festigkeit, klare Identitat, Integration und Annahme der eigenen sexuellen Identitat. Die zolibatare Lebensform soll Lebensenergien und geistliche Krafte freisetzen und nicht binden. Wer eine padophile Praferenz hat, hat schwierige Herausforderungen im Blick auf die Integration dieser sexuellen Praferenz zu meistern.

Frage: Einerseits gibt es so schon immer weniger Bewerber fur das Priesteramt, andererseits schauen Sie nun noch genauer hin und weisen mehr Kandidaten ab. Was bedeutet das fur die Zukunft der Kirche?

Bentz: Als Ausbildungsverantwortlicher sage ich, dass Qualitat vor Quantitat gehen muss. Dem fuhle ich mich verpflichtet. Auch wenn es wenige Bewerber gibt, darf ich keine Abstriche an den Anforderungen und Erwartungen an die Kandidaten vornehmen.

Das Interview fuhrte Bjorn Odendahl

 

 

 

 

 




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