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Pater Spricht Frei Uber Missbrauch

By Julia Ried
Mittelbayerische
June 1, 2015

http://www.mittelbayerische.de/bayern/oberpfalz-nachrichten/pater-spricht-frei-ueber-missbrauch-21684-art1240056.html

Klaus Mertes machte einen der gro?ten Missbrauchsfalle in der Kirche offentlich. Das Thema ist nicht endgultig aufgearbeitet.

Engagierter Einsatz gegen das Schweigen uber den Missbrauch: Pater Klaus Mertes (l.) mit Prof. Johannes Grabmeier Foto: Julia Ried

„Das Schweigen“, sagte Pater Klaus Mertes Anfang des Jahres in einem Interview, „war so systemisch wie der Missbrauch.“ Mertes hat das Schweigen uber sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche 2010 gebrochen, indem er Falle am damals von ihm geleiteten Canisius-Kolleg in Berlin offentlich machte; das loste eine Welle von Enthullungen aus.

Der Jesuit, nun Chef einer Schule im Schwarzwald, steht mittlerweile so wenig in der Offentlichkeit, dass er unlangst in der Spiegel-Rubrik „Was wurde eigentlich aus…?“ zu Wort kam. Doch er spricht immer noch, wenn er gefragt wird, auch vor kleinem Publikum – so am Sonntag auf Einladung der „Laienverantwortung Regensburg“ und weiterer Reformbewegungen in Regensburg. „Verlorenes Vertrauen – wie kann es wiedergefunden werden?“ war sein Thema vor gut 80 Zuhorern.

Seine Antworten fielen deutlich aus, im Inhalt wie in der Art und Weise, wie er sie gab. Mertes‘ sonore Tenorstimme wurde sich im Radio gut machen, dazu redet er mit dem ganzen Korper. „Wir brauchen Kontrolle von Macht und Zugangen von Macht in der katholischen Kirche“, sagte er, transparente Verfahren, Beschwerdeinstanzen seien notwendig, „ich nehm das Wort Demokratie gar nicht in den Mund“.

Strukturelle Unfahigkeit

Mertes wurde bekannt damit, dass er als Systemfehler benannte, dass Missbrauch in kirchlichen Einrichtungen in so gro?er Dimension so lange vertuscht wurde. „Das gro?te Hindernis ist die Unfahigkeit und Unwilligkeit zuzuhoren“, erklarte er. Sie sei strukturell begrundet, weil die Geschichten der Opfer das Selbstverstandnis der Kirche in Frage stellten, die dort vorherrschende Vorstellung von geistlicher Macht. „Wie kann der Priester wieder zu einer Figur werden, die sich auch den Standards der Kritik stellen muss?“ Diese Frage beantwortete er unter anderem mit der klaren Zuruckweisung der Vorstellung von einem Priester, der eine besondere Nahe zu Gott hat. Eng am Korper verschrankt hielt er die Arme, als Laienverantwortungs-Vorstand Johannes Grabmeier die Passage aus Mertes‘ Buch „Verlorenes Vertrauen“ vortrug. „In einer ernstzunehmenden katholischen Ideologie ist auch nie so etwas behauptet worden“, wiederholte er.

Dass er zuhoren kann, beweist der Pater, au?erlich nicht als Mann der Kirche erkennbar. „Ich bin ein missbrauchter Regensburger Domspatz“, so stellte sich ein Mann im Publikum vor, einer von zwei Betroffenen im Saal; er sei als Missbrauchsopfer nicht anerkannt, fugte er hinzu. „Ich muss mir von einem Rechtsanwalt sagen lassen, dass der Tater nur so gestohnt hat, weil er mich geschlagen hat“ – der Tater, er hatte den Kopf des Buben zwischen den Beinen. Obwohl Grabmeier Anstalten machte fortzufahren im Zwiegesprach auf dem Podium, nahm sich Mertes die Zeit zu sagen: „Dass eines klar ist, das ist sexualisierte Gewalt.“ Ohnehin sei die Unterscheidung zwischen Gewalt und sexuellem Missbrauch „eine Fortsetzung des Missbrauchs“.

„Jetzt riskieren wir mal etwas“

Mertes hat fur sich die Konsequenzen gezogen: „Ich muss mich von meiner eigenen Fixierung auf eine glaubwurdige Hierarchie losen. Ich muss auf das Schulterklopfen von oben verzichten“, lauten sie. Seine kirchenpolitischen Leitsatze: „Sich vom Schweigen nicht stumm machen lassen“, nicht nur nach oben zu starren, „was macht jetzt Franziskus?“, sondern nach der Devise zu handeln: „Jetzt gehen wir mal voran, jetzt riskieren wir mal etwas.“

Leer sind diese Worte nicht. Von deutschen Bischofen wird Mertes nicht eingeladen. „Ich habe die klaren Signale aus Rom bekommen, dass ich fur die ein rotes Tuch bin“, erzahlte er auf eine Frage aus dem Publikum hin. „Ich muss letztlich diese Risiko immer in Kauf nehmen“, sagte er, als Grabmeier ihn auf die Gefahr der Exkommunikation ansprach. „Ich kann mich nicht von der Angst vor Ausgrenzung so einschuchtern lassen, dass ich nichts tue und schweige. Jesus hatte keine Angst vor Ausgrenzung.“

 

 

 

 

 




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