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„Es hat keine Zeugen gegeben“

Kirchen Zeitung
November 11, 2015

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Weihbischof Heinz-Günter Bongartz (rechts) und Domkapitular Martin Wilk stellten sich am vergangenen Freitag den Fragen der Journalisten.

[The news of the abuse allegations against Bishop Heinrich Maria Janssen has caused consternation in the Hildesheim diocese. Many people doubt whether the allegations are correct.]

Die Nachricht von den Missbrauchsvorwürfen gegenüber Bischof Heinrich Maria Janssen hat im Bistum Bestürzung ausgelöst. Viele Menschen zweifeln, ob die Vorwürfe stimmen.  Weihbischof Heinz-Günter Bongartz beantwortet die Fragen von Matthias Bode:

Die Menschen fragen sich, wie stichhaltig die Vorwürfe sind. Was spricht für die Glaubwürdigkeit des Opfers?

Dafür spricht einiges. Der Betroffene konnte zahlreiche Details wie Umstände, Zeit und Orte des Missbrauchs benennen. Wir haben diese Angaben, so weit möglich, geprüft und sind zu dem Schluss gekommen, dass sich die Dinge so abgespielt haben könnten. In den Gesprächen, die Domkapitular Martin Wilk und ich mit dem Mann geführt haben, war eine große persönliche Betroffenheit zu spüren. Darüber hinaus legt der Lebensweg des Mannes nahe, dass er eine solche Geschichte nicht einfach erdichtet hat. Schließlich hat er seine Angaben durch eine Eidesstattliche Erklärung untermauert, ein ganz wichtiger Faktor für uns.

Reicht das?

Wenn Missbrauchsvorwürfe bei uns auftauchen, gilt grundsätzlich auch die Unschuldsvermutung gegenüber dem Beschuldigten. Wir prüfen genau, ob wir nicht jemandem Unrecht tun, wenn wir uns der Sicht des vermeintlichen Opfers anschließen. In diesem Fall haben wir die Vorwürfe für insgesamt plausibel gehalten. Letztlich wissen wir nicht, was sich wirklich ereignet hat, aber es gibt eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich die Dinge so oder so ähnlich abgespielt haben, wie sie uns der Mann geschildert und mit einer eidesstattlichen Erklärung dokumentiert hat. Domkapitular Wilk und ich haben die Gespräche mit dem Opfer immer mit den zwei psychotherapeutisch kompetenten Mitgliedern des Beraterstabes unseres Bistums für sexuellen Missbrauch kommuniziert. Der Mann selbst hat ein direktes Gespräch mit den Ansprechpartnern ausdrücklich abgelehnt. Auch sie hielten die Angaben des Mannes für glaubwürdig. Daraufhin haben wir den Fall, wie es die Ordnung der Deutschen Bischofskonferenz vorsieht, an die zentrale Koordinierungsstelle für sexuellen Missbrauch gemeldet.

Die Stelle hat die Schilderungen geprüft und eine Zahlung von 10 000 Euro für angemessen erachtet. Das ist das Doppelte wie üblich, aufgrund der Schwere der Taten. Das Bistum hat gezahlt. Erkennen Sie dadurch nicht die Schuld des Täters, in diesem Fall des ehemaligen Bischofs, an?

Die Zahlung ist eben keine Schuldanerkenntnis. Wir erkennen an, dass das Opfer ganz offenbar Leid erlitten hat. Dafür gibt es eine materielle Leistung in Anerkennung des Leids. Wir sagen nicht, dass damit sämtliche Schilderungen des Opfers wahr sind. Und wir verurteilen damit auch den Beschuldigten nicht. Die Schwierigkeit ist, dass auf der einen Seite der betroffene Mann den behaupteten Missbrauch nicht beweisen kann, andererseits der Beschuldigte sich nicht zu den Vorwürfen äußern kann, da er verstorben ist.

Sie sagen, das vermeintliche Opfer habe versucht, eine höhere Geldzahlung durch das Bistum zu erreichen und sich gleichzeitig bereit erklärt, bei Erfüllung der Forderung über den Vorgang zu schweigen. Hat Sie ein solches Verhalten – das ja einer Erpressung nahekommt – nicht stutzig gemacht? Spricht das nicht gegen die Glaubwürdigkeit des Betroffenen?

Ich persönlich habe nie von Erpressung gesprochen, aber natürlich wirft ein solches Verhalten einen Schatten auf die Glaubwürdigkeit des Opfers. Ich verstehe auch nicht, warum der Mann dies getan hat und – nachdem er mit uns strikte Vertraulichkeit vereinbart hatte – selbst den Weg in die Öffentlichkeit gewählt hat. Wichtig ist: Die Beurteilung des Falles durch uns hier in Hildesheim als auch durch die zentrale Koordinierungsstelle in Bonn haben vor dieser Geldforderung stattgefunden.

Wenn wir in die 50er- und 60er-Jahre zurückblicken – war ein Missbrauch durch einen Oberhirten überhaupt möglich? Stand ein Bischof nicht selbst unter ständiger Beobach­tung?

Jeder einzelne Missbrauchsfall ist schwer vorstellbar. Aber es gibt offenbar Orte und Zeiten, an denen ein Missbrauch unbemerkt stattfinden kann. Das war vor 50 oder 60 Jahren nicht anders als heute. Es gibt Missbrauchsfälle in Familien. Und man kann kaum glauben, dass dies niemand bemerkt. Insofern ist auch der Missbrauch durch einen Bischof nicht auszuschließen.

Haben Sie, bevor Sie an die Öffentlichkeit gegangen sind, auch entlastende Fakten für Bischof Heinrich Maria Janssen geprüft?

Umfängliche Befragungen waren aufgrund des Opfer-Wunsches, absolute Vertraulichkeit zu wahren, nicht möglich. Hinzu kommt, dass es kaum Personen aus den 50er- und 60er-Jahren gibt, die darüber verlässlich berichten können. Die Missbrauchshandlungen fanden nach Aussage des Opfers darüber hinaus im Geheimen statt, es hat keine Zeugen gegeben. Die Zeugenschaft ist bei nahezu allen Missbrauchsfällen ein Problem, eben weil verborgene Orte gewählt und die Opfer unter Druck gesetzt werden.  Kinder fühlen sich in ihrer Situation meistens völlig alleingelassen und haben in der Vergangenheit kaum Gehör bei Erwachsenen gefunden. Ein Missbrauchsopfer hat mir einmal gesagt: „Der größte Missbrauch war, dass meine Eltern mir nicht geglaubt haben.“ Wie wollen Sie unter diesen Voraussetzungen glaubwürdige Zeugen finden?

In verschiedenen Kommentaren wird Ihnen vorgeworfen, den Missbrauchsfall nicht frühzeitiger öffentlich gemacht zu haben. Sie berufen sich darauf, dass das Opfer auf Vertraulichkeit bestanden habe. Wäre es nicht möglich gewesen, den Täter zu nennen und gleichzeitig das Opfer zu schützen?

Wie soll das gehen? Der Betroffene hat uns darauf verpflichtet, den gesamten Vorgang unter absoluter Vertraulichkeit zu behandeln. Das haben wir in Übereinstimmung mit den Richtlinien der Deutschen Bischofskonferenz getan.  Was hätten wir machen sollen? Vor die Presse treten und sagen: „Es gibt Vorwürfe gegen einen ehemaligen Bischof. Aber wir können Ihnen nicht sagen, um wen es sich handelt, wer die Vorwürfe erhebt und wie wir dazu stehen.“ Eine so diffuse Kommunikation ist unverantwortlich und nicht vermittelbar.




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