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Fall Janssen : Verwundetes Staunen in Hildesheim

By Florian Breitmeier
NDR
November 12, 2015

http://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/hannover_weser-leinegebiet/Fall-Janssen-Verwundetes-Staunen-in-Hildesheim,kommentarjanssen100.html

[Janssen case: Wounded amazement in Hildesheim.]

Irgendwann im Sommer 2015 muss es passiert sein. Es muss etwas zerbrochen sein zwischen den Bistumsverantwortlichen und dem Betroffenen, sonst hatte der Fall wohl nicht diese Wendung genommen. Als am vergangenen Sonntag das Hirtenwort von Bischof Norbert Trelle in den Gottesdiensten verlesen wurde, schamten sich viele Glaubige ihrer Tranen nicht. Verletzungen allenthalben.

Florian Breitmeier ist NDR Redakteur fur Themen aus den Bereichen "Religion und Gesellschaft".

Die Missbrauchsvorwurfe gegen den verstorbenen Bischof Heinrich Maria Janssen haben auf neue Weise alte Wunden aufgerissen. Der Schock sitzt tief. Es herrscht verwundetes Staunen im Bistum Hildesheim. Verwundet muss sich der Betroffene fuhlen. Nach Jahrzehnten des Schweigens suchte er das Gesprach. In Leserbriefen und im Internet wird ihm nun mehr oder weniger offen unterstellt, unglaubwurdig und geldgierig zu sein.

Verwundet muss sich auch Weihbischof Heinz-Gunter Bongartz fuhlen, der dem Opfer volle Verschwiegenheit in dem Fall zusicherte und am Ende doch vor Fernsehkameras und Radiomikrofonen sa?. Verwundet mussen sich viele Glaubige im Bistum fuhlen, die den verstorbenen Bischof als tatkraftigen Mann verehren. Verwundet mussen sich aber auch viele Betroffene sexualisierter Gewalt fuhlen.

Weihbischof Bongartz hatte den Fall nicht bearbeiten sollen

Es macht mit Blick auf die katholische Kirchenhierarchie einen gewaltigen Unterschied, ob ein Bischof verdachtigt wird, ein Priester, ein haupt- oder ehrenamtlicher Mitarbeiter. Warum? Weil jeder Bischof mit seinem Bistum auf ganz besondere Weise verbunden ist; und er dieses zu Lebzeiten starker zu pragen vermag als jeder Priester oder einzelne Glaubige es konnte. Nicht nur machttechnisch, sondern auch spirituell. Weihbischof Bongartz wurde von dem beschuldigten Bischof Janssen zum Priester geweiht. Daraus ergibt sich eine emotionale Nahe, die bei der bemerkenswerten Pressekonferenz ehrlich und aufrichtig zu spuren war. Dem Weihbischof ging und geht dieser Fall an die Nieren.

Es stellt sich deshalb die Frage, ob er von sich aus den Fall gar nicht erst hatte bearbeiten sollen. Eben weil er in der Angelegenheit besonders betroffen sein muss. Zumindest steht das Risiko eines Interessenkonflikts im Raum, wenn der Vertreter des Bistums in einer Angelegenheit entscheiden soll, die einen Mann betrifft, der ihn zum Priester geweiht hat. Auch wenn Weihbischof Bongartz davon uberzeugt war, den Fall objektiv aufarbeiten zu konnen, er konnte fur die Gesprache in diesem Fall unmoglich erste Wahl sein, ebenso wenig wie Weihbischof Nikolaus Schwertfeger und Generalvikar Werner Schreer, die ebenfalls von Janssen geweiht wurden.

Externe Experten waren notwendig gewesen

Nun hatte aber der Betroffene ein Gesprach mit Bistumsverantwortlichen verlangt. Was tun? Es liegt so nah, wie es manch einem am Domhof vielleicht fern gelegen haben mag. Bischof Norbert Trelle hatte allein schon mit Blick auf die besondere Verbindung seiner ranghochsten Mitarbeiter zu dem Beschuldigten den Fall an sich ziehen mussen.

Als ehemaliger Kolner Weihbischof und lange nach Janssens Tod ins Amt gekommen, hatte Norbert Trelle gewisserma?en als Mann von au?en auftreten konnen. Aber Bischof Trelle sah als oberster Dienstherr am Domhof nicht das mogliche Problem, dass ein in dieser Frage so beruhrter Weihbischof die Gesprache mit einem Betroffenen fuhrt.

Entweder wollte Bischof Trelle es nicht sehen oder er konnte es nicht sehen, vielleicht auch beides zusammen. Denn auch er ist uber den Fall aufrichtig besturzt und innerlich zerrissen. Verwundetes Staunen in Hildesheim.

Dennoch: Der Umgang des Bistums mit dem Fall offenbart eine Schwache der Institution mitsamt einiger ihrer Kommunikations- und Entscheidungswege. Kurzum: Angesichts dieser komplizierten Situation hatten externe Experten den Fall bearbeiten mussen! Vielleicht ware dann alles ganz anders gekommen. Vielleicht ware die Situation nicht eskaliert.

Was nun passieren konnte

Wie gesagt: Vielleicht, hatte, wenn und aber. Die Suche nach Antworten und Losungen hat gerade erst begonnen. Einige Vorschlage, was nun passieren konnte:

Das Bistum erlasst fur alle Mitarbeiter einen Verhaltenskodex, der klar regelt, wer wann und unter welchen Umstanden von der Bearbeitung eines Falls freizustellen ist.

Eine unabhangige Untersuchungskommission und nicht nur ein bischoflicher Krisenstab nimmt sich des Vorgangs an. Denn derzeit erscheint das Bistum selbst als eine traumatisierte Institution.

Jede Minute Praventionsarbeit lohnt

Ein weiterer Vorschlag: Das Bistum bemuht sich in Fallen sexualisierter Gewalt mit dem Betroffenen eine Losung zu finden, die beides ermoglicht: vollen Opferschutz und das Herstellen einer kritischen Offentlichkeit, denn nur so konnen sich mogliche weitere Betroffene melden.

Generell gilt: Jede Minute Praventionsarbeit im Bistum Hildesheim lohnt. Der ehrlich gemeinte Widerspruch von Mitarbeitern gegenuber Vorgesetzten lohnt. Der Diskurs von Geistlichen, Glaubigen und Kritikern in der Offentlichkeit lohnt, weil man so der Wahrheit auf die Spur kommen und aus Fehlern lernen kann.

 

 

 

 

 




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