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Wie Ein Tritt Ins Gesicht

By Julius Muller-Meiningen
Zeit
November 13, 2015

http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-11/missbrauch-kirche-papst-opfer

Papst Franziskus auf dem Weg zu einer Audienz im Vatikan © Max Rossi/Reuters

Als Papst Franziskus auf seiner USA-Reise Ende September nach Philadelphia fuhr, suchte Juan Carlos Cruz lieber das Weite. Cruz, 51, stammt aus Santiago de Chile, er arbeitet in Philadelphia als Leiter der Kommunikationsabteilung eines gro?en Chemiekonzerns. Cruz flog zu einer Familienfeier in die Heimat, er war nicht traurig, dass er deshalb den Papst verpasste, im Gegenteil: Franziskus, der in der ganzen Welt als mutiger Reformer gefeiert wird, steht in den Augen von Juan Carlos Cruz fur Stillstand und Vertuschung.

Am 10. Januar dieses Jahres nominierte der Papst den neuen Bischof von Osorno in Chile, Juan Barros, 59, einen Zogling von Fernando Karadima. 26 Jahre lang leitete der heute 85-jahrige Karadima die Pfarrgemeinde im Nobelviertel El Bosque von Santiago und belobigte in seinen Predigten Chiles Ex-Diktator Augusto Pinochet. Aber vor allem missbrauchte er nachweislich Minderjahrige und errichtete eine Schreckensherrschaft aus Selbstverherrlichung, Psychodruck und Vergewaltigung. Aus seinem Umfeld kommen nicht nur Dutzende Priester, sondern auch vier in Chile amtierende Bischofe, darunter der jungst von Franziskus berufene Barros. "Er war dabei, als Karadima mich beruhrte", sagt Juan Carlos Cruz, der nach seiner Aussage als 17-Jahriger eines von Karadimas Opfern im Priesterseminar war. "Er kusste Karadima. Ich sah, wie er abscheuliche Dinge tat."

Erst 2011 wurde Karadima vom Vatikan als Priester suspendiert, strafrechtliche Ermittlungen verliefen im Sand, weil die Taten aus den 1980er Jahren verjahrt waren. Der fruhere Pfarrer lebt nun in aller Abgeschiedenheit. Juan Carlos Cruz sagt, er leide bis heute unter dessen Taten und sei noch immer in Therapie. "Ich habe Freunde, die sich umgebracht haben."

Das gro?ere Problem fur die Kirche aber ist heute Barros, dem die Bischofskongregation im Vatikan am 31. Marz bescheinigte, keine "objektiven Grunde" gegen seine Nominierung gefunden zu haben. Cruz hingegen empfand es als "Schock", dass der Reform-Papst einen Mann als Bischof einsetzt, der angeblich bei Gewaltakten dabei war und Karadimas Taten bis heute vertuscht.

Auch in Osorno regt sich heftiger Widerstand gegen Barros. Bei seiner Amtseinfuhrung im Marz versuchten Glaubige dem Bischof den Zutritt zur Kirche zu verweigern und storten die Messe mit Sprechchoren. Die Nominierung des umstrittenen Geistlichen ist ein Politikum uber die Grenzen Chiles hinweg. Kurzlich wurde es noch einmal befeuert: Am 2. Oktober veroffentlichte das chilenische Nachrichtenportal Ahora Noticias einen Videomitschnitt, der zeigt, wie der Papst bei einer Generalaudienz auf dem Petersplatz in einem kurzen Zwiegesprach uber den Fall Barros spricht. Die Glaubigen von Osorno sollten sich "von diesen ganzen Linken, die diese Sache aufgebauscht haben, nicht an der Nase herum fuhren lassen", sagte Franziskus. Die Menschen vor Ort litten, weil sie "sich von den Dummheiten, die diese Leute sagen, mitrei?en lassen". Gegen Barros lagen keine Beweise vor, die einzige jemals erhobene Anklage sei abgewiesen worden.

Nun standen das Missbrauchsopfer Cruz und seine beiden Mitstreiter Jose Andres Murillo und James Hamilton als "Linke" da, die nach den Worten des Papstes "Dummheiten" verbreiteten. Auch Murillo und Hamilton wurden als Jugendliche nach eigener Aussage von Karadima missbraucht, alle drei halten Barros sowie drei andere von Karadima herangezogene und weiterhin amtierende Bischofe als Mitwisser fur nicht tragbar. Cruz, Murillo und Hamilton klagen in einem Zivilprozess gegen die Diozese von Santiago de Chile wegen Mitwisserschaft und Vertuschung und fordern Schadensersatz von insgesamt 600.000 Dollar. Einen Prozess gegen Barros, der alle Vorwurfe bestreitet, hat es nie gegeben. "Ich hatte es nie fur moglich gehalten, dass der Papst so etwas sagt", erklart Murillo, der sich in Chile fur den Kinderschutz engagiert und in einer Regierungskommission fur Menschenrechte sitzt. "Das ist Doppelmoral."

Der Papst verspricht immer wieder Aufklarung

Immer wieder findet Papst Franziskus harte Worte gegen Kleriker, die sich des Missbrauchs schuldig gemacht haben. "Die Verbrechen und Sunden des sexuellen Missbrauchs an Minderjahrigen durfen nicht langer geheim gehalten werden", sagte er beim Weltfamilientag in Philadelphia und versprach "eiserne Wachsamkeit". Alle Verantwortlichen mussten Rechenschaft ablegen.

In den USA kam der Papst zum wiederholten Mal mit Missbrauchsopfern zusammen, zuvor hatte er etwa den Rucktritt des wegen Vertuschung von sexuellen Missbrauchs verurteilten Bischof von Kansas City, Robert Finn, vorangetrieben. Im Marz 2014 richtete er zudem eine Kommission fur den Schutz von Minderjahrigen ein, die ihm Vorschlage unterbreiten soll. So wird derzeit im Vatikan ein Tribunal geschaffen, vor dem sich zukunftig auch Bischofe verantworten sollen, die Falle von Missbrauch verschleiert haben. Franziskus wird fur seine Initiativen gefeiert, langst gibt es aber Zweifel an seinem Aufklarungswillen. "Der Papst ist sehr gut darin, positive Schlagzeilen zu produzieren, aber wenn es um null Toleranz bei sexuellem Missbrauch geht, lasst er zu wunschen ubrig", urteilt Cruz.

 

 

 

 

 




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