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"Fragwürdiges Verhalten"

By Martina Kothe
NDR
December 01, 2015

https://www.ndr.de/ndrkultur/Fragwuerdiges-Verhalten,journal164.html

Bischof Norbert Trelle weist die Vorwürfe zurück, er habe die Ermittlungen wegen sexuellen Missbrauchs vereitelt.

[The Hildesheim diocese is facing serous allegations. A young woman said she was sexually harassed at age 11 by Father R. She reported this to the diocese in 2010. The case was handed over to the public prosecutor only in November and by the grandparents and not the church. In addition, it is alleged the diocese did not cooperate with the authorities and attempted to conceal that the priest previously been accused to abuse at Canisius College in Berlin.]

Das Hildesheimer Bistum sieht sich schwerwiegenden Vorwürfen ausgesetzt. Eine junge Frau gibt an, im Alter von elf Jahren von dem Pater R. sexuell bedrängt worden zu sein. Das hatte sie nach eigenen Aussagen 2010 dem Bistum mitgeteilt. Die Übergabe an die Staatsanwaltschaft erfolgte allerdings erst im November des Jahres durch die Großeltern - und nicht durch die Kirche. Ferner arbeitete das Bistum nicht mit den Behörden zusammen und verschwieg, dass der beschuldigte Geistliche sich bereits am Canisius-Kolleg an Kindern vergangen haben soll.

Die Opferinitiative "Eckiger Tisch" fordert nun den Rücktritt des mit dem Fall befassten Hildesheimer Bischofs Norbert Trelle. Dieser trat vor die Presse und befand, der Vorwurf einer Verschleppung und Vereitelung sei ungeheuerlich.

Der NDR Kultur Redakteur Florian Breitmeier findet die Vorgehensweise der Verantwortlichen im Bistum Hildesheim im aktuellen Missbrauchsfall bedenklich.

NDR Kultur: Herr Breitmeier, Sie waren bei der Pressekonferenz. Wie haben Sie Bischof Trelle erlebt? Ist das ein reflexhaftes Zurückweisen?

Florian Breitmeier: Es wurde deutlich, dass der große Befreiungsschlag, den das Bistum Hildesheim bei dieser Pressekonferenz vorgehabt hat, nicht gelungen ist. Bischof Trelle war es wichtig, darauf hinzuweisen, dass zu dem Zeitpunkt, als durch die Schilderung des Mädchens der Verdacht des sexuellen Missbrauchs bekannt wurde - das war im Herbst 2010 -, das Bistum sofort die Staatsanwaltschaft eingeschaltet hat. Dazu muss man wissen, dass das Mädchen bereits im März 2010 das erste Gespräch mit dem Bistum gesucht hat. Zum damaligen Zeitpunkt - so die Version des Bistums - habe das Mädchen durch seine Schilderungen dem mit dem Fall beauftragten Weihbischof Bongartz nicht den Eindruck vermittelt, es könnte sich um einen sexuellen Missbrauch handeln. Deshalb habe er auch nicht ihre Erziehungsberechtigten informiert. Denn das Mädchen hatte das erste Gespräch mit dem Bistum mit der Religionslehrerin gesucht, der sie sich zunächst anvertraut hatte.

Man könnte sagen, es steht Aussage gegen Aussage, denn in der Dokumentation "Richter Gottes" des WDR wird das alles anders geschildert. Da heißt es, dass sobald das Mädchen zusammen mit der Lehrerin beim Bistum war und darüber gesprochen hatte, was geschehen war, die Kirche eine interne Untersuchung begonnen hätte. Bischof Trelle sagt wiederum, dass das nicht der Fall gewesen sei, sondern dass die Kirche erst mit Ermittlungen begonnen habe, nachdem die Staatsanwaltschaft ermittelt habe. Wer hat Recht?

Breitmeier: Es steht zunächst Aussage gegen Aussage. Es ist schwierig, sofort Licht ins Dunkel zu bringen. Entscheidend ist, dass wir einen Schritt zurückgehen und festhalten, dass das Bistum Hildesheim es nach der Schilderung des Mädchens nicht für nötig befunden hat, die Erziehungsberechtigten der 14-Jährigen darüber zu informieren, dass es ein Gespräch im Bistum gegeben hat. Das halte ich für sehr problematisch, denn nur die Erziehungsberechtigten können letztendlich darüber entscheiden, ob das Mädchen den Fall bei der Staatsanwaltschaft bekannt macht oder eine Anzeige macht.

Weihbischof Bongartz erklärte in Hildesheim, er habe das Mädchen ermuntert, sich an Personen des Vertrauens zu wenden, den Fall noch einmal zu schildern. Aber die Tatsache, dass man ihre Erziehungsberechtigten nicht informiert hat, wirft zumindest ein sehr fragwürdiges Licht auf diejenigen, die Verantwortung tragen. Ein 14-jähriges Mädchen kann einen solchen Fall nicht überblicken, die Bistumsverantwortlichen aber schon. Vielleicht wäre der Fall so wesentlich früher bei der Staatsanwaltschaft gelandet und nicht erst im Herbst 2010.

Es ist erst drei Wochen her, dass der Fall des früheren Bischofs Heinrich Maria Janssen in Hildesheim besprochen wurde. Bischof Trelle ging an die Öffentlichkeit und sagte, bei der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch wolle man mit Transparenz und Klarheit vorgehen. Wie glaubwürdig ist das jetzt noch?

Breitmeier: Ich glaube schon, dass die Verantwortlichen im Bistum Hildesheim versuchen, den Fällen gerecht zu werden. Man kann ihnen nicht pauschal vorwerfen, dass sie Vertuschung betreiben. Aber es gibt an einigen Stellen fragwürdige Positionen und Verhaltensweisen, z.B. dass das Bistum im Herbst 2010 die Staatsanwaltschaft in Berlin nicht darüber informierte, dass der beschuldigte Pater auch bereits in den Jahren zuvor auffällig geworden ist. Auch hier gab es Anzeigen wegen möglicher sexueller Übergriffe.

Das Bistum hat bei der Pressekonferenz die Position vertreten, es hätte den Fall des Mädchens nach Berlin gemeldet, die Staatsanwaltschaft Berlin hätte ihrerseits ermitteln müssen. Man wäre jederzeit kooperationsbereit gewesen. Das mag sein, aber der Umstand, dass man nicht proaktiv die Karten so auf den Tisch gelegt hat, um den Staatsanwalt zu sensibilisieren, das ist problematisch. Denn die Staatsanwaltschaft urteilt bei Tätern, die schon einmal auffällig geworden sind, anders als bei Einzelfällen. Juristisch mag das Vorgehen des Bistums vielleicht korrekt gewesen sein, aber im Sinne der Leitlinie der deutschen Bischofskonferenz, und gerade im Jahr 2010, wo man sich um Transparenz bemühte, ist dieses Verhalten fragwürdig.

Es stellt sich die Frage, ob man nicht genauer hinschauen sollte, sprich: den Fehler im System des Kirchenrechtes suchen muss, damit solche Vorgänge nicht mehr möglich sind. Das wäre auch im Interesse der Kirche.

Breitmeier: Die Kirche ist nach den Fällen 2010 in einem viel stärkeren Maße um Transparenz bemüht als in den Jahren zuvor. Aber es ist die große Frage, inwieweit man bereit ist, über das juristisch vorgegebene Maß hinaus Informationen bekanntzugeben. Man konnte z.B. nicht abschließend klären, ob die Betroffene darüber informiert wurde, dass es ein kirchenrechtliches Verfahren gibt, d.h. dass dieser Fall auch an die Glaubenskongregation in Rom weitergegeben wurde. Weihbischof Bongartz erklärte, er habe davon keine Kenntnis, der Fall läge in Berlin bei einem Verantwortlichen. Bischof Trelle war der Meinung, das Opfer wäre darüber informiert worden. Hier scheinen einige Punkte noch offen zu sein.

Wie geht es nun weiter?

Breitmeier: Das Bistum Hildesheim hat erklärt, dass es sehr daran interessiert sei, dass die Staatsanwaltschaft in Berlin noch einmal die Ermittlungen aufnimmt. Das würde konkret bedeuten, dass das Bistum die Aktenlage nach Berlin übermittelt, nämlich in den Fällen, in denen der beschuldigte Pater im Bistum Hildesheim auffällig geworden ist. Möglicherweise ergibt sich dann ein anderes Urteil und eine andere Bewertung des Falls.




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