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Bistum Hildesheim : Der Bischof Und Die "Ablage Missbrauch"

The Spiegel
December 15, 2015

http://www.spiegel.de/panorama/justiz/bistum-hildesheim-geheimprotokoll-erhoeht-druck-auf-bischof-trelle-a-1067798.html

Bischof Trelle: Will nichts von Missbrauchsvorwurfen wissen

Fur den Hildesheimer Bischof sind aufdringliche Umarmungen, Kusse, teure Geschenke, Ubernachtungen im selben Zimmer und Einladungen zum gemeinsamen Berlin-Besuch zwischen einem uber 60-jahrigen Priester und einem minderjahrigen Madchen offenbar kein Problem.

All das wurde von dem Madchen am 4. Marz 2010 gemeldet, doch weder damals noch heute zeigt sich Norbert Trelle besonders alarmiert. Er entschuldigte auf einer Pressekonferenz vor wenigen Tagen sein Verhalten mit folgenden Worten: Dass ein Priester "dem Madchen gegenuber solche Zeichen der Zuwendung gegeben hat - Wangenkuss, oder wie man das sagt, so zur Begru?ung", das sei "ja heute unter Jugendlichen fast schon Gang und Gabe". Da gingen bei ihm als Bischof "nicht alle roten Lampen an".

Bischof Trelle wei?, dass es dabei nicht um irgendeinen Priester geht, sondern um Peter R., einen der bekanntesten Missbrauchstater in der katholischen Kirche. Den kannte Trelle bereits im Februar 2010, bevor das Madchen sich meldete - nicht nur als einen Hauptverdachtigen im Missbrauchsskandal am Berliner Canisius-Kolleg, sondern auch von Ubergriffen in seinem eigenen Bistum.

Er habe damals nicht im Geringsten aus den Aussagen des Madchens einen Missbrauchsfall erkennen konnen, behauptet der Hildesheimer Bischof heute. Dumm fur Trelle, dass es ein bisher von seiner Kirche geheim gehaltenes Protokoll uber das Gesprach vom 4. Marz 2010 gibt, das nun dem WDR und SPIEGEL ONLINE vorliegt.

Es beweist, dass bei Trelle und anderen Verantwortlichen des Bistums alle roten Lampen hatten angehen mussen. In dem Kirchenprotokoll steht wortlich, Peter R. sei bei einer Ubernachtung im selben Zimmer der Minderjahrigen "nahe gekommen". Und das nicht zum ersten Mal: "Schon in fruheren Zeiten habe R. immer wieder Situationen herbeigefuhrt, in denen er mit ihr allein gewesen sei. Er sei dabei aufdringlich geworden... Au?erdem habe er immer wieder gro?e Geschenke gemacht (Spiegelreflexkamera) mehrmals sogar, so dass sie mehrere Kameras bereits verkauft habe." Am Ende des Gesprachs wird dem Madchen geraten, "dass sie zukunftig den Kontakt mit R. meiden solle".

Dass damals nach dem Gesprach klar war, worum es geht, verdeutlicht auch die Uberschrift des Papiers: "Vermerk. Ablage: Missbrauch 2010".

"Er hat es immer wieder versucht"

Angefertigt hat das Protokoll Trelles Weihbischof und damaliger Personalchef des Bistums Heinz-Gunter Bongartz. Damals war die 14-jahrige Achtklasslerin zum Gesprach in der Bistumszentrale von ihrer Religionslehrerin begleitet worden. Weitere Ermittlungen zu ihren Vorwurfen gegenuber Peter R. hatten - anders als die uber 100 verjahrten Missbrauchsfalle am Canisius-Kolleg - zu dessen Verurteilung fuhren konnen. Deshalb verlangen Betroffene ehemalige Canisius-Schuler jetzt den Rucktritt des Hildesheimer Bischofs Trelle. Auch die ehemalige Schulerin ist emport uber den Bischof. Das Protokoll durfte sie damals nicht einmal lesen, geschweige denn unterschreiben.

Selbst uber ihren Anwalt hat sie bisher nur einen Teil des Protokolls vom Bistum bekommen. Nun meldete sie sich gegenuber der WDR-Filmemacherin Eva Muller selbst zu Wort. Sie kritisiert, dass Bischof Trelle noch heute alles herunterspielt: "

"R. ist nicht jugendlich gewesen. Ich kann da einfach nur den Kopf schutteln. Das war kein Kusschen hier, Kusschen da unter Jugendlichen. Wir waren damals schon beim Schlafen und dann kam er zu mir. Aufdringlich und naher kommen, das steht ja so im Protokoll drin. Und das war nicht nur ein Mal. R. hat es ja die ganze Zeit immer wieder versucht, auch vorher schon, wenn er meine Familie in Hildesheim besucht hat. Er hat mich in den Flur geholt, lange umarmt und versucht, mich auf den Mund zu kussen."

"Da schrillen doch alle Alarmglocken"

Auch die damalige Begleiterin des Madchens und Zeugin des Gespraches, ihre Religionslehrerin, bestatigt die Vorwurfe des Madchens. Ebenso ihr Mann, ein Hildesheimer Diakon, der den Termin im Bistum fur sie gemacht hatte.

Die Lehrerin fragt sich heute, ob sie damals zu gutglaubig gegenuber dem Bistum war: "Wir sind angehalten worden in der Schule, wenn wir etwas in Sachen Missbrauch mitbekommen, sollten wir uns ans Generalvikariat, wenden. Die Schulerin wollte nicht, dass ich die Eltern, Gro?eltern benachrichtige und ich habe sie gefragt, ob wir gemeinsam dorthin gehen, dort ist jemand, der darauf spezialisiert ist und ob wir mit dem reden wollen. Das haben wir getan." Sie sei davon ausgegangen, dass dem dann auch von der Kirche nachgegangen werde. "Als wir aus dem Generalvikariat rausgegangen sind, dachte ich: so, wir haben das jetzt auf einen guten Weg gebracht."

Angesichts der dann folgenden Erfahrungen denkt sie jetzt anders und selbstkritischer: "Mit allem, was ich jetzt wei?, wurde ich heute sofort zusatzlich die Polizei verstandigen. Da dieses Madchen vielleicht aus Angst dazu nicht in der Lage war, hatte ich das als Erwachsene in der Schule fur sie erledigen mussen. Es tut mir ihr gegenuber leid." Sie mache sich Vorwurfe.

Ihr Mann, der als Diakon die Hildesheimer Gemeinde von Peter R. ubernahm, versteht das Zogern und Zaudern seines Bistums nicht: "Es gab den doch sehr klaren Hinweis auf Missbrauch fur mich. Es geht und ging ja um einen im Bistum bekannten Tater, Peter R." Man habe ihn in der Diozese beschaftigt obwohl bekannt gewesen sei, dass es schon vor 2010 zu Ubergriffen durch ihn gekommen sein soll. "Diese Falle hatten wir verhindern konnen. Es ging um einen bekannten Namen und da gibt es nichts, was mit anderem Tun und Handeln vergleichbar ist. Da schrillen doch alle Alarmglocken."

Komplettes Versagen

Die Traumatherapeutin Ursula Enders, Leiterin von "Zartbitter", einer Einrichtung gegen sexuellen Missbrauch an Madchen und Jungen in Koln, kennt den Fall. Sie wirft dem Hildesheimer Bistum komplettes Versagen vor: "Das Protokoll enthalt ganz klar klassische Hinweise auf Taterstrategie. Jeder Tater steigert seine Handlungen und bereitet massivere vor." Selbst die beschriebenen Handlungen seien schon klare Formen sexualisierter Gewalt. "Ein Bistum, dass so eindeutige Hinweise nicht wahrnimmt und bagatellisiert, vertuscht die Gewalt, die ein Priester gegenuber einem Madchen verubt hat."

Wenn Trelle sagt, es sind Umarmungen wie unter Jugendlichen ublich, dann habe der Priester ja schon gegen eine Grenzachtung zwischen den Generationen versto?en. Und damit habe er gegen die Leitlinien der Bischofskonferenz versto?en, die sich genau gegen solche Grenzverletzungen verwehrten. "Es ist ganz klar, dass jeder in der Kirche verpflichtet ist, schon bei Grenzverletzungen und Ubergriffen zum Schutze von Madchen und Jungen aktiv zu werden."

Hat die katholische Kirche aus ihren Missbrauchsfallen gelernt? Im Bistum Hildesheim offensichtlich nicht. Seit Wochen wird unter den mehr als 600.000 Katholiken nicht nur das Verhalten ihres Bischofs im Falle Peter R. heftig diskutiert. Trelle hat in den vergangenen Wochen auch die Missbrauchs-Vorwurfe gegen seinen Vorganger, Bischof Heinrich Maria Janssen, heruntergespielt. Der SPIEGEL berichtete daruber. Die Bischof-Janssen-Stra?e in Hildesheim musse nicht umbenannt werden, hie? es, und der verehrte Bischof durfe auch weiter in der Ehrengruft des Domes liegen bleiben.

Auch der ehemalige Ministrant, der seinen Missbrauch der Bistumsspitze in Hildesheim Anfang dieses Jahres vertraulich mitteilte, fuhlt sich inzwischen durch Trelle diskriminiert und falsch dargestellt.

Das Opfer wehrt sich nun: "Im Gegensatz zu ihren jetzigen Aussagen hatte die Bistumsspitze von Hildesheim mir monatelang mehrfach mundlich und schriftlich versichert: 'Wir alle glauben Ihnen!' und auch die zustandige Koordinierungsstelle der Bischofskonferenz hat bestatigt, dass es sich bei einem Missbrauch durch einen Bischof um einen besonders schwerwiegenden Fall handelt." Auch er fordert Trelles Rucktritt.

 

 

 

 

 




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