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Mehr Missbrauchsfalle Bei Den Domspatzen Als Bisher Bekannt

Suddeutschen Zeitung
January 7, 2016

http://www.sueddeutsche.de/bayern/regensburg-mehr-missbrauchsfaelle-bei-den-domspatzen-als-bisher-bekannt-1.2808939



Die Zahl der Missbrauchsfalle bei den Regensburger Domspatzen liegt wesentlich hoher, als bisher bekannt.

Das geht aus dem Zwischenbericht des unabhangigen Chefaufklarers Ulrich Weber hervor.

Er geht davon aus, dass mindestens jeder dritte der 2400 Domspatzen zwischen dem Zweiten Weltkrieg und den fruhen Neunzigern zum Gewaltopfer wurde.

Von Andreas Glas, Regensburg

Bei den Regensburger Domspatzen hat es wesentlich mehr Missbrauchsfalle gegeben, als bisher bekannt gewesen sind. Das sagte der mit der Klarung des Missbrauchsskandals beauftragte Rechtsanwalt Ulrich Weber im Gesprach mit der Suddeutschen Zeitung.

Seinen Recherchen zufolge seien bis in die Neunzigerjahre hinein mindestens 200 Kinder von Priestern und Lehrern des Bistums verprugelt und daruberhinaus etliche Kinder sexuell missbraucht worden. Die Kirchenleute hatten teils regelma?ig misshandelt, auch Vergewaltigungen habe es gegeben. Was die Zahl der sexuellen Ubergriffe betrifft, will Weber nahere Details an diesem Freitag im Rahmen einer Pressekonferenz in Regensburg nennen.

Viel mehr Falle, als vom Bistum bislang angegeben

Schon jetzt steht aber fest, dass Webers Zahlen deutlich hoher sind als diejenigen, die das Bistum Regensburg im Zuge seiner eigenen Nachforschungen offentlich gemacht hatte. Im vergangenen Februar hatte das Bistum insgesamt 72 fruhere Domspatzen als Opfer korperlicher Gewalt genannt - und angekundigt, jedem von ihnen eine Entschadigung von 2500 Euro zu zahlen.

Wie viele der 72 anerkannten Gewaltopfer auch sexuell missbraucht wurden, lie? die Kirche offen. Und wahrend Regensburgs Bischof Rudolf Voderholzer bislang nur von zwei Tatern sprach, berichtet Ulrich Weber nun von "eindeutig mehr als zwei Beschuldigten".

An diesem Freitag will Weber auch etwas zu dem Zeitpunkt sagen, an dem die Verantwortlichen vom Missbrauch gewusst haben mussten. Zu diesen Verantwortlichen gehort Georg Ratzinger, der Bruder von Papst Benedikt XVI., der zwischen 1964 und 1994 Domkapellmeister des weltberuhmten Knabenchors war.

Weber geht von noch mehr Opfern aus

Allerdings betont Weber, dass er bei seiner Pressekonferenz nur "einen Zwischenbericht" vorlegen werde. Mit anderen Worten: Weber erwartet, dass sich weiterhin Opfer bei ihm melden - und die Zahlen weiter steigen. Wann es einen Abschlussbericht geben wird, lie? Weber offen.

Bereits jetzt sei aber klar, dass bei den Domspatzen uber Jahrzehnte hinweg ein "System der Angst" geherrscht habe, sagte Weber der SZ. Er musse davon ausgehen, dass zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges und den fruhen Neunzigerjahren mindestens jeder dritte der rund 2400 Domspatzen zum Gewaltopfer geworden sei. "Das ist die einhellige Aussage der Opfergesprache", sagte Weber. Er sehe "keinen Grund, daran zu zweifeln". Auch fur die Jahre nach 1992 gebe es "vereinzelte Anschuldigungen, denen aber noch nachgegangen werden muss".

In den vergangenen acht Monaten habe er mehr als 140 Gesprache mit Opfern und Verantwortlichen gefuhrt, sagte Weber. Vor allem die Gesprache mit insgesamt 70 Opfern seien "kraftezehrend" gewesen. Er versicherte, dass das Bistum ihn bei der Aufklarung unterstutzt und vorhandene Akten zuganglich gemacht habe. Die meisten Opfer seien aber von sich aus auf ihn zugekommen - manche mit "einem gesunden Misstrauen". Das sei auch nachvollziehbar, sagte Weber, er sei schlie?lich vom Bistum beauftragt worden.

Bistum in Erklarungsnot

Die neuen Zahlen durften das Regensburger Bistum einmal mehr in Erklarungsnot bringen. Dass ein externer Gutachter in wenigen Monaten dreimal so viele Opfer ermittelt wie die Kirche in funf Jahren, stutzt den Verdacht, dass das Bistum nicht gewillt war, den Skandal luckenlos aufzuklaren und Informationen verheimlicht und vertuscht hat.

Wahrend das Bistum den Misshandlungen anfangs nur in der Domspatzen-Vorschule in Pielenhofen und spater in Etterzhausen verortete, bestatigt Weber jetzt auch Ubergriffe im Gymnasium, Internat und Chor in Regensburg.

Die ersten Missbrauchsfalle waren im Jahr 2010 bekannt geworden. Der damalige Bischof Gerhard Ludwig Muller sprach aber von "Einzelfallen" und stellte die Kirche als Opfer einer Medienkampagne dar. Sein Nachfolger Rudolf Voderholzer hat sich inzwischen zwar bei den Opfern entschuldigt, musste aber Versaumnisse bei der kircheninternen Aufklarung einraumen, als drei fruhere Domspatzen vor einem Jahr in einer ARD-Dokumentation ein regelrechtes Missbrauchssystem schilderten.

Erste personelle Konsequenzen

Daraufhin machte das Bistum Rechtsanwalt Weber zum unabhangigen Chefaufklarer - um "ein Stuck Glaubwurdigkeit zuruckzugewinnen", wie Generalvikar Michael Fuchs damals sagte. Rechtsanwalt Weber war dem Bistum vom gemeinnutzigen Opferschutzverein Wei?er Ring empfohlen worden.

Noch bevor Ulrich Weber an diesem Freitag seinen Zwischenbericht vorlegt, hat das Bistum offenbar erste personelle Konsequenzen gezogen. Nach SZ-Informationen will das Bischofliche Ordinariat einen hauptamtlichen Koordinator einstellen, der den Kinder- und Jugendschutz im Bistum zentral organisiert - eine Ma?nahme, die Kritiker schon seit einigen Jahren fordern.

Der Koordinator soll sich um Entschadigungszahlungen fur die Opfer kummern und die Praventionsarbeit des Bistums weiterentwickeln, um Missbrauchsfalle kunftig zu verhindern.

 

 

 

 

 




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