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Herr Focke Und Die Dunkle Seite Der Kirche - Ex-heimkind Berichtet Von Gewalt, Vergewaltigung Und Ausbeutung

Volksfreund
January 8, 2016

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Wolfgang Focke kampft fur Wiedergutmachung. Das ehemalige Heimkind erzahlt von Gewalt, Vergewaltigung und Ausbeutung. TV-Foto: Sebastian Klipp

(Bettenfeld) Wolfgang Fockes Leben ist nicht einfach – und das war es nie. Fast 18 Jahre hat er in vier Kinderheimen verbracht. Dort wurde er nach eigener Aussage vergewaltigt, geschlagen und zu diversen Arbeiten gezwungen. Heute wohnt der 69-Jahrige in Bettenfeld und kampft noch immer fur Wiedergutmachung.

Wolfgang Focke erzahlt seine Lebensgeschichte. Es ist eine dieser Geschichten, die sich selbst der Autor eines Horrorromans nicht besser hatte ausdenken konnen. Wolfgang Focke ist eines der bekanntesten Gesichter der Missbrauchsszene. Das ehemalige Heimkind hat seine Geschichte bereits in vielen Talkshows und Zeitungen erzahlt. In unzahligen Ordnern und Sammelmappen hat er penibel die Dokumente aufbewahrt, die sein Schicksal belegen. Mit seinen Ordnern ist er nun nach Bettenfeld gezogen. Von dort aus fuhrt der 69-Jahrige seinen Kampf um Wiedergutmachung und Entschadigung fort.

Scherbenhaufen“, sagt er. Seine Mutter eiferte vielen Mannern hinterher, statt sich um ihn und seine Geschwister zu kummern. Sein Vater verschmahte ihn, nachdem ein Vaterschaftstest die Untreue seiner Mutter zweifelsfrei belegte. In seinem Elternhaus stand Gewalt auf der Tagesordnung. Sein Opa habe ihn eines Tages krankenhausreif geschlagen, weil ihm die Jacke auf den Fu?boden gefallen war, sagt er. Auch sonst hatten Kleinigkeiten fur eine Tracht Prugel ausgereicht.

Wegen dieser Zustande kam Wolfgang Focke als Dreijahriger in ein Kinderheim. „Vom Regen in die Traufe“, wie er heute sagt. Wenn er uber seine Vergangenheit spricht, treibt es ihm die Zornesrote ins Gesicht. Fast 18 Jahre durchlief er vier Heime in Nordrhein-Westfalen. 1964 verlasst der damals 21-Jahrige die Obhut der Heime ohne ausreichende Schulbildung. Er kann nicht schreiben, das Lesen fallt ihm schwer. Statt zur Schule zu gehen, sei er zu vielen Arbeiten gezwungen worden, die ihm zutiefst zuwider waren.

An einen Tag erinnert er sich noch besonders gut. Damals habe er bei einem Schweinemastbetrieb gearbeitet. „Wir sind losgezogen, um Futter fur die Tiere zu besorgen“, sagt Focke. Mit einer leeren, schwarzen Tonne seien sie zu einer Kukenzuchtstation gefahren. Ihr Fass fullten sie mit lebenden Kuken, danach lie?en sie Wasser ein. Die Tonne verluden sie dann wieder auf ihren Anhanger. „Die meisten Tiere sind wahrend der Ruckfahrt ersoffen – die, die oben schwammen, nicht.“ Im Schweinemastbetrieb habe das letztlich keine Rolle gespielt. Er musste das Fass in eine Zerkleinerungsanlage schutten – bis auch das letzte Piepen verstummt war. Fur den tierlieben Focke ein Horrorszenario. Eine Wahl habe er nicht gehabt. Tat er nicht, was ihm befohlen wurde, musste er zuruck ins Heim, „und da war es auch nicht besser“.

Aus seiner Zeit im Heim erzahlt Focke von roher Gewalt und brutalen Vergewaltigungen. 33 Jugendliche seien auf 76 Quadratmetern untergebracht gewesen. Es gab keine Toilette, nur einen Urintopf. In der Sammeldusche hatten sich die alteren Heimkinder die jungeren fur perverse Sexpraktiken ausgesucht. „Mit mir wurde alles gemacht, was man sich nur im Entferntesten vorstellen kann“, erzahlt er. Auch vor Ubergriffen von Diakonen sei er nicht sicher gewesen. Als er nach einer Vergewaltigung im Schritt blutete, habe er sich mit zwei Peinigern der Heimleitung stellen mussen. „Statt Trost gab es Schlage mit dem Rohrstock.“

Focke dachte oft daran, einfach abzuhauen. 101 Mal ist es ihm gelungen, bis er doch wieder irgendwo aufgegriffen wurde. Das geht aus den Aufzeichnungen der Heime hervor, die Focke penibel dokumentiert hat. Das war eines Tages dann auch der Startpunkt seiner kriminellen Karriere, die ihn insgesamt 20 Jahre hinter Gitter brachte. Fur seine letzte Flucht aus dem Heim, klaute er ein Fahrrad mit Hilfsmotor.

Das Gericht verurteilte ihn zu zwei Jahren und neun Monaten Haft. Neun Monate musste er davon mindestens absitzen. Bis zu zwei weitere Jahre konnten es werden, wenn er gegen die Gefangnisordnung versto?en hatte. „Das nannte man damals Gummistrafe.“ Gegen die Ordnung zu versto?en, sei leicht gewesen.Ein halbes Jahr habe er zusatzlich bekommen, weil er sich in seiner Zelle auf einen Stuhl stellte, um aus dem Fenster zu gucken. Ein weiteres halbes Jahr bekam er, weil er einem Warter widersprochen hatte. Die restlichen Jahre im Gefangnis hatte er seinem Temperament zu verdanken: „Bei mir hat es erst auf die Fresse gegeben, und danach habe ich gefragt, was los war.“ Focke sa? wegen Korperverletzung, Zuhalterei und Betrugs im Gefangnis. Seine Stimme wird lauter: „Ich bin nicht kriminell“, sagt er. „Die Kirche hat mich zum Verbrecher gemacht.“

Mit 41 Jahren beendete er seine Knastkarriere. Sein neues Leben begann er in Trier. Dort wurde er Friedhofsgartner in St. Paulin. Er arbeitete hart. Das hatte er im Heim gelernt. „Zu hart“, sagt er. Seinen Rucken habe er sich kaputt geschuftet. Spater lebte er dann in Thalfang und jobbte ehrenamtlich als Justizhelfer hinter Wittlicher Knastmauern.

Focke ist arm. Fur seine Arbeit in den Heimen hat er keinen Lohn bekommen, im Gefangnis auch nicht. Die Rente, die er heute bezieht ist karg. „Mein Leben hatte ganz anders verlaufen konnen“, sagt er. Sein Vorwurf richtet sich an die Evangelische Kirche Deutschlands (EKD), die fur die Heime zustandig ist, in denen Focke untergebracht war. Auch heute noch kampft der 69-Jahrige fur Wiedergutmachung.

Ab 2008 befasste sich der Runde Tisch Heimerziehung des Bundestags mit diesen Vorwurfen. Dem Runden Tisch ging eine Petition des Vereins ehemaliger Heimkinder voraus, dessen Vorsitzender zu dieser Zeit Wolfgang Focke war. Aus dem Abschlussbericht geht hervor, dass das Expertengremium den Berichten vieler Heimkinder der 1950er und 1960er Jahren glaubt – darunter auch den detaillierten Schilderungen Fockes.

2013 kaufte ihm die Diakonie sein Haus in Ludge (Nordrhein-Westfalen) fur 68000 Euro ab. Damit verbunden war ein lebenslanges Wohnrecht fur Focke. Er nahm den Deal an. Verdient hat er daran nichts. Das Haus gehorte ohnehin mehr der Bank als ihm selbst. Zumindest ist er seitdem schuldenfrei. In einem ersten Vertragsentwurf habe es eine Verschwiegenheitsklausel gegeben, sagt Focke. Die lehnte er vehement ab. „Ich wollte mich von den Kirchenfursten nicht mundtot machen lassen.“

In den beiden Jahren nach dem Kauf sei er mit der Diakonie mehrfach aneinandergeraten. Grund waren die aus seiner Sicht zu hohen Nachzahlungen fur Strom und Heizung. Focke fluchtete noch einmal – und lebt seit einem halben Jahr in einem kleinen Haus in Bettenfeld.

Seine Burg, wie er sagt. Aufs Land ist er gezogen, weil er sich ein Haus in der Stadt nicht leisten kann. Eine Mietwohnung kommt fur ihn nicht mehr infrage. Das hat er schon versucht. „Wenn ich die Hausordnung im Flur sehe, fuhle ich mich schon unwohl.“ Dafur habe er zu vielen Ordnungen in seinem Leben folgen mussen.

Von der evangelischen Kirche fordert Focke noch 38?000 Euro als Entschadigung. Gegen den Staat klagt er au?erdem auf Erhalt einer Opferrente.

Sein letzter Wunsch ist es aber, noch einmal mit den Verantwortlichen in einer Talkshow zu stehen. Er wunscht sich eine ehrliche und aufrichtige Entschuldigung von der Kirche. So lange will Focke unbequem bleiben und die Offentlichkeit suchen: „Das bin ich mir und den anderen Missbrauchsopfern schuldig.“

 

 

 

 

 




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