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In Einem System Der Angst

By Patrick Guyton
Suedwest Presse
January 9, 2016

http://www.swp.de/ulm/nachrichten/politik/In-einem-System-der-Angst;art4306,3621581

Rechtsanwalt Ulrich Weber legte den Bericht zu Ubergriffen bei den Regensburger Domspatzen vor.

Der Prugel- und Missbrauchsskandal bei den Regensburger Domspatzen war offenbar um ein Vielfaches gro?er als bisher angenommen. Laut einem am Freitag vorgestellten Zwischenbericht des Sonderermittlers Ulrich Weber, ein Regensburger Rechtsanwalt, soll knapp ein Drittel der insgesamt 2100 Buben in der den Domspatzen angehorenden Vorschule Etterzhausen/Pielenkofen, einem Internat, von korperlicher Gewalt betroffen sein. Vielfach kam es auch zu sexuellem Missbrauch. Weber wertet die damaligen Zustande in den katholischen Einrichtungen als ein "System der Angst". Dies hat von 1945 bis 1992 angehalten, hauptsachlich in der Direktoratszeit von Johann Meier (1953 bis 1992). Dieser wird immer wieder als Hauptverantwortlicher fur die Gewalt ausgemacht. Wenige Monate nach seiner Pensionierung starb er 1992 im Alter von 68 Jahren. Dem Ermittler und Opferanwalt Weber liegen nach achtmonatiger Arbeit 231 Meldungen uber korperliche Gewalt vor. Es gibt 42 Beschuldigte, neun von ihnen sollen die meisten Taten begangen haben. Uber sexuellen Missbrauch existieren insgesamt 62 Meldungen uber Straftaten, die 14 Tater verubt haben sollen.

Die Zahlen weichen massiv von denen ab, die das Bistum selbst vor knapp einem Jahr genannt hat, bevor der Rechtsanwalt eingesetzt wurde: Da waren nur 72 Falle aufgefuhrt worden. Diese wurden mit je 2500 Euro entschadigt. Mit den aktuellen Zahlen zeichnet sich fur Weber ab, "dass rund 30 Prozent der Schuler bis 1992 von korperlicher Gewalt betroffen waren". Dabei ist Webers Arbeit langst noch nicht beendet. Vor zwei Monaten sprach er von einem "nicht abrei?enden Strom von neuen Meldungen", immer mehr Betroffene wurden ihn aufsuchen.

Der Ermittler nennt erschutternde Beispiele: Korperliche Misshandlungen hatten in den Domspatzen-Einrichtungen aus Prugelattacken bis zum "blutig Schlagen", Schlagen mit dem Stock, Schlusselbund oder auch dem Siegelring bestanden. Bettnasser wurden zur Schau gestellt, es gab Nahrungs- und Flussigkeitsentzug oder den Zwang zum Essen. Auch wenn man den Einsatz von Gewalt in der damaligen Zeit sehen musse - Korperstrafen wegen Ungehorsams waren teilweise nicht verboten -, zeige sich doch eine "gro?e Unverhaltnisma?igkeit". Die sexuellen Ubergriffe reichten von Streicheln bis zur Vergewaltigung. In Etterzhausen und Pielenhofen hatten zwolf Buben davon berichtet, im Regensburger Internat liegt die Zahl mit 50 deutlich daruber. Nur ein Teil der Falle weise allerdings eine hohe Plausibilitat auf, sagte Weber.

Obwohl es immer wieder zu Beschwerden und Anzeigen kam, stellte sich das Bistum weitgehend taub. Fur polizeiliche Ermittlungen hat Weber keine Hinweise entdecken konnen. Als ein Schuler 1966 durch die Gewalt erhebliche Verletzungen erlitt und die Mutter Anzeige erstattete, sollen Mitschuler dazu gezwungen worden sein, von einem Treppensturz zu berichten.

Der Stiftungsvorstand der Domspatzen hatte 1987 ein ganzes Dossier mit massiven Vorwurfen vorliegen. Als Schuldirektor Meier damit konfrontiert wurde, stritt er nach Darstellung Webers alles ab. Der Anwalt: "Personelle Konsequenzen blieben aus." Auch nach 1992 wurden einzelne Briefe mit Schilderungen von korperlicher und sexueller Gewalt zuruckgehalten. Ulrich Weber meint dazu: "Die Vorgange waren sowohl intern bekannt als auch kritisiert." Es folgten jedoch keine Konsequenzen "oder gar strukturelle Umbauten".

Die Domspatzen sind der international bekannte Knabenchor des Regensburger Domes. Kapellmeister war von 1964 bis 1994 Georg Ratzinger. Der heute 91-Jahrige erhielt einige Bekanntheit, weil er der Bruder von Joseph Ratzinger ist, dem zuruckgetretenen Papst Benedikt XVI. Wusste Georg Ratzinger auch von den Missstanden?, wird Opferanwalt Ulrich Weber gefragt. "Davon gehe ich aus", sagt er.

Als nachster Schritt in der Aufarbeitung steht in Regensburg die Grundung eines Beratungskuratoriums an. Diesem gehoren Opfervertreter, Mediatoren, der Domspatzen-Stiftungsvorstand und der Bischof Rudolf Voderholzer an.

 

 

 

 

 




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