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Ratzinger Nennt Aufarbeitung Des Missbrauchsskandals "Irrsinn"

By Andreas Glas
Sueddeutsche Zeitung
January 12, 2016

http://www.sueddeutsche.de/bayern/regensburger-domspatzen-ratzinger-nennt-aufarbeitung-des-missbrauchsskandals-irrsinn-1.2814560

Der ehemalige Domspatzen-Kapellmeister Georg Ratzinger nennt die Aufklarung des Missbrauchsskandals einen "Irrsinn".

Nach mehr als 40 Jahren sei das Thema fur ihn nun erledigt. Unterdessen melden sich immer wieder neue Opfer.

Ein ehemaliges Mitglied der Regensburger Domspatzen schildert schlimme Prugel-Szenen - und wie Ratzinger daruber gelacht habe.

Von Andreas Glas, Regensburg

Der ehemalige Kapellmeister der Regensburger Domspatzen, Georg Ratzinger, hat die Aufklarung des Missbrauchsskandals als "Irrsinn" bezeichnet. "Diese Kampagne ist fur mich ein Irrsinn. Es ist einfach Irrsinn, wie man uber 40 Jahre hinweg uberprufen will, wie viele Ohrfeigen bei uns verteilt worden sind, so wie in anderen Einrichtungen auch", sagte der 91-Jahrige am Dienstag dem Bayerischen Rundfunk.

Fur ihn sei das Thema abgeschlossen. Wenige Stunden spater relativierte Ratzinger seine Aussage: Es sei richtig, alle Beschuldigungen ruckhaltlos aufzuklaren, hei?t es in einer Stellungnahme des Bistums. Ratzinger, der den Knabenchor von 1964 bis 1994 geleitet hat, war am Montagabend aus Rom zuruckgekehrt, von einem Besuch bei seinem Bruder, dem emeritierten Papst Benedikt XVI.

Korperlicher und sexueller Missbrauch in bis zu 700 Fallen

Am Freitag hatte ein unabhangiger Gutachter seinen Bericht vorgelegt, demzufolge wesentlich mehr Buben misshandelt wurden, als bis vor Kurzem bekannt war. Bis zu 700 Domspatzen sollen von Priestern und Lehrern korperlich oder sexuell missbraucht worden sein. In acht Monaten hat der Gutachter viermal so viele Falle aufgedeckt wie das Bistum Regensburg in funf Jahren.

Seit Freitag haben sich 20 weitere Opfer gemeldet. Ratzinger gab daraufhin der Passauer Neuen Presse (PNP) ein Interview, in dem er bestreitet, vom Missbrauch gewusst zu haben: "Von sexuellen Missbrauchen habe ich uberhaupt nichts gehort in meiner Zeit." Er widersprach damit den Aussagen des Gutachters, wonach davon auszugehen sei, dass Ratzinger sehr wohl von den Ubergriffen gewusst habe.

Ein "Gefalligkeitsinterview" und viele Vorwurfe gegen Ratzinger

Fur viele Opfer sind Ratzingers Aussagen der blanke Hohn. Das Sprachrohr dieser Opfer ist Michael Sieber, der in den Sechzigern selbst ein Domspatz war. Ihn emport nicht nur der Inhalt des Ratzinger-Interviews in der PNP. Gefuhrt hat das Gesprach namlich Karl Birkenseer, der dem Stiftungsrat der Domspatzen angehort.

Sieber nennt Birkenseer deshalb Ratzingers "Haus- und Hofschreiber" und spricht von einem "Gefalligkeitsinterview". Dass sowohl die PNP als auch die Mittelbayerische Zeitung dieses Interview abgedruckt haben, bezeichnet Sieber als "Realsatire". Au?erdem gebe es mehrere fruhere Domspatzen, die versichern, dass Ratzinger "auch uber den sexuellen Missbrauch im Regensburger Internat, zumindest uber den Verdacht, informiert war, ohne dagegen einzuschreiten oder sich wenigstens zu informieren, ob die Verdachtigungen wahr sind".

Schlage wie von einem Besessenen

Sieber hat nun alle Betroffenen angeschrieben, die ihm davon berichtet hatten, dass Ratzinger Bescheid wusste. Er bittet sie um die Freigabe ihrer Berichte, "damit wir moglichst viele davon veroffentlichen konnen". Bereits am Dienstag hat Sieber auf seiner Homepage den Bericht eines fruheren Domspatzen-Schulers offentlich gemacht, der von einer seiner Kindheitserinnerungen erzahlt.

Er berichtet, wie ihn der fruhere Domspatzen-Direktor Johann Meier im Speisesaal "wie besessen" verprugelt habe, weil er seinen Schweinsbraten nicht aufgegessen habe. Er habe geprugelt, "wo immer er mich treffen konnte, bis er nach wohl einem Dutzend Schlagen erschopft aufhorte". Ratzinger habe daneben gesessen und gelacht. Dessen Au?erungen in der PNP klingen ganz anders. Von Ohrfeigen habe er zwar gewusst, aber die seien "im Rahmen des Ublichen" gewesen.

Die Kirche habe "verzogert, verniedlicht und gemauert"

Derweil wachst in Regensburg der Unmut: Fritz Wallner, der stellvertretende Vorsitzende der kirchenkritischen Laienverantwortung Regensburg, fordert den sofortigen Rucktritt des Generalvikars Michael Fuchs. Wallner ist sauer. Seit funf Tagen ist ja nicht nur bekannt, was Priester und Lehrer bis in die Neunzigerjahre hinein getan haben. Seit funf Tagen ist auch bekannt, was die Kirche nicht getan hat: den Missbrauchsskandal eigenverantwortlich aufklaren. Jahrelang sei "verzogert, verniedlicht und gemauert" worden, sagt Wallner.

Die Verantwortung sieht er vor allem beim fruheren Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Muller, der die Missbrauchsvorwurfe als "Einzelfalle" und Medienkampagne abgetan hatte. Weil Muller aber nicht mehr fur das Bistum Regensburg verantwortlich ist, sondern Prafekt der Glaubenskongregation im Vatikan, musse derjenige den Kopf hinhalten, der als "oberster Vertreter dieses Systems" noch im Bistum tatig ist: Generalvikar Fuchs. Der habe das Allmachtsystem von Bischof Muller "entweder mitgetragen oder nicht so interveniert, dass sich daran etwas geandert hatte".

Auf SZ-Nachfrage wollte der Bistumssprecher nichts zu der Rucktrittsforderung sagen. Auch zu den neuen, gewaltigen Zahlen des unabhangigen Aufklarers schweigt das Bistum seit Tagen.

 

 

 

 

 




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