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"Das Schlimmste war die Hilflosigkeit"

BR
January 19, 2016

http://www.br.de/nachrichten/domspatzen-missbrauch-erlebnisbericht-100.html



[with video]

[Conductor Lothar Zagrosek discusses his time spent at the Regensburg boys choir school in the 1950s.]

Mindestens 231 Fälle körperlicher Misshandlungen habe es bei den Regensburger Domspatzen gegeben, so der mit der Aufklärung betraute Rechtsanwalt Ulrich Weber. Erstmals äußert sich nun auch ein großer Name der Musikwelt als Betroffener: der Dirigent Lothar Zagrosek. Hier sein Bericht.

"Mein Name ist Lothar Zagrosek. Ich war mit meinem Zwillingsbruder Eberhard und einem drei Jahre jüngeren Bruder Johannes in den Jahren 1952 bis 1959 in Etterzhausen und in Regensburg. Die Schilderung meiner Erlebnisse möchte ich auf einige wenige aber signifikante Erinnerungen beschränken. Mein kleinerer Bruder Johannes hatte einmal während einer Messe nicht sofort mitgesungen, weil er das Kirchenlied im Liederbuch nicht gleich gefunden hatte. Daraufhin wurde er noch während der "heiligen" Messe herausgerufen und in der Bibliothek so geschlagen, dass man eine Putzfrau rufen musste, um das Blut aufzuwischen. Sein Ohrläppchen war eingerissen."

"Es gab regelmäßig eine dünne Pilzsuppe zum Mittagessen. In den Pilzen waren immer Würmer. Eines Tages schlug ich heimlich vor, jeder der Knaben sollte sein Prachtexemplar an Wurm auf einen Teller legen, den wir heimlich herumgehen ließen. Diesen Teller mit 100 Würmern servierten wir dann den in der Küche tätigen Klosterfrauen als Anschauungsmaterial."

"Der Internatsdirektor war der Priester Zeitler. Er war schon einmal in einem anderen Knabeninternat sexuell tätig gewesen. Dennoch wurde er vom bischöflichen Ordinariat zu den Regensburger Domspatzen als Internatsleiter versetzt. Bei uns wurde er wieder straffällig, was ihm eine Verurteilung zu fünf Jahren Zuchthaus eintrug. Ein Dutzend seiner Opfer flog dann vom Gymnasium."

"Sie mußten nämlich plötzlich alle Schulprüfungen ohne die "Hilfe" des Herrn Zeitler bewältigen, der ihnen bis dato den Stoff immer vorher mitgeteilt und damit zu mühelos erworbenen guten Noten verholfen hatte. Ihr späteres Schulversagen führte zum Abbruch ihrer schulischen Ausbildung."

Hilflosigkeit und Selbstmorde

"Das Schlimmste aber war die Hilflosigkeit, das Ausgeliefertsein und die totale Schutzlosigkeit in einem Alter, in dem man eigentlich Zuwendung braucht. Die Eltern waren weit weg. Nach Hause kam man nur zu Weihnachten, Ostern und in den Sommerferien. Viele hat diese "Erziehung" gebrochen. In mir hat sie Rebellion gegen jede ungerechte Behandlung und den unbedingten Willen, ein niemals und von niemandem bestimmtes Leben zu führen, ausgelöst. Heute bin ich Dirigent und habe niemanden 'über' mir, der mich fremdbestimmen könnte, wenn ich es nicht möchte."

"Die von mir geschilderten Vorfälle fanden allesamt in der 'legendären' Ära des Domkapellmeisters Theobald Schrems statt. Zum Schluss möchte ich noch zwei merkwürdige Todesfälle erwähnen: Ein Knabe aus meiner Klasse - einziger Sohn einer Kriegerwitwe - wurde von Schrems immer wieder bei den Chorproben wegen absoluter Nichtigkeiten gestraft. Er wurde immer stiller, immer mehr in sich gekehrt. An seinem 18. Geburtstag ging er in die Berge und kam nicht mehr zurück. Schrems hatte einen Verwandten namens Hans Schrems. Der war Stimmbildner. Als er bei der Nachfolge von Theobald Schrems übergangen wurde, stürzte er sich eines Tages in die Donau. Das nur zum Thema Klima im Internat."




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