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Offnen Sie Die Augen, Georg Ratzinger!

Crescendo
January 19, 2016

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[Open your eyes Georg Ratzinger!]



Sehr geehrter Georg Ratzinger –

Sie sind mude, Ihre Gesundheit macht Ihnen zu Schaffen: der Korper, das Denken – die Augen. Und, ja, ich kann mir vorstellen, wie muhsam und anstrengend es sein muss, am Ende eines Lebens, fast erblindet, die Augen dann doch noch einmal offnen zu mussen, wie viel Kraft es braucht, die muden Lider zu heben, nur, um in die Holle blicken zu konnen: statt der angenommen 70 Missbrauchsfalle bei den Regensburger Domspatzen reden wir nun wohl von mehreren hundert, der Rechtsanwalt, der die Falle aufarbeitet, beobachtet einen „Dominoeffekt“ der Offenbarungen und den Einsturz eines Lugengebaudes, lieber Georg Ratzinger, das Sie damals mit erreichtet haben. Hieronymus Bosch hatte sich kaum schlimmer ausmalen konnen, wie es unter Ihrer Leitung bei den Domspatzen zugegangen ist: Ohrfeigen, Zuchtigungen, Missbrauch – im Himmel sollen angeblich die Engel singen, auf Erden wurden sie von Herzens-Zerstorern ausgebildet! Und Sie, Georg Ratzinger, mussten nur einmal noch die Augen offnen, um Ihre Rolle dabei zu erkennen: vor Gott und der Welt.

Korperliche Zuchtigung und sexuelle Ubergriffe waren bei den Regensburger Domspatzen keine Ausnahme, sondern Teil der Erziehung, eines padagogischen Systems, dem Sie vorgestanden, das Sie mit erzeugt haben, eines Monsters mit hunderten nicht sehenwollender Augenpaare. Und es ist schwer zu begreifen, warum kein Auge sah und kein Mund geoffnet wurde. Aus Angst? Aus Scham? Warum? – Diese Erklarung, Georg Ratzinger, sind Sie uns schuldig. Denn der Fakt des Wegschauens ist mindestens so erschreckend wie die Missbrauchsfalle an sich. Schlie?t Gott je seine Augen? Hat Jesus je seine Augen geschlossen? Und, mit aller gegebenen Ehre, Herr Ratzinger: auch Ihr langsames Erblinden und der mude Korper konnen keine Entschuldigung dafur sein, auch heute noch wegzuschauen und zu schweigen. An Ihrer Person hangt auch die Glaubhaftigkeit Ihrer Institution – der Katholischen Kirche.

Fur Sich selber, vor Gott!

Dass Sie 2010, als die ersten Vorwurfe auftauchten, eingestanden haben selber geschlagen zu haben (bis es strafrechtlich in Bayern verboten wurde), dass Sie sich entschuldigt haben, auch dafur, angeblich nichts bemerkt zu haben – das war ein Anfang. Ein Anfang, der heute eher als Prinzip des eignen Endes zu verstehen ist: Sie gaben nur das Offensichtliche zu, wollten, dass weiter geschwiegen wird. Die Beichte aber funktioniert anders als durch das Verstecken der eigenen Verantwortung vor, ja wem eigentlich? Den Opfern? Dem Publikum? Vor sich selber? Vor Gott?

Lieber Georg Ratzinger, Sie waren zeitlebens Musiker. Ihnen unterstand zwar auch die Ausbildung ihrer Knaben, die Erziehung in der Schule, Sie aber interessierte vor allen Dingen die Musik. Damit sind Sie nicht allein. Schon Johann Sebastian Bach lie? sich freikaufen, als er die Thomaner in Leipzig ubernahm, um ihnen keinen Lateinunterricht erteilen zu mussen. Auch er wollte sich lediglich an ihrer Musik erfreuen. Aber anders als Sie war Bach nicht schwach: Er kannte seine Grenzen, seine Interessen – und verstand es, sie zu organisieren. Genau daran aber, Georg Ratzinger, sind Sie gescheitert: Sie haben die Verantwortung fur die Kinder in Ihrer Schule ubernommen – und sie nicht wahrgenommen. Weil Ihnen die Musik wichtiger war? Weil die Disziplin die Musik erst ermoglichte? Weil Engelsstimmen nur durch Teufelsqualen entstehen?

Kastraten und Missbrauch

Erlauben Sie mir einen Vergleich: die Regensburger Domspatzen sind nicht der einzige Fall in der Geschichte der Musik, in dem Kinderleben fur die Schonheit des Klanges geopfert wurden. Fur einen Frainelli mussten zehntausende Kinder ihr Leben lassen: Kinder armer Menschen, die sich durch den „Verkauf“ ihrer Sohne und deren Kastration erhofften, wenigstens zu uberleben. Es war die Moral der Kirche, die damals das Auftreten von Frauen bei Gottesdiensten verboten hatte, es war die Kirche, die damals nach Kastraten schrie, es war die Kirche, auf deren Kosten die Kinder Italiens verbluteten, verkummerten oder psychisch gedemutigt und gequalt wurden. Es wurde oft daruber geschrieben, ob die Stimme der Kastraten, ob die gottliche Musik, die Vivaldi, Handel und andere fur sie geschrieben haben, das Leid rechtfertig. Und die moderne Antwort ist: Nein. Naturlich nicht.

Wie leben nicht mehr im Mittelalter, Herr Ratzinger, und das haben wir auch in den 50er Jahren nicht getan, als unter Ihrer Leitung hunderte von Kindern bei den Regensburger Domspatzen gequalt und sexuell gedemutigt wurden. Die Katholische Kirche hatte auch damals schon die Kreuzzuge, die Hexenverbrennungen und die Autodafes hinter sich. Ihr Bruder personlich war es, der sich zeitlebens fur die Vereinigung von Logos und Glaube, von Geschichtsschreibung und biblischer Geschichte eingesetzt hat. Als Papst forderte er: „Gewissen hei?t, ganz einfach gesagt, den Menschen, sich selbst und den anderen, als Schopfung annehmen und in ihm den Schopfer zu respektieren.“ – Darin, lieber Georg Ratzinger haben Sie damals versagt, und darin versagen sie auch in diesen Tagen, in denen Sie die eigene Blindheit und das eigene korperliche Gebrechen als Ausrede fur ihr Schweigen nutzen.

Beginnen Sie zu leiden

Wir haben Papst Johannes Paul II. als Menschen erlebt, der das Amt Gottes auch als Weg des eigenen Gebrechens begriffen hat, als Passion, dem das Papstsein zuweilen zur Qual wurde – und die eigene Qual fur seine Glaubigen zu einer Offenbarung. Lieber Georg Ratzinger, es ist die Zeit gekommen, dass auch sie sich auf Erden dieser Qual stellen mussen – und noch einmal ihre Augen und Ihren Mund offnen mussen.

Der Nachfolger Ihres Bruders, Papst Franziskus, versucht in einer enormen Kraftanstrengung einen Grundfehler des Vatikans und der Katholischen Kirche zu beheben: das inharente, menschenverachtende System des Wegschauens, der eigenen Bereicherung, der Morallosigkeit. Aber auch das Problem einer verdrangten Sexualitat. Egal, in welche Religion wir schauen: Uberall, wo das sexuelle Verhaltnis von Mann und Frau, von Mann zu Mann, von Frau zu Frau tabuisiert wird, wo dem Menschen auferlegt wird, seinen Trieb zu bekampfen, wo die Keule der Krankheit geschwungen wird, wenn es um Erotik und Lust geht, entstehen Defizite. Es ist wichtig, dass die Kirche gerade das thematisiert. Die aktuellen Nachrichten uber die Vergangenheit der Regensburger Domspatzen sind der beste Beweis dafur, wie wichtig es ist, diese Dinge offentlich zu machen, und dass Religionen, die den Trieb der Lust als Keim des Kranken verurteilen, selber so schnell krank werden.

Lieber Georg Ratzinger – fur vieles ist es zu spat. Gebrochene Seelen konnen nicht mehr geheilt werden, nicht auf Erden, nicht durch den Papst – und nicht durch Sie. Aber Sie konnten wenigstens uns die Augen offnen, jenen, die blind in der Geschichte Ihres Chores stochern, die nicht verstehen, wie es zu all dem kam. Lieber Georg Ratzinger, Sie sind mude, und sie wollen wahrscheinlich von all dem nichts mehr horen. Vielleicht haben Sie langst reinen Tisch gemacht, zwischen Ihrem Gott und ihrer Seele – aber das kann in diesem Moment nicht reichen. Ebensowenig wie die Reaktionen der Domspatzen, die auf ihrer Homepage zwar en Konzert fur die Opfer des Ersten Weltkrieges ankundigen, uber die Opfer in ihren eigenen Reihen aber schweigen. Der Chor, verehrter Georg Ratzinger, ist am Ende – er wird keine Zukunft haben, nicht so. Nicht, wenn sein einstiger Leiter sich nicht dazu durchringt, sich nicht allein vor seinen Herren zu stellen, es aber gleichzeitig meidet, den Schafchen Rede und Antwort zu stehen. Es wird schmerzen, Herr Ratzinger, es wird weh tun – aber diese Passion der Reue, den Pilgerweg an das Mikrofon der wahrhaftigen, offentlichen Beichte, das ist, was von Ihnen erwartet wird.

Erklaren sie es uns

Es kann nicht sein, dass im Namen einer Religion, im Namen der Musik, im Namen der Genialitat der Stimme das universelle Recht der Schopfung missbraucht wird, so wie Sie und Ihre Schule es getan haben. Es ist auch nicht die Entschuldigung an sich, auf welche die Opfer, ihre Angehorigen oder all jene Menschen warten, die den Domspatzen jahrzehntelang die Treue gehalten haben, die in Ihrer Musik glaubten, Gott nahe zu sein und doch nur den Teufel horten. Es ist vielmehr eine Erklarung, lieber Georg Ratzinger, auf die die Menschen warten. Eine Erklarung, die verhindern hilft, dass derartiges noch einmal passiert. Eine Erklarung, die uns wieder glauben lasst – an die Reinheit der Musik, die auf Kosten Ihrer Domspatzen verdreckt wurde.

Raffen Sie sich noch einmal auf, Georg Ratzinger, beginnen Sie die spate Passion – fur uns Menschen und vor Ihrem Gott.

 

 

 

 

 




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