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Die Katholische Kirche Und Missbrauch: Es Nicht Genau Wissen Wollen

By Christoph Fleischmann
The Heise
January 29, 2016

http://www.heise.de/tp/artikel/47/47249/1.html

Sechs Jahre nach der Aufdeckung massenhaften Missbrauchs in der Kirche zeigt das Beispiel Bistum Hildesheim, wie stark bestimmte Muster vorherrschen

Sechs Jahre nach der Aufdeckung massenhaften Missbrauchs durch Geistliche in der katholischen Kirche ist das Ausma? der Taten noch immer nicht absehbar - und der Umgang der Kirchenleitungen mit den Uberlebenden des Missbrauchs wirft weiter Fragen auf. Aktuell steht das Bistum Hildesheim im Fokus und der dort ab den achtziger Jahren arbeitende Priester Peter R., der erst als Jesuitenpater dort eingesetzt war und nach seiner Entlassung aus dem Jesuitenorden vom Bistum Hildesheim ubernommen wurde.

Dass Peter R. bzw. die Kirchenleitung, die fur ihn zustandig ist, noch Schlagzeilen produziert, ist erstaunlich: Denn bei Peter R. handelt es sich um einen der Haupttater des Canisius-Kollegs, er war also einer der Geistlichen, die von Beginn des Jahres 2010 an im Visier der Medien waren. (Kirche und sexueller Missbrauch)

Au?erdem haben die Jesuiten als erste Institution in der katholischen Kirche in Deutschland relativ umfassende Berichte zu den Ubergriffen ihrer Patres vorgelegt; man sollte also meinen, dass wenigstens hier einiges geklart ware.

"Kein Missbrauch!"

Aber in einer ARD-Dokumentation vom 30.November 2015 berichtete eine junge Frau, dass sie im Marz 2010 zusammen mit ihrer Religionslehrerin einen Ubergriff durch Peter R. beim Personalchef des Bistums Hildesheim gemeldet hat. Obwohl die Tat damals noch nicht verjahrt war, hat das Bistum erst Ende 2010 Peter R. bei der Staatsanwaltschaft angezeigt, nachdem die Gro?eltern der jungen Frau noch einmal beim Bistum vorgesprochen haben.

Die Erklarung des Personalchefs und damaligen Missbrauchsbeauftragten, Heinz-Gunter Bongartz: Was das Madchen im Marz beschrieben habe, sei kein sexueller Ubergriff gewesen und deswegen hatte er es nicht als Missbrauch einstufen konnen.

Und der Hildesheimer Bischof Norbert Trelle sprang Bongartz bei, indem er meinte, Wangenkusse zur Begru?ung seien doch unter Jugendlichen heute gang und gabe. Von Wangenkussen zur Begru?ung war freilich nicht die Rede.

Selbst in dem stark zusammenfassende Protokoll, das der Personalchef gegen die eigenen Richtlinien nicht von den beiden Anwesenden unterschreiben lie?, kann man lesen: Das damals 14-jahrige Madchen habe berichtet, dass es vor eineinhalb Jahren bei Peter R., einem Freund ihrer Gro?eltern, ubernachtet habe. Bei der Ubernachtung im selben Raum sei ihr R. nahe gekommen und habe sie auf die Wange gekusst. Au?erdem habe R. immer wieder Situationen herbeigefuhrt, in denen er mit ihr allein gewesen und aufdringlich geworden sei. Und er habe ihr wiederholt gro?e Geschenke gemacht (Spiegelreflexkamera).

Bongartz, der inzwischen Weihbischof in Hildesheim ist, musste sich belehren lassen, dass selbst die beschriebenen Handlungen schon Formen sexualisierter Gewalt seien. Ursula Enders, Leiterin von Zartbitter Koln, einer Kontaktstelle gegen sexuellen Missbrauch an Kindern, erklarte:

Das Protokoll enthalt ganz klar klassische Hinweise auf Taterstrategien. Jeder Tater steigert seine Handlungen und bereitet massivere vor.

Dem Hildesheimer Bistum wirft sie Versagen vor:

Ein Bistum, dass so eindeutige Hinweise nicht wahrnimmt und bagatellisiert, vertuscht die Gewalt, die ein Priester gegenuber einem Madchen verubt hat.

Fehlte dem Missbrauchsbeauftragten nur die Kompetenz zu erkennen, wo Missbrauch beginnt? Wohl kaum: Peter R. war ja fur Bongartz kein Unbekannter, au?erdem ist das Protokoll mit "Ablage: Missbrauch 2010" uberschrieben. Wenn man sich anschaut, wie in Hildesheim mit Missbrauchsvorwurfen umgegangen wurde, dann erkennt man: Die Verteidigung, von Missbrauch sei keine Rede gewesen, ist ein wiederkehrendes Muster.

Ein Muster, das nicht zuletzt deswegen problematisch ist, weil es diejenigen, die Missbrauch anzeigen, verantwortlich macht fur das Nicht-Handeln der Institution: Hattet Ihr deutlicher gesagt, was Sache ist, dann hatten wir ja gehandelt. Statt eigenes Versagen zuzugeben, werden die Opfer des Missbrauchs erneut gedemutigt.

Peter R. und das Bistum Hildesheim

Die Zeit von Peter R. als Jesuitenpater ist in dem Bericht der ehemaligen Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer uber Missbrauch durch Jesuiten aufbereitet: Danach arbeitete der Jesuitenpater Peter R. seit 1982 als Dekanatsjugendseelsorger in Gottingen, also im Bereich des Bistums Hildesheim. Vom Berliner Canisius-Kolleg war er zuvor versetzt worden, weil es dort Vorwurfe wegen sexueller Ubergriffe gab.

Seminarkirche Hildesheim. Bild: Toksave/CC BY-SA 3.0

Damals dachte noch niemand der Ordensverantwortlichen daran, dass man Peter R. besser nicht mit Jugendlichen arbeiten lasst. Als der damalige Jesuitenprovinzial Alfons Hofer im Jahr 1989 auch aus Gottingen Vorwurfe uber "unangemessene Annaherungen" erhielt - so die Formulierung im Fischer-Bericht - bestand er auf einer Versetzung von Peter R.. Zudem erkundigte sich Hofer in Berlin, was dort gegen R. vorlag und horte von "massiven homosexuellen Kontakte mit ihm anbefohlenen minderjahrigen Jungen".

Peter R., der alle Vorwurfe bestritt und von seinem Vorgesetzten enttauscht war, wunschte eine Auszeit vom Orden, die ihm gewahrt wurde. Parallel hat das Bistum Hildesheim sich bereit erklart, R. in seinen Dienst zu nehmen. Nun schreibt Andrea Fischer:

Bischof Homeyer war uber die Vorwurfe gegen Pater Anton informiert und untersagte ihm ausdrucklich die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, er wurde als Pfarrer in einer Gemeinde in Hildesheim eingesetzt.

Interessant ist, dass Alfons Hofer in einer Erklarung aus dem Jahr 2010 schreibt:

Die Diozese Hildesheim wurde von mir darauf hingewiesen, dass ich einen Einsatz von Peter R. in der Jugendarbeit fur unverantwortbar hielt.

Diese Formulierung besagt nicht, dass er den damaligen Hildesheimer Bischof Josef Homeyer uber die Vorwurfe gegen R. informierte. Die Formulierung deckt sich aber mit einem Schreiben, das Hofer im Juli 1989 an Bischof Homeyer geschickt hat:

Herrn Pralat Holst habe ich die Grunde fur die Ablosung von P. R. angedeutet. Die Fakten, die zu dieser Entscheidung fuhrten, haben weder P. R. noch die betroffenen Jugendlichen geleugnet. Gleich welche Interpretation man diesen Fakten unterlegt, halte ich es fur nicht verantwortlich, P. R. weiter in der Jugendarbeit einzusetzen. Es ist moglich, dass P. R. aufgrund meiner Entscheidung um Exklaustration aus dem Orden und zeitweilige Aufnahme in Ihr Bistum bitten wird. Einer pastoralen Tatigkeit in einer Pfarrei oder in anderen Bereichen - ausgenommen Jugendarbeit - wurde ich durchaus befurworten.

Man kann nicht behaupten, dass der Jesuit hier klar gesagt hatte, dass es Vorwurfe wegen sexuellen Missbrauchs gegenuber Peter R. gab. Wenn man bei dem nachfragt, demgegenuber "Andeutungen" gemacht wurden, namlich dem damaligen Personalchef und Missbrauchsbeauftragten Werner Holst, dann sagt der, er und der inzwischen verstorbene Bischof Homeyer hatten von den Jesuiten nichts von den gegen Peter R. vorliegenden Vorwurfen erfahren:

"Hatten wir das gewusst, hatten wir ihn nicht ubernommen", ist sich Holst heute sicher. Man kann fragen, ob Hofer, der eine pastorale Arbeit von Peter R. "durchaus befurwortet", auch deswegen nicht deutlicher wurde, weil er den Problem-Bruder gerne loswerden wollte. Freilich kann man sich auch wundern, warum nach dem oben zitierten Brief keiner der Hildesheimer Verantwortlichen auf die Idee gekommen ist, bei Hofer Genaueres zu erfragen.

Keine Arbeit mit Kindern und Jugendlichen?

Ob Peter R. fur seine Arbeit in der Hildesheimer Gemeinde wirklich die Auflage erhalten hat, nicht mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten, wie im Fischer-Bericht gesagt, kann nicht mehr uberpruft werden. Holst erinnert sich, dass so eine Anweisung nichts mit Padophilie zu tun gehabt hatte, Peter R. hatte besser mit Obdachlosen arbeiten konnen. Dies war ein Teil seiner Arbeit in der Hildesheimer Gemeinde.

Die Pressestelle des Bistums gibt die Auskunft, dass Peter R. vermutlich die Auflage gemacht wurde, nicht mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten. Aber: "Unterlagen daruber liegen in der Personalakte von Peter R. nicht vor." Eine befremdliche Lucke. Oder ist ihm die Auflage, nicht mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten, eben doch nicht gemacht worden?

Kontinuierliches Wegschauen

Selbst wenn die Hildesheimer Verantwortlichen nichts von den Vorwurfen gegen Peter R. aus Berlin und Gottingen erfahren haben sollten: Ende 1993 beschwerte sich eine Mutter bei Bischof Homeyer, dass Peter R. sich ihrer Tochter und zwei weiteren Madchen auf einer Freizeit unangemessen genahert habe.

Wenn es eine Auflage gab, nicht mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten, wurde die offensichtlich nicht streng uberwacht: Wie auch, wenn der Priester in einer normalen Pfarrei arbeitet, wo der Kontakt mit Kindern und Jugendlichen zum normalen Betrieb eines Pfarrers gehort?

Der ehemalige Personalchef und Missbrauchsbeauftragte Holst berichtet nun, dieser Fall sei an den Jesuitenprovinzial weitergeleitet worden, er habe in der Sache nicht weiter recherchieren konnen. Peter R.'s Auszeit beim Orden war aufgehoben worden und er war zu dem Zeitpunkt wieder volles Ordensmitglied. Die Pressestelle erganzt:

Aus den Akten der Personalabteilung geht nicht hervor, wie das Bistum in dieser Sache vorgegangen ist.

Hat man sich dafur gar nicht interessiert? Oder eine Lucke in der Akte? Ein Gesprach mit der briefschreibenden Mutter und ihrer Tochter, so die Pressestelle weiter, sei nicht moglich gewesen, weil die sich Ende 1993 in ihrem Heimatland Mexiko aufgehalten habe.

Die Jesuitenoberen nahmen diesen neuerlichen Vorfall zum Anlass, Peter R. das Verlassen des Ordens nahezulegen; so kam es auch. Das Bistum Hildesheim hat daraufhin R. endgultig als eigenen Priester ubernommen. Die Entlassung aus dem Orden, habe er nicht in Zusammenhang mit Missbrauchsvorwurfen gesehen, sagt Werner Holst heute. Von Missbrauch war - schon damals - nicht die Rede. Offensichtlich hat man sich fur die, die diesbezuglich Vorwurfe erhoben, auch nicht sonderlich interessiert.

 

 

 

 

 




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