BishopAccountability.org
 
 

Sexueller Missbrauch : Die Kinder Schutzen - Und Die Potenziellen Tater

By Jana Hauschild
Spiegel
February 5, 2016

http://www.spiegel.de/gesundheit/psychologie/sexueller-missbrauch-wo-praevention-ansetzen-kann-a-1061921.html

Missbrauchtes Kind (Archivbild aus Haiti): Jeden Tag 40 Opfer in Deutschland

Pro Tag werden etwa 40 Kinder in Deutschland Opfer von sexuellem Missbrauch - so die Polizeiliche Kriminalstatistik. Doch das sind bei Weitem nicht alle Ubergriffe.

Psychologen und Mediziner aus Regensburg, Bonn, Hamburg, Ulm und Dresden haben deshalb nachgeforscht. Sie haben untersucht, was unterhalb des Polizei-Radars geschieht. Die Ergebnisse sind bemerkenswert.

Das Mikado-Projekt offenbart in drei gro?angelegten, anonymen Befragungen eine genauere Schatzung zum tatsachlichen Ausma? der Vergehen. Und es liefert Ansatzpunkte, wie sich sexueller Missbrauch verhindern lasst - auf Seiten der Opfer und der Tater.

Wer sind die Opfer?

Eine der Mikado-Befragungen von rund 8000 jungen Erwachsenen zwischen 18 und 30 Jahren ergab: Knapp jeder Zwolfte wurde als Kind sexuell missbraucht. Dazu zahlen sowohl Delikte, bei denen die Kinder beruhrt wurden als auch exhibitionistische Akte. Im Durchschnitt waren die Madchen bei dem ersten Vorfall 10,5 Jahre alt, die Jungen nur 7,9 Jahre. Der Mikado-Erhebung zufolge werden vor allem Kinder aus Familien mit vielen Problemen Opfer sowie jene aus Gro?stadten.

Wer sind die Tater?

Mikado zeigt: Den "typischen Kindesmissbraucher" gibt es nicht. Ein Drittel der Tater stammt aus der eigenen Familie. Einige waren als Kinder selbst Opfer von Ubergriffen, andere nicht. Die Mehrheit verhalt sich auch in anderen Lebensbereichen entgegen sozialer Normen. Nicht wenige haben generell ein besonders gro?es Verlangen nach Sex und Beziehungen fallen ihnen schwer.

Eine Tatergruppe wird oft ubersehen: Frauen. Die Halfte aller Manner und zehn Prozent der Frauen, die als Kinder sexuell missbraucht wurden, berichten von einer Taterin. In bis zu sieben von 100 Fallen war die biologische Mutter ubergriffig - deutlich ofter als Stiefvater (vier Prozent) und nicht viel seltener als der biologische Vater (bis zu neun Prozent).

Was die Studie auch offenbart: Padophilie ist nicht gleichzusetzen mit einer Taterschaft. In einer Befragung mit knapp 8700 Mannern ab 18 Jahren schatzte mehr als jeder Funfte Kinder als sexuell attraktiv ein. Immerhin 4,4 Prozent hatten schon einmal sexuelle Fantasien mit Kindern unter zwolf Jahren. Nur ein Prozent aller Befragten erfullte die Kriterien fur die Diagnose Padophilie; weniger als die Halfte dieser Manner wurde zum Tater. Hingegen offenbarten jene, die Kinder nicht bevorzugten und keine Padophilie-Diagnose erfullten, deutlich haufiger sexuelle Ubergriffe gegenuber Kindern.

"Die Mikado-Studie zeigt deutlich, dass allein das sexuelle Interesse an Kindern nicht automatisch zum sexuellen Kindesmissbrauch fuhrt, sondern es vielen Betroffenen gelingt, ihr Verhalten zu kontrollieren", betont auch Jens Wagner. Er ist Sprecher des Praventionsnetzwerkes "Kein Tater werden", das am Universitatsklinikum Charite in Berlin initiiert wurde, um Menschen mit Padophilie vor dem Ausleben ihrer Neigung zu bewahren.

Wie konnen Kinder besser geschutzt werden?

"Die wirksamste Pravention von sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ist es, diese in vielerlei Hinsicht aufzuklaren, vor allem jene, die besonders gefahrdet sind", sagt die Psychologin und Projektleiterin Janina Neutze von der Universitat Regensburg. "Kinder uber Sexualitat und ihren Korper zu informieren und dabei aufzuzeigen, wann Grenzen uberschritten werden, sollte schon zu Beginn der Grundschule stattfinden." Sind Kinder noch nicht aufgeklart, konnten sie oft nicht einschatzen, was genau mit ihnen passiert, welche Handlungen nicht in Ordnung sind und es folglich auch nicht abwehren oder spater das Erlebte mitteilen

FAQ: Wenn Erwachsene Kinder attraktiv finden

Die wichtigsten Erkenntnisse zur Padophilie

Teil der Aufklarung sollten auch Online-Chatforen sein. In der Mikado-Befragung mit mehr als 2200 Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren berichteten sechs Prozent der Madchen und zwei Prozent der Jungen im vergangenen Jahr eine unangenehme Erfahrung im Internet gemacht zu haben. Sie wurden etwa gedrangt Nacktbilder von sich zu senden, vor der Web-Kamera sexuelle Handlungen durchzufuhren, uber Sex zu sprechen oder sie erhielten pornografische Fotos beziehungsweise eindeutige Aufnahmen vom Chatpartner. Jeder vierte Jugendliche traf die Online-Bekanntschaft personlich, in jedem zehnten Fall mit sexuellem Kontakt. Zwei Prozent der befragten Jugendlichen empfanden das Treffen als belastend.

Dies zu wissen und die Strategien der Tater zu kennen, kann die jungen Menschen schutzen. "Viele Tater versuchen emotionale Intimitat zu erzeugen, indem sie den Kindern und Jugendlichen gezielt das Gefuhl geben, etwas Besonderes zu sein. Dadurch verliebten sich diese schnell in den Kontakt, speziell jene, die sonst keine Vertrauensperson in ihrem Umfeld haben", sagt Studienautorin Neutze. Typische Methoden sind der Befragung zufolge au?erdem, die Minderjahrigen zu uberreden, niemandem von dem Chat zu berichten oder ihnen Geschenke zu machen.

Wie lassen sich potenzielle Tater von der Tat abhalten?

So wie mogliche Opfer vor einem Ubergriff geschutzt werden sollen, mussen auch potenzielle Tater davon abgehalten werden, tatsachlich eine Straftat zu begehen.

Problematisch ist dabei, dass viele Padophile und Kinderschander gleichsetzen. Das konne die befurchteten Ubergriffe sogar begunstigen, sagen Projektleiterin Neutze ebenso wie Wagner aus Berlin. Fast die Halfte der Allgemeinbevolkerung befurwortet laut Mikado eine vorsorgliche Inhaftierung von Mannern, die sexuell an Kindern interessiert sind, mehr als ein Viertel wunschten selbst jenen, die Kindern nichts taten, den Tod.

Die Folge: "Wenn jemand von seinem Umfeld aufgrund seiner sexuellen Interessen abgelehnt wird, nicht daruber offen sprechen kann, kapselt er sich ab", erklart Wagner. Welche Auswirkungen das haben kann, verdeutlicht er am Beispiel von Rauchern, die von den Zigaretten loskommen wollen: Wer es allein probiert, sich dem inneren Drang zu widersetzen, werde eher scheitern. Wer sein Umfeld informiere, erhohe die soziale Kontrolle, werde von diesem Unterstutzung erhalten, um am Ball zu bleiben und nicht wieder anzufangen.

"Viele Betroffene denken sich: Wenn die Gesellschaft mich sowieso fur den letzten Dreck halt, wobei soll mir dann eine Therapie helfen? Sie zweifeln daran, selbst etwas zum Positiven verandern zu konnen", sagt Wagner. Viele fluchteten sich in Alkohol oder Drogen, was wiederum ihre Kontrollfahigkeit mindere, wodurch die Gefahr fur das Ausleben sexueller Fantasien erhoht werde.

Er und auch die Studienautoren des Mikado-Projekts fordern, Minderheiten wie Padophile nicht fur ihre sexuelle Neigung zu verurteilen, die sie sich nicht ausgesucht hatten. Zugleich seien mehr therapeutische Angebote fur sie notig. Derzeit gibt es nur in elf deutschen Stadten je eine spezialisierte Anlaufstelle fur diese Menschen. "Die Padophilie lasst sich nicht wegtherapieren oder ausloschen, aber sie kann wirksam behandelt werden", sagt Jens Wagner von der Charite.

Niemand sei verantwortlich fur seine sexuelle Neigung, aber jeder fur seine sexuellen Handlungen.

Wo Betroffene Hilfe finden

Opfer von sexuellem Missbrauch finden Unterstutzung sowie eine Ubersicht uber Beratungsstellen in der eigenen Region unter www.hilfeportal-missbrauch.de.

Menschen mit sexuellem Interesse an Kindern konnen sich an www.kein-taeter-werden.de wenden.

 

 

 

 

 




.

 
 

Any original material on these pages is copyright © BishopAccountability.org 2004. Reproduce freely with attribution.