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Gewalt Und Missbrauch: Wer Opfer Ist, Bestimmen Immer Noch Wir!

Regensburg Digital
February 5, 2016

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Die Vertuscher und Verschleierer Clemens Neck (li.) und Michael Fuchs (re.) halt Bischof Voderholzer weiter im Amt. Fotos: Archiv/ Aigner/ Staudinger

Trotz „Chefaufklarer“ Ulrich Weber und trotz Kuratorium zur Aufarbeitung von Gewalt und Missbrauch bei den Domspatzen: Dem bischoflichen Ordinariat geht es anscheinend weniger um die Betroffenen. Es agiert wie von Anfang an, weiter taktisch. Es geht um die Rettung der in ihrer Existenz bedrohten Domspatzen. Betroffene aus anderen Einrichtungen sind Opfer zweiter Klasse.

Sechs Jahre sind bald vergangen, seit der ehemalige Domschuler Manfred van Hove in einer Talkshow als erster offentlich systematischen sexuellen Missbrauch bei den „Domspatzen“ beklagte. Sechs Jahre, in denen das Bistum Regensburg versuchte, Missbrauch und Gewalt in seinen Einrichtungen zu verschleiern, kleinzureden und die Betroffenen durch unwurdige Behandlung, Ignoranz und Diffamierung zum Schweigen zu bringen. Selbst vor Klagedrohungen schreckte man nicht zuruck.

Die Arbeit des Rechtsanwalts Ulrich Weber scheint nun eine Wende gebracht zu haben. Zahlreiche Betroffene meldeten sich bei ihm. Offen wird nun von einem „System der Angst“ gesprochen. Und die erste Sitzung des Kuratoriums, in dem Betroffene und Vertreter des Bistums nun gemeinsam aufarbeiten sollen, lief nach Verlautbarungen verschiedener Seiten einvernehmlich und in konstruktiver Atmosphare. Ein Fortschritt – gewiss. Doch bei naherer Betrachtung bleibt das Vorgehen des Bistums weniger von dem Willen zu echter Aufarbeitung gepragt, sondern davon, die in ihrer Existenz bedrohten Domspatzen zu retten. Fur Betroffene aus anderen Einrichtungen gibt es weder einen unabhangigen Rechtsanwalt, noch Aufklarung, noch die behauptete Empathie.

2010: „Kein System, nur Einzelfalle“

Kurz nach seinem Auftritt in der Talkshow, im Marz 2010, untermauerte van Hove in der Mittelbayerischen Zeitung, dass sich der geistliche Prafekt der Domprabende Friedrich Zeitler zweimal die Woche an ihm vergangen habe. Zeitler habe einen „regelrechten Harem“ gehalten.

Das bischofliche Ordinariat musste reagieren. Uber Pressesprecher Clemens Neck lie? man verlauten, es gebe keine Hinweise auf systematische Verbrechen. Man suche jedoch das Gesprach mit den Opfern dieser jahrzehntelang zuruck liegenden Falle. Man wolle „erlittenes Leid aufarbeiten.“

In drei aufeinanderfolgenden Pressekonferenzen des Jahres 2010 wurde anschlie?end konstant die Mar von „Altfallen“ gepflegt, die Domspatzenvorschule in Etterzhausen/ Pielenhofen als eine Einrichtung dargestellt, die von den Domspatzen unabhangig sei und schlie?lich die Bezeichnung „Domspatzen“ vollstandig aus dem Sprachgebrauch getilgt. In dem Statement des Missbrauchsbeauftragten Dr. Martin Linder vom 10. November 2014 ist von Domspatzen uberhaupt nicht mehr die Rede. Mit Blick auf seine verstorbene Vorgangerin Birgit Bohm erklarte Linder unter anderem:

„Nur wenige Tage vor ihrem Tod begleitete sie noch ein Gesprach zwischen Bischof Dr. Rudolf Voderholzer und einigen Mannern und Frauen, die als Kinder in kirchlichen Einrichtungen missbraucht wurden.“

Doch welche Einrichtungen waren das? Was ist mit diesen Betroffenen? Warum wird fur sie kein unabhangiger Rechtsanwalt eingesetzt, um die Vorwurfe ruckhaltlos aufzuklaren?

Hoffnung, dass die Opfer verstummen, verzweifeln oder versterben

Oberster Vertuscher: Gerhard Ludwig Muller mit Domprobst Wilhelm Gegenfurtner. Foto: Archiv

Kurz zusammengefasst: Bei allem Fortschritt, ist der Anspruch, „erlittenes Leid aufzuarbeiten“ grandios gescheitert. Nicht zuletzt der nach Rom beforderte Bischof Gerhard Ludwig Muller, der angesichts der Missbrauchsvorwurfe von Pressekampagne und Nazihetze faselte, tragt dafur die Verantwortung. Man wei? in Regensburg bis heute noch nicht, was man alles aufarbeiten musste, da weder die Zahl der Tater, noch die der Betroffenen „aufgeklart“ und die Namen der schweigenden Dulder benannt sind.

Gerade der diozesane Pressesprecher Neck scheint entgegen seiner Lippenbekenntnise einer Aufklarung im Weg gestanden zu haben. Seine Strategie: die unbestreitbaren Wortmeldungen von Betroffenen als Altfalle einzelner kriegsgeschadigter Tater abtun und andere Betroffene als Lugner abstempeln. Dem Opfer eines sexuell ubergriffigen Priesters in Viechtach drohte Neck nach einem Buchbeitrag gar offentlich mit einer Unterlassungsklage.

Das Bischofliche Ordinariat und sein Pressesprecher setzten 2010 auf Zeit und hofften, dass, zugespitzt gesagt, in ein, zwei oder drei Jahren die Opfer verstummen, verzweifeln oder versterben wurden.

Im Herbst 2010 aber lie? das Ordinariat verlauten, dass man in Anlehnung an die Deutsche Bischofskonferenz das Leid von sexuell Missbrauchten mit maximal 5.000 Euro anerkennen wolle. Taktik, um die aktuelle Welle der offentlichen Emporung abzumildern. Und nicht alle der Wenigen, die es schafften ihre Geschichte bei diversen Instanzen der Diozese zu schildern, wurden von dieser tatsachlich auch als Missbrauchsopfer anerkannt. Erinnert sei nur an die unwurdigen Serienbriefe. Korperlich Misshandelte wies man damals ohnehin noch programmatisch kalt ab. Die Hohe der Zahlungen scheint zudem willkurlich und ist bis heute intransparent. Es wirkt, als wurden Betroffene gegeneinander ausgespielt.

Voderholzer: Zunachst Business as usual

So verging Jahr um Jahr, bis Gerhard Ludwig Muller sich mit ebendieser Vorgehensweise als Prafekt der Glaubenskongregation, also „Chefaufklarer“ fur sexuellen Missbrauch nach Rom empfohlen hatte.

Mullers Nachfolger, Rudolf Voderholzer, trat folglich und wahrlich ein schweres Erbe an. Und er unternahm nach seiner Inthronisation vom Januar 2013 zunachst nichts anderes als sein Vorganger und belie? das hierfur erprobte Personal mit Generalvikar Fuchs, den Vorstandsvorsitzenden der Domspatzen-Stiftung Wilhelm Gegenfurtner, Pressesprecher Clemens Neck und die Missbrauchsbeauftrage Birgit Bohm im Amt. Business as usual.

In daraufhin folgenden Zwischenberichten des Bistums, die Pressesprecher und Generalvikar mit gewohnlicher Betroffenheitsgeste verlasen, wurde zunehmend eher verschleiert als aufgeklart. Und – im Gegensatz zum allerersten Bericht 2010 – vor allem der Begriff „Domspatzen“ eliminiert oder zumindest vermieden.

„Institutionellen Narzissmus“

Betroffene vertrauen ihm kaum: der neue Missbrauchsbeauftragte Dr. Martin Linder. Foto: pm

Der Domchor als goldenes Kalb einer mannerzentrierten Liturgie und die Institution „Domspatzen“, also Grundschule und Gymnasium mit Internaten, sollten, ja mussten in dieser Vorgehensweise wie eine sakrosankte Institution geschutzt und vom Dunstkreis des Missbrauchs und der Misshandlung ferngehalten werden. Auch mit unredlichen Mitteln. „Institutionellen Narzissmus“ nennt dies der Jesuit Klaus Mertes, der aus seinen Erfahrungen beim Canisius-Colleg wei? wovon er spricht und deshalb vom Regensburger Ordinariat nicht konsultiert wird. Die Sorge um die Institution „Domspatzen“ geht schlie?lich uber die Empathie fur Gewalt-Betroffene.

Auch nach dem Tod, der wenigstens zu Beginn ihrer Zeit im Sinne der Betroffenen und aufklarend agierenden Missbrauchsbeauftragten Birgit Bohm im Mai 2013, anderte sich nichts. Ihr Nachfolger, der im November 2013 berufene ehemalige Leiter der Klinik fur Kinder- und Jugendpsychiatrie am Bezirksklinikum Regensburg Martin Linder, fugte sich ein in das etablierte System des Aussitzens.

Dafur wurde er von Generalvikar Fuchs ausgesucht. Linder ist Mitglied des Verwaltungsrats der Katholischen Jugendfursorge der Diozese (KJF). Er brachte nicht den Mut auf, sich im Zweifel fur die Schilderung von Gewaltbetroffenen stark zu machen und nicht der Darstellung der Beschuldigten und Tater zu folgen. Von daher verwundert es nicht, dass sich kaum Gewalt-Opfer an ihn wandten. Martin Linder blieb ein Kirchenmann und unglaubwurdig, wie aus dem Kreis von Betroffenen zu vernehmen ist. In seinem ersten und einzigen Bericht gab er sich als Sprachrohr seines Brotchen-Gebers Generalvikar Fuchs her und vermied – wie erwahnt – das Wort „Domspatzen“ aufs Peinlichste, fast wie der vielzitierte Teufel das Weihwasser.

Die aufgezwungene Wende

Katholikentag 2014: Missbrauchte Domspatzen demonstrieren fur Gerechtigkeit und Aufklarung. Foto: SWR/ Mona Botros

Die Wende kaum von au?en. Sie wurde dem bischoflichen Ordinariat durch die offentliche Emporung aufgezwungen. Emporung daruber, dass ihm offenbar etwas fehlt: handlungsleitende Empathie fur Betroffene, Einfuhlen in und Anerkennen des Leids von Misshandelten und Missbrauchten.

Die Rede ist von der SWR-Dokumentation „Sunden an den Sangerknaben“ von Mona Botros, die es Anfang Januar 2015 einerseits schaffte, das Leid und die Folgen von vielformiger Gewalt in den Einrichtungen der Domspatzen am Beispiel der Protagonisten Georg Auer, Udo Kaiser und Alexander Probst eindringlich darzustellen. Anderseits fuhrte Botros gekonnt die formalisierte Kalte vor, die Unfahigkeit, ein institutionelles Versagen einzugestehen und Konsequenzen daraus zu ziehen – am Beispiel des sogenannten Missbrauchsbeauftragen, des Bistumssprechers und des John-Wayne-Verschnitts Geedo Paprotta.

Ein SMV-Brief als Tiefpunkt der Debatte

Der offentliche Druck nach der Ausstrahlung der „Sunden an den Sangerknaben“ war so weitreichend, dass man das muhsam aufgebaute Konstrukt von langst vergangenen Alt- und Einzelfallen nicht mehr aufrecht erhalten konnte. Es kollabierte Schlag auf Schlag. Als erstes gewahrte die Diozese dem Fall Georg Auer, den man zunachst ohne nahere Prufung mit einem ablehnenden Serienbrief abgefertigt hatte, eine Neubewertung. Im nachsten Zug bedachte man auch die scheinbar blo? korperlich Misshandelten mit 2.500 Euro als Anerkennung fur das erfahrene Leid. Als taktischer Befreiungsschlag gedacht, loste dies eine erste Welle von weiteren Meldungen aus.

Filmemacherin Mona Botros (hier mit Kameramann Andreas Kerle) hat die Einladung de Domspatzen-SMV angenommen. Die SMV antwortete nicht mehr. Foto: SWR/ Mona Botros

Offenbar ohne die Aussagen und die Tragweite der Doku verstanden zu haben, meldeten sich erboste SMV-Domspatzenfunktionare zu Wort und beschuldigten die Filmemacherin Botros, ein Zerrbild von den heutigen Einrichtungen der Domspatzen zu zeichnen. Die PR-wirksam hinausposaunte Einladung an Botros, sie moge die wahren Verhaltnisse in Regensburg personlich in Augenschein nehmen, lies man trotz erwiderten Interesse versanden. Die Einladung war vergiftet. Der damit verbundene Versuch, den Film und seine Macherin zu diffamieren, scheiterte. Ein Tiefpunkt in der Debatte, mitten aus dem Zentrum einer sich als gesellschaftliche Elite begreifenden Einrichtung. Offen bleibt die Frage, ob dieser Brief aus eigenem Antrieb oder auf Weisung verfasst wurde.

Die Verschleierer blieben im Amt

Erst als der Schaden und ebenso der Druck auf den jetzigen Schulern gro?er als je zuvor und die Aussicht auf Befriedung gleich Null war, ergriff der jetzige Bischof Rudolf Voderholzer seinerseits die Flucht nach vorne. Voderholzer entschuldigte sich in einer Ansprache zu seinem zweiten Weihejubilaum vom Januar 2015 fur etwas, das er nicht getan hatte und nicht fur das, was er tat: namlich einer Aufklarung im Wege gestanden und die prominenten Vertuscher und Verschleierer im Amt gelassen zu haben: Generalvikar Fuchs und Pressesprecher Neck.

Neu, jedoch immer noch verkurzt, war damals, dass ein Bischof von einem Terrorsystem in Etterzhausen und Pielenhofen und zwei Tatern sprach und seinen eigenen Schmerz an den Vorgangen betonte. Verkurzt blieb er deshalb, weil Vorderholzer nicht von sexuellen und gewaltformigen Ubergriffen in den Einrichtungen in Regensburg zu sprechen wagte, die sogar bis in dieses Jahrtausend ragen. Damals war unklar, ob Vorderholzer nicht von den Regensburger Vorfallen wusste, oder ob er es sich nicht traute, das Fass „Ubergriffe in Regensburg“ anzusprechen. Indes: Ein Ausweg aus der Misere oder gar eine 2010 angeblich beabsichtigte „Aufarbeitung“ war mit seiner Ansprache keinesfalls erreicht.

Befreiung muss von au?en kommen

Da die internen Versuche und Strategien des bischoflichen Ordinariats zur Befriedung des Themas Misshandlung und Missbrauch der vorangegangen funf Jahre desastros endeten, musste die Befreiung von au?en kommen. Mit Unterstutzung des ortlichen Funktionars des Wei?en Rings prasentierte man im April 2015 mit Ulrich Weber einen „Opferanwalt“.

Ihm wolle man alle Unterlagen und notwendige Unterstutzung zur Verfugung stellen und sichere ihm freies Arbeiten zu – erklarte Generalvikar Fuchs. In einem allein von Weber verfassten Abschlussbericht solle die bisherige Praxis bis heute bewertet und alle Ubergriffe in allen Einrichtungen der „Domspatzen“ seit 1945 dokumentiert werden.

Rechtsanwalt Weber muss Nicht-Domspatzen abwimmeln

TRANSPARENT, OFFEN, UNABHANGIG, so wirbt Weber um Vertrauen. Viele Betroffene nahmen dies zum Anlass, sich erstmals zu melden und hauptsachlich dadurch entstand ein deutlicheres Bild als durch alle bislang bekannten Akten und taktisch motivierten Verlautbarungen zusammen.

Dass Voderholzer aber all jene, die nicht in den Einrichtungen der „Domspatzen“ Opfer von korperverletztenden Misshandlungen und sexuellem Missbrauch wurden, sondern in anderen kirchlichen Stellen seines Bistums, von diesem Auftrag an Weber ausnahm, bleibt ein unverzeihlicher und kaum problematisierter Schachzug. Dieses Bruskieren und menschenverachtende Ignorieren der Nicht-Domspatzen-Opfer fuhrt dazu, dass Betroffene, die sich anlasslich der aufgebrochenen Verkrustungen endlich trauen, an eine externe Stelle zu wenden, von Rechtsanwalt Weber abgewimmelt und an die immer schon uberforderten und kaum vertrauenswurdigen Stellen des Bistum verwiesen werden mussen.

Willkurlich und befremdlich wirkt auch die Begrenzung von Webers Auftrag auf die Zeit nach 1945. Nicht zuletzt, weil im Ordinariat durch die Meldung von Betroffenen nach 2010 bekannt ist, dass auch vor 1945 sexuelle Ubergriffe und schwere Korperverletzungen bei den „Domspatzen“ an der Tagesordnung waren.

Einer der seriellen Massen-Missbrauchstater, der seit 1953 in Regensburg als erster Prafekt und Religionslehrer tatige Friedrich Zeitler, gestand in seinem Strafprozess von 1959, in dem er zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, sexuelle Ubergriffe ebenso fur das Ende der 1930er Jahre. Bereits 1939 wirkte der Theologiestudent Zeitler namlich als Aushilfe in der Domprabende in der Orleanstra?e 2a.

Wahre Dimension ist noch nicht absehbar

Ulrich Weber: „Ich habe keinen Grund, an den Schilderungen der Betroffenen zu zweifeln.“ Foto: Werner

Mit dem ersten Zwischenbericht von Rechtsanwalt Weber vom 8. Januar dieses Jahres kam eine ungeahnte Dynamik in die Angelegenheit. Weber geht davon aus, dass bis zu 700 Schuler korperverletzende und strafrechtlich relevante Gewalttatigkeiten erleiden mussten, die meisten unter dem Vorschuldirektor Johann Meier in Etterzhausen/ Pielenhofen. Geht es um sexuelle Gewalt, uberragen die Regensburger Vorfalle die in der Vorschule um mehr als das Vierfache. Laut Weber haben sich 50 von sexueller Gewalt Betroffene ehemalige Schuler bei ihm gemeldet und zehn der Regensburger Domspatzenkrafte beschuldigt.

Die meisten Ubergriffe haben demnach bis Ende der 1970er stattgefunden, einige allerdings auch in den 1990ern und in den Nullerjahren dieses Jahrtausends. Allein aus diesen Zahlen wird deutlich, dass es vor allem die mangelnde Glaubwurdigkeit und die Unprofessionalitat des Ordinariats waren, die einer Meldung von Betroffenen im Wege standen. Da die Berichte anhalten und laut Weber eine hohe Dunkelziffer anzunehmen ist, ist die wahre Dimension des ubergriffigen Systems immer noch nicht absehbar.

Wie schon vor einem Jahr benutzte Vorderholzer nun seine diesjahrige Ansprache zu seinem (drittem) Weihejubilaum, um sich vor kurzem bei Gewalt- und Missbrauchsopfern bei den „Domspatzen“ zu entschuldigen und seine Last aus dem von Gerhard Ludwig Muller ubernommenen Erbe herauszustellen. Absatzweise zitiert er wortgleich aus dem alten Manuskript des Vorjahres, um seinen Seelenschmerz zu betonen. Bei dieser Gelegenheit ging der Bischof wiederum nicht auf die 50 Missbrauchsopfer und zehn Tater der Regenburger Einrichtungen ein. Uber ein „doch zahlreicher“ und „schwerer“ kam Bischof Voderholzers Betroffenheit nicht hinaus.

Voderholzer braucht die Betroffenen

So als ob er alles von langer Hand geplant hatte, so als ob es ihm nicht durch den offentlichen Druck und die offentliche Emporung aufgezwungen worden ware, sprach der Bischof als nachsten Schritt von der „Konstituierung eines Kuratoriums“. Ganz bewusst seien „hier Vertreter der Betroffenen mit eingebunden, um mit ihnen das weitere Vorgehen auf breiter Basis zu diskutieren und mit ihnen weiter den Weg einer konsequenten Aufklarung gehen zu konnen.“ Man kann dies auch so lesen: Voderholzer braucht die Vertreter der Betroffenen. Er braucht so etwas wie die Zustimmung von Gewaltopfern und die Einigung von Ettal.

In seiner Ansprache wiederholte der Bischof auch seine augenfallige Geste der Gleichgultigkeit gegenuber allen Nicht-Domspatzen und sein unertragliches System von Opfern erster und zweiter Klasse. Oder anders gesagt: Nur fur einen verprugelten oder vergewaltigten „Domspatzen“ zeigt der Bischof eine Betroffenheitsgeste und lasst er womoglich eine Zahlung zur Anerkennung des Leids leisten.

Wer kein Domspatz ist, hat Pech

Fur geschundene Schuler eines bischoflichen Knabenseminars, fur eine missbrauchte Behinderte einer diozesanen Einrichtung oder fur misshandelte Schuler eines kirchlichen Kinderheims scheint er sich nicht zu interessierten. Hier wird kein Rechtsanwalt beauftragt, keine Ansprache gehalten. Das Vertuschen, Verschweigen und Versetzen in allein drei offentlich bekannten Fallen ubergriffiger Priester in den 2000er Jahren ist kein Anlass, dieses System genauer zu untersuchen.

Dieser doppelte Standard erscheint heuchlerisch und deutet darauf hin, dass es Voderholzer vor allem um den Schutz der Institution „Domspatzen“ geht. So gesehen ist es auch nicht verwunderlich, dass er seine Rede zum Weihetag nutzt, um bei eventuell besorgten und zogerlichen Eltern Werbung fur die Internate und Schulen der „Domspatzen“ zu betreiben. Diese stunden „heute fur eine Padagogik der Freiheit“ und waren vergleichbar mit andern Eliteschulen, etwa einem Schi-Gymnasium. So wirbt Voderholzer fur seine existentiell bedrohten Domschulen. Und suhlt sich weiter im institutionellen Narzissmus, der andere Betroffene ausblenden muss.

Anders ausgedruckt misst das Bistum Betroffene mit zweierlei Ma?. Zugespitzt formuliert lautet die Botschaft: Wer Opfer ist und wer nicht, bestimmen immer noch wir. Ebenso die Hohe der Zahlung fur das erlittene Leid. Der Umgang mit den Betroffenen bei den Domspatzen durch die offiziellen Stellen des Bistums in den letzten Jahren hat eindrucksvoll bewiesen, dass auch an anderen Stellen eine unabhangige Aufklarung durchgefuhrt werden muss.

 

 

 

 

 




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