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Brüdergemeinde Korntal will bis zu 5.000 Euro pro Heimkind zahlen

idea
February 05, 2016

http://www.idea.de/frei-kirchen/detail/bruedergemeinde-korntal-will-bis-zu-5000-euro-pro-heimkind-zahlen-93582.html

Der Vorsteher der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal, Klaus Andersen.

[The Evangelical United Brethren at Korntal wants to voluntarily pay up to 5,000 euros to former home children who have experienced sexual abuse between the 1950s and 90s in the facilities in Korntal and Wilhelmsdorf respectively.]

Korntal (idea) – Die Evangelische Brüdergemeinde Korntal will jeweils bis zu 5.000 Euro freiwillig an ehemalige Heimkinder zahlen, die sexuellen Missbrauch zwischen den 1950er und 90er Jahren in den Einrichtungen in Korntal und Wilhelmsdorf erlebt haben. Das gab der Vorsteher, Klaus Andersen (Korntal), am 5. Februar vor der Presse bekannt. Damit wolle die Gemeinde bei verjährten Fällen zeigen, dass sie das Leid der Betroffenen anerkenne. Die Höhe orientiere sich an vergleichbaren Zahlungen anderer Institutionen. Das genaue Antragsverfahren solle mit ehemaligen Heimkindern ausgehandelt werden. Die Korntaler Diakonie habe sich zu diesem Schritt entschlossen, da das die einzige Möglichkeit sei, den Opfern sexualisierter Gewalt in den Einrichtungen rasch finanzielle Hilfe zukommen zu lassen. „Wir wollen nicht länger warten. In dieser wichtigen Frage müssen wir nun einen neuen Impuls setzen und damit zeigen, dass wir unsere moralische Verantwortung für die Geschehnisse annehmen“, so Andersen. Mit dieser Entscheidung rücke man auch von der Haltung ab, nur Sachleistungen zu gewähren. In den vergangenen Monaten sei den Verantwortlichen klar geworden, dass nur direkte Bargeldleistungen ein „höheres Maß an Anerkennung des Leides“ darstelle. Nach Angaben der „Interessengemeinschaft Heimopfer“ waren insbesondere in den 60er und 70er Jahren rund 200 Jugendliche Opfer des Missbrauchs.

„Es gibt keine Blaupause für solch einen Prozess“

Der Vorsteher wies vor der Presse den Vorwurf zurück, dass die Aufarbeitung nur schleppend vorwärts gehe: „Es gibt für eine Aufarbeitung dieser Art keine Blaupause für Organisationen, denen solch schwere Vorwürfe gemacht werden.“ Alle Beteiligten hätten im ersten Jahr Zeit gebraucht, Vertrauen aufzubauen und um gemeinsame Entscheidungen zu ringen. Der Brüdergemeinde sei immer wichtig gewesen, dass Betroffene gehört und beteiligt werden: „Aufarbeitung kann nur im Dialog geschehen.“ Der Vorsteher räumte dabei ein, dass es nicht immer gelungen sei, das tiefe Leid der Betroffenen wahrzunehmen. Auch habe man lernen müssen „sprachfähig zu werden im Umgang mit diesem schwierigen Thema“. Hinzu komme, dass es unterschiedliche Sichtweisen der Opfer gebe. Leider seien die zwei Opfergruppen auf das Angebot der Brüdergemeinde, einen Mediator zu stellen, nicht eingegangen. Andersen machte aber klar, dass das „Selbstvertretungsprinzip uns heilig ist“. Deshalb lehnte er es vor der Presse ab, den Opfern konkrete Empfehlungen zu geben. Alle Akteure müssten aber dafür sorgen, dass eine Aufarbeitung möglich sei.

Meldestelle und wissenschaftliche Aufarbeitung in Landshut

Betroffene können sich an eine Meldestelle wenden, die bis Ende April an der Hochschule für angewandte Wissenschaft in Landshut eingerichtet werde. In „strukturierten Interviews“ würden ihre Erlebnisse wissenschaftlich erfasst. Ein interdisziplinärer Forschungsverbund, dem Sozialwissenschaftler und Juristen angehören, solle zudem die Heimgeschichte aufarbeiten. Die Leitung der Gruppe habe die Landshuter Erziehungswissenschaftlerin Prof. Mechthild Wolff. Der Forschungsverbund solle „das Ausmaß persönlichen und institutionellen Versagens beleuchten und fragen, wie es zu Fehlentscheidungen im System der Heimerziehung kommen konnte“. Außerdem würden die Missbrauchsfälle unabhängig von einer bereits eingetretenen strafrechtlichen Verjährung straf-, dienst- und jugendhilferechtliche bewertet. Einmalig sei, dass bei der Aufarbeitung auch die Mitarbeiter gehört würden: „Das gab es noch in keinem Aufarbeitungsprozess“, so Andersen.

Am Ende steht eine „ehrliche Entschuldigung“

Der Vorsteher stellte fünf Grundsatzpunkte der geplanten Aufarbeitung vor, die bis Ende 2017 abgeschlossen sein soll: Sie solle unabhängig geschehen: „Wir wollen, dass alles auf den Tisch kommt.“ An dem Prozess sollen sowohl die Opfer als auch die damaligen Mitarbeiter beteiligt werden. Die Brüdergemeinde wolle die damalige Zeit und die Arbeitsbedingungen verstehen lernen, um die Vorwürfe besser einordnen zu können. Außerdem solle neben freiwilligen Zahlungen zum Abschluss auch eine umfangreiche Dokumentation vorgelegt werden. Am Ende stehe eine umfassende, „ehrliche Entschuldigung“. Außerdem würden unter dem Motto „Niemals wieder“ Maßnahmen zur Vorbeugung weiterentwickelt und auf das Gesamtwerk ausgedehnt.

Missbrauch auch geistlich afarbeiten

Laut Andersen wird die Brüdergemeinde – sie ist eine selbstständige, mit der Evangelischen Landeskirche in Württemberg vertraglich verbundene Gemeinde – die sexuellen Missbräuche auch geistlich aufarbeiten. Das geschehe unter anderem durch Gottesdienste und Themenabende. Vielleicht gelinge es am Ende des Projekts „Geistliche Aufarbeitung“ sogar, ein gemeinsames Versöhnungszeichen zu setzen: „Das wünschen wir uns sehr.“




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