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Bistum unterscheidet bei Entschädigung der Opfer

By Tim Röhn
Welt
February 9, 2016

http://www.welt.de/politik/deutschland/article151913711/Bistum-unterscheidet-bei-Entschaedigung-der-Opfer.html

Ein Ende der Enthüllungen ist nicht in Sicht: die Regensburger Domspatzen

Rechtsanwalt Ulrich Weber untersucht den Skandal bei den Regensburg Domspatzen

[The Regensburg diocese has paid out secretly much more money to victims of abuse than was previously known.]

Es gibt bei dieser Sache so viele Emotionen – Angst, Scham, Wut und auch Rachegelüste. Darum ist es gut, dass nun ein Mann wie Ulrich Weber die Zügel in der Hand hält. Weber, groß, breit, Rechtsanwalt, ist ein nüchterner Typ, seine Mimik und Gestik sagen: Ist mir wurscht, was ihr von mir denkt. Der 45-Jährige sitzt am Esstisch seines Regensburger Einfamilienhauses und sagt über sich: "Ich verstehe mich als Aufklärer, der die Basis für Aufarbeitung schafft."

Deshalb beschäftigt er sich seit einem Dreivierteljahr mit fast nichts anderem mehr als dem Missbrauchsskandal bei den Regensburger Domspatzen, einem der berühmtesten und ältesten Kirchenchöre der Welt. 2010 hatte es erste Berichte über körperliche und sexuelle Gewalt bei den Domspatzen gegeben – ernsthaft untersucht werden die Vorfälle erst, seitdem Weber, der Mitarbeiter der Opferschutzorganisation Weißer Ring ist, zum unabhängigen Chefaufklärer ernannt wurde.

Das war im April 2015; damals wurde dieser Schritt noch belächelt. Die Leute hatten den Glauben daran verloren, dass noch jemand Licht ins Dunkel brächte. Genau das aber tut Weber. In seinem Zwischenbericht teilte er am 8. Januar dieses Jahres mit, "von 1953 bis 1992 seien mindestens 231 Kinder von Priestern und Lehrern des Bistums verprügelt oder sexuell missbraucht worden". Das Bistum hatte zuvor von 72 Opfern gesprochen und die Misshandlungen nur in der Domspatzen-Vorschule verortet. Weber hingegen berichtete auch von Übergriffen im Gymnasium, im Internat und im Chor. Der Jurist sagte, er schätze, dass die Dunkelziffer der Opfer noch deutlich höher liege.

Gibt es Missbrauchsopfer zweiter Klasse?

Damit sollte er recht behalten. In den vergangenen vier Wochen haben sich weitere 60 Personen gemeldet, die angeben, misshandelt worden zu sein. Diejenigen, deren Erzählungen glaubwürdig sind, werden mittlerweile vom Bistum für das erlittene Leid entschädigt. 2500 Euro erhält jedes Opfer körperlicher Gewalt. Die "Welt am Sonntag" erfuhr nun, dass das Bistum bis Anfang Februar bereits Entschädigungszahlungen in Höhe von knapp 400.000 Euro geleistet hat. Das Geld ging an mehr als 150 Opfer körperlicher Gewalt. Diese Zahlen sind neu; Rechtsanwalt Weber bestätigt sie.

Hinzu kommen nach Informationen der "Welt am Sonntag" Zahlungen für Personen, die sexuell missbraucht wurden. Bislang war unbekannt, dass das Bistum bei der Höhe der Entschädigung Unterschiede zwischen verprügelten und missbrauchten Opfern macht. Doch genau dies ist der Fall. Wie hoch die Beträge sind, wollten auf Anfrage weder Weber noch das Bistum verraten. Mit der Angelegenheit vertraute Personen hegen den Verdacht, dass die Summen geheim gehalten werden sollen, um keine Anreize zu schaffen, dass weitere Opfer sexuellen Missbrauch anzeigen.

Ein ehemaliger Domspatz, dessen Fall als schwerer sexueller Missbrauch eingestuft wurde, bestätigte, dass er "deutlich mehr als die 2500 Euro" vom Bistum erhalten habe. Die genaue Höhe wolle er aus Angst vor Anfeindungen nicht nennen. Offenbar gibt es einen Kreis von Missbrauchsopfern, die höhere Entschädigungen erhalten als andere: "Da hat es schon Anfeindungen untereinander gegeben. Einige Opfer fühlen sich nicht angemessen entschädigt, seitdem sie die Höhe der Zahlungen an andere erfahren haben."

Georg Ratzinger hat wohl von der Gewalt gewusst

Alexander Probst wurde selbst Opfer sexuellen Missbrauchs in Regensburg; er war einer der Ersten, die das öffentlich machten. Probst ist Mitglied eines neu gegründeten Kuratoriums aus Vertretern des Bistums und Opferbündnissen, das den Skandal aufarbeiten soll. Ein erstes Treffen des Gremiums in der vorigen Woche sei "in guter und konstruktiver Atmosphäre" verlaufen, sagt Probst. Nicht gesprochen wurde über die Entschädigungszahlungen. Das soll sich nun ändern. "Ich habe 2500 Euro erhalten, so wie die anderen Opfer auch", sagt Probst. Er kündigt an, das Thema im Kuratorium zur Sprache zu bringen: "Ich bin der Überzeugung, dass es angesichts der verschiedenen Arten von Misshandlung Abstufungen bei den Zahlungen geben muss."

Ein Ende der Enthüllungen ist nicht in Sicht. Fast täglich klingelt in Webers Büro das Telefon, oder jemand schreibt eine E-Mail. Die Erzählungen gleichen sich, sie handeln von Fausthieben, Stockschlägen und Händen, die in die Unterhose wanderten. Vor ein paar Tagen meldete sich ein älterer Herr, der seine Geschichte eigentlich mit ins Grab nehmen wollte. Er überlegte es sich anders, als er sah, dass Weber bislang vor nichts und niemandem haltmacht – auch nicht vor Georg Ratzinger, dem Bruder des emeritierten Papstes Benedikt XVI. Der 91-Jährige war 30 Jahre lang Leiter der Domspatzen. Weber sagte im Januar, Georg Ratzinger habe von der Gewalt gewusst. Diese Aussage hat hohe Wellen geschlagen.

Der ältere Herr, der sich jüngst meldete, will nun sein Schweigegelübde brechen. Aufklärer Weber wird ihn bald treffen, um auch diese Aussage zu dokumentieren. Bis zum Sommer will er noch Berichte von Opfern sammeln, dann geht es an die Analyse. Im Frühjahr 2017 soll der Abschlussbericht fertig sein, dann dürfte es wieder ungemütlich werden in Regensburg. Wer sich im Bistum umhört, der hört von "vielen noch nicht geplatzten Bomben".




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