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Die Aufklarer Und Die Verhinderer

Regensburg Digital
February 17, 2016

http://www.regensburg-digital.de/die-aufklaerer-und-die-verhinderer/16022016/

Um Gewalt und Missbrauch bei den Domspatzen angemessen aufzuarbeiten, wurde nun ein eigenes Gremium ins Leben gerufen. Vor wenigen Tagen trafen sich die sechs Vertreter zum ersten Mal. Derweil versuchen andere, Vorfalle zu verharmlosen und umzudrehen. Diese Leute haben nichts dazugelernt. Sie sind Verhinderer.

„Wer aufklaren will, muss einen Preis zahlen. Wer diesen Preis nicht zahlen will, behindert Aufklarung.“

Knapp neun Monate ist es her, seit Pater Klaus Mertes im Juni 2015 seine Erfahrungen als Leiter des Canisius-Kollegs einem Regensburger Publikum schilderte. 2010 hatten sich ehemalige Schuler gegenuber Mertes als Opfer korperlicher, psychischer und sexueller Gewalt geoutet. Er reagierte, schrieb einen Brief an etwa 600 ehemalige Schuler der Berliner Jesuiten-Schule und trat damit eine Welle des Aufdeckens von Missbrauchsfallen an schulischen Einrichtungen in ganz Deutschland los.

Wer aufklaren will, muss Nestbeschmutzer sein

Den meisten Bischofen gilt Mertes seitdem, als rotes Tuch, als Nestbeschmutzer, als einer, der das Ansehen des Canisius-Kollegs im Speziellen und der katholischen Kirche im Allgemeinen beschadigt habe. Doch Mertes lasst sich davon nicht beirren. Auch in Regensburg betonte er: Das Offentlichmachen von Missbrauchsfallen geht zwar unvermeidlich einher mit der Stigmatisierung oder dem Ansehensverlust einer Einrichtung, aber das ist eben genau der Preis, den man zu zahlen bereit sein muss, wenn man es mit der Aufklarung tatsachlich ernst und ehrlich meint.

Seitdem hat sich in Regensburg – wo eine solche Aufklarung im Juni 2015 noch nicht moglich erschien – einiges getan. Rechtsanwalt Ulrich Weber, der damals gerade frisch als unabhangiger Aufklarer eingesetzt worden war, hat einen bemerkenswerten Zwischenbericht vorgelegt. Die von Betroffenen schon lange geau?erten Vorwurfe von systematischer physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt werden darin weitestgehend bestatigt. Das erste Treffen eines Kuratoriums Anfang Februar, in dem Betroffene mit Vertretern des Bistums an einem Tisch sitzen, um Weber bei seiner weiteren Arbeit zu unterstutzen, verlief nach Angaben aller Seiten in konstruktiver Atmosphare.

Verschlanktes Gremium arbeitet an konkreten Ma?nahmen

Zwischenzeitlich ist daraus ein weiteres, verschlanktes Gremium hervorgegangen, das sich ausschlie?lich um die weitere Aufarbeitung kummern soll. Hier sitzen sich die ehemaligen Domspatzen Michael Sieber, Peter Muller und Peter Schmitt auf der einen und Bischof Rudolf Voderholzer, Domkapellmeister Roland Buchner und Internatsdirektor Rainer Schinko gegenuber.

„Wahrend sich Rechtsanwalt Weber ausschlie?lich um die Aufklarung (unter anderem Gesprache mit Missbrauchs-Opfern, differenzierte Statistiken uber die Anzahl der Opfer und Taten) kummert, liegt die Aufarbeitung der Missbrauchsfalle in den Handen des Aufarbeitungsgremiums, das konkrete Ma?nahmen erarbeitet“, schreibt Michael Sieber auf der Seite intern-at.de. Erste dieser konkreten Ma?nahmen sollen bereits bei der nachsten Sitzung beschlossen und anschlie?end veroffentlicht werden. Man scheint es also – auch von Domspatzen-Seite – ernst zu meinen, mit der so lange vermiedenen und auch schmerzhaften Aufarbeitung.

Bischof Rudolf Voderholzer ist zwischenzeitlich dem Wunsch einiger Betroffener nachgekommen und hat im Vatikan nachgefragt, ob man dem exzessiven Gewalttater Johann Meier – Schulleiter bis 1992 in Etterzhausen – nicht den Ehrentitel Monsignore aberkennen konne. Zwar hat man diese Frage verneint – eine posthume Aberkennung sei nicht moglich – doch zeigt diese Geste: Voderholzer scheint wenigstens zu versuchen, auf die Bedurfnisse von Betroffenen einzugehen.

Das Gejammer von „Rufmord“

Allerdings gibt es auch Gegenbewegungen.

Zunehmend melden sich plotzlich ehemalige Domspatzen zu Wort, von denen man in all den Jahren vergeblicher Aufklarungsversuche nicht eine Silbe der Unterstutzung vernahm. Nun aber werden Vorwurfe relativiert und teilweise komplett bestritten. Manche gehen sogar so weit, Betroffene als „Weicheier“ zu beschimpfen oder der Luge zu bezichtigen. Von „Rufmord“ an den Domspatzen ist in Leserbriefen und manchen Interviews die Rede.

MZ-Redakteurin Christine Strasser brachte ihre Erfahrung, die auch wir in unserer Redaktion schon gemacht haben, in einem beachtenswerten Kommentar treffend den Punkt:

„Anrufer bitten die Redaktion um Telefonnummern von Opfern. Sie sagen, sie mochten diejenigen fragen, ob sie nicht besonders renitente Schuler gewesen seien und eine Zuchtigung daher verdient hatten. Es gibt auch Anrufer, die sich als ehemalige Domspatzen zu erkennen geben und bitterbose Worte uber die Opfer verlieren. Es wird Unverstandnis geau?ert daruber, dass sich Opfer erst jetzt melden. Sie sollten doch Ruhe geben. Schlie?lich sei alles langst strafrechtlich verjahrt.“

Verantwortlich sind die Tater und Vertuscher

Verantwortlich fur den momentanen Ansehensverlust und die Stigmatisierung der Domspatzen machen solche Anrufer, Ehemalige, Leserbriefschreiber und auch der phantasiebegabte Kommentator eines Anzeigenblatts damit Betroffene, die sich zu Wort melden und Journalisten, die die Vorwurfe offentlich machen.

Es tragen aber nicht diejenigen die Verantwortung, die das Schweigen brechen.

Es sind einerseits die Tater, die den Schaden an der „Institution“ Domspatzen zu verantworten haben. Das wusste die Regensburger Staatsanwaltschaft bereits 1959, als sie den ehemaligen Internatsleiter und seriellen Missbrauchstater Friedrich Zeitler anklagte. Zeitler habe „eine Anstalt von Weltruf aufs schwerste geschadigt“ und „das hohe Ideal des Priesterberufs ins Gegenteil umgewandelt“, so der Staatsanwalt damals.

Auf der anderen Seite tragen die Verantwortung die Vertuscher und Verhinderer mit dem immer noch von Regensburger Honoratioren hofierten Kardinal Gerhard Ludwig Muller an ihrer Spitze.

Verantwortlich sind auch die Verfasser von Zeilen, wie sie sich zum Beispiel im Jahresbericht des Domspatzen-Gymnasiums 2009/ 10 wiederfinden. Dort schrieb Schulleiter Berthold Wahl zur Berichterstattung uber Missbrauchsfalle wortlich:

„Besonders bedauerlich in diesem Zusammenhang ist, dass es keineswegs die Skandalmedien und Boulevardpresse waren, sondern die offentlich-rechtlichen Sender, die an einer differenzierten Darstellung wenig bis kein Interesse zeigen (Einige Beispiele reduktionistischer und manipulativer Berichterstattung wurden von unseren Schulern im Deutsch- und Kunstunterricht analysiert.).“

Zum geplanten Vorgehen der Domspatzen hei?t es weiter:

„In enger Absprache mit dem Medienprofi und bischoflichen Pressesprecher, Herrn Clemens Neck, haben wir daher alle unsere weiteren Vorgehenswege besprochen. So verstandlich und richtig der Wunsch zahlreicher Schuler und Eltern ist (der ubrigens auch uns immer wieder unter den Nageln brannte), die Domspatzen mussten endlich in die Offensive gehen, so schwierig ist es aber auch, den hierfur richtigen Zeitpunkt zu finden, damit die Wirkung nicht verpufft. Dieser wird sicherlich kommen, dieser ist jedoch wegen der fruhzeitigen Drucklegung dieses Berichts (Ende Mai) nur in Planung, aber noch nicht terminiert.“

Fast sechs Jahre ist das her. Eine „differenzierte Darstellung“ oder „Offensive“ kam trotz diverser folgender druckgelegter Jahresberichte nicht. Ob die reduktionistische und manipulative Darstellung der Missbrauchs- und Gewaltvorwurfe durch den „Medienprofi und bischoflichen Pressesprecher“ Neck zwischenzeitlich im Unterricht der Domspatzen analysiert wurde, ist nicht bekannt.

Dazugelernt scheinen manche zu haben. Das zeigen die aktuellen Entwicklungen – das Kuratorium, das Aufarbeitungsgremium, Einlassungen von Bischof Voderholzer. Vielleicht hat auch Berthold Wahl dazugelernt, der jetzt in dem bereits angesprochenem Kuratorium sitzt.

Den gute Ruf muss man sich erst wieder erarbeiten

Diejenige aber, die auch heute noch fast wortgleich Betroffene und Berichterstatter als verantwortlich fur den Ansehensverlust der Domspatzen ausmachen, haben nichts gelernt. Sie hangen einem Ruf der Domspatzen an, den sie sich immer noch so gern ans Revers heften wurden, den diese „Institution“ aber aufgrund der zuruckliegenden Taten und der jahrzehntelangen Vertuschung so schon lange nicht mehr verdient hatte. Wieder verbessern konnten die Domspatzen diesen Ruf nur durch vorbehaltlose Unterstutzung der jetzt endlich unternommenen Aufarbeitungsbemuhungen.

Wer das nicht akzeptieren kann, kritisiert und bejammert, der arbeitet dagegen, der behindert Aufklarung und Aufarbeitung und der beschadigt am Ende auch den Ruf der Domspatzen am meisten oder will einen Ruf, der mit der Realitat nichts zu tun hat.

 

 

 

 

 




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