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Pater Mertes Uber Schweigekartelle in Der Kirche

The Domradio
March 2, 2016

https://www.domradio.de/themen/reformen/2016-02-29/pater-mertes-ueber-schweigekartelle-der-kirche

Pater Klaus Mertes SJ

Rund sechs Jahre nach Bekanntwerden des Missbrauchsskandals in Deutschland herrscht fur Pater Klaus Mertes noch Reformbedarf. Auch wenn sich viel getan habe, begunstigten die Kirchenstrukturen nach wie vor Schweigekartelle.

domradio.de: Spotlight hat in der Nacht den Oscar fur den besten Film gewonnen - der Film beleuchtet, wie die Zeitung The Boston Globe den umfassenden Missbrauch im Erzbistum Boston vor 15 Jahren ans Licht brachte. In den USA war damals eine sakulare Zeitung notig, um den umfassenden Missbrauch bekannt zu machen. Noch heute ist man entsetzt, dass so etwas moglich war. Warum hat da kirchliche Leitung so versagt?

Pater Klaus Mertes (Direktor des Kollegs St. Blasien, Jesuiten-Gymnasium mit Internat fur Jungen und Madchen): Es ist eben ein Versagen und zum Begriff des Versagens gehort, dass es nicht notwendig so hatte laufen mussen, man hatte eben auch von intern her reagieren konnen und hat es nicht getan. Es sind im Grunde immer dieselben banalen Grunde: die Furcht vor dem Imageschaden und die schmerzlichen Veranderungen im Selbstbild, die man zulassen muss, wenn man von innen her aufklaren will.

domradio.de: Der Film zeigt, wie lange es dauerte, bis die Journalisten ein Schweigekartell durchbrochen hatten. Viele Opfer und auch die Eltern wollten nicht daruber sprechen, dass ihren Kindern etwas Schreckliches passiert ist, was sagt das uber die Macht aus, die die Kirche damals besessen hat?

Mertes: Schweigekartelle sind hochst komplexe Phanomene, weil sie ja letztlich Angst gesteuert sind und zwar bei allen Beteiligten, sie nennen ja die Eltern und die Opfer ganz zurecht, es sind ja alle im Schweigekartell drin. Es ist ja nicht einfach nur ein banaler bewusster Unterdruckungsakt von oben. Allerdings kommt die Macht der Kirche hier in besonderer Weise zum Ausdruck, dass es ja einen Schutz einer Institution und Autoritat betrifft, die sich selbst als heilig versteht und deswegen sehr schwer hat, Kritik zu zulassen.

domradio.de: Sie haben als Rektor des Jesuitengymnasiums Canisius-Kolleg in Berlin den Missbrauchsskandal in Deutschland bekannt gemacht. Was war fur Sie personlich der Ausloser, wo sie gesagt haben, jetzt muss ich an die Offentlichkeit gehen?

Mertes: Der entscheidende Punkt ist ja der, dass ich mich nie entschieden habe, an die Offentlichkeit zu gehen. Ich habe mich entschieden, mich an die Opfer zu wenden. Ich habe einen Brief an 600 ehemalige Schuler geschickt, nachdem drei Manner, die 1980 Abitur gemacht hatten, mir von dem Missbrauch von zwei Patres erzahlt hatten. Daraus schloss ich, dass es mindestens bei einem Pater 100 Opfer geben musste und dann sah ich mich verpflichtet, mich an die Opfer zu wenden und zu sagen: Hallo, ihr habt Schlimmes erfahren, damals seid ihr aller Wahrscheinlichkeit noch gar nicht gehort worden, jetzt wollen wir horen. Das war vereinfacht gesagt, die Botschaft meines Briefes. Der Brief ist dann an die Presse geraten und dann kam es zu der Pressekonferenz . Mir war es wichtig, der Erstadressat fur meine Tatigkeit, der ich ja innerhalb des Systems war, war mich an die Opfer zu wenden.

domradio.de: Heute sind wir sechs Jahre weiter, die katholische Kirche hat in Deutschland reagiert, hat ihre Leitlinien gegen sexuellen Missbrauch ausgeweitet, einige Priester wurden aus ihren Amtern entfernt. Sehen Sie die Kirche im Moment auf einem guten Weg oder sagen Sie, es wird immer noch nicht genug getan fur die Opfer?

Mertes: Ersteinmal in der Kirche hat sich sehr sehr viel getan. Ich glaube, dass keine Institution in Deutschland das Thema des Missbrauchs so ernst angegangen ist wie die katholische Kirche. Es ist vorallem auf der Ebene der Gemeindeleitungen, der Schulleitungen, der Praventionsbeauftragten sehr sehr viel getan worden. Auf der einen Seite sehe ich sicherlich einen guten Weg, auf der anderen Seite sind wir uberhaupt noch nicht am Ende. Ich sehe vorallem zwei Probleme. Das eine ist, dass wir uns zu sehr auf Pravention beschranken und die Kommunikation mit den Opfern der Vergangenheit daruber ins Hintertreffen gerat. Das zweite ist, dass wir konsequent verweigern, die Strukturfragen zu stellen, die notwendig zu stellen sind, wenn man sich die Struktur von Schweigekartellen in der katholischen Kirche anschaut. Diese gibt es immer noch.

domradio.de: Was musste sich an der Struktur andern, um diese Kartelle zu verhindern?

Mertes: Es gibt zwei ganz gro?e Themenkomplexe: der eine Themenkomplex betrifft das Verhaltnis zur Sexualitat in der katholischen Kirche, das durch starke Tabuisierungen gekennzeichnet ist. Wenn sie die ansprechen, naturlich auch massive Aggressionen hervorrufen. Insbesondere hier das Thema Homophobie in der katholischen Kirche, die meines Erachtens ein wesentlicher Grund fur das Schweigen gewesen ist. Zweitens die Frage, wie wird denn uberhaupt Macht in der katholischen Kirche organisiert. Das fangt an bei der Frage wie transparent sind die Verfahren fur Bischofsernennungen bis hin zu der Frage an welcher Stelle kann uberhaupt Macht kontrolliert werden in der katholischen Kirche? Das sind zwei grundlegende Themenbereiche an denen in der katholischen Kirche gearbeitet werden muss und da gibt es immer noch massive Widerstande, bis dahin zu behaupten, solche Fragen zu stellen, sei nichts anderes als Instrumentalisierung im Missbrauch fur kirchenreformerische Anliegen. Was naturlich eine weitere Weise ist, das Thema zu tabuisieren.

Das Interview fuhrte Mathias Peter.

 

 

 

 

 




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