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Bischof Ackermann Uber Die Aufarbeitung Des Missbrauchsskandals

Domradio
March 3, 2016

http://www.domradio.de/themen/bischofskonferenz/2016-03-03/bischof-ackermann-ueber-die-aufarbeitung-des-missbrauchsskandals

Vor sechs Jahren begann die Aufdeckung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche. Uber den Stand der Aufarbeitung, den Dialog mit den Opfern und den Film "Spotlight" spricht Bischof Stephan Ackermann im Interview.

KNA: Bischof Ackermann, wo steht die katholische Kirche bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals?

Bischof Stephan Ackermann (Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz): Ich glaube, dass wir an einem Punkt sind, an dem es eine gewisse Zasur gibt. Wir haben in den letzten Jahren sehr stark an der Aufklarung konkreter Falle gearbeitet und an der Aufarbeitung insgesamt. Diese Jahre waren zunachst stark vom Blick zuruck gepragt - was auch weiter wichtig bleibt! Es gibt Betroffene, die nun erst den Mut fassen, daruber zu sprechen und sich an beauftragte Personen innerhalb der Kirche zu wenden. Wir haben Ordnungen uberarbeitet oder neu erstellt, wie zum Beispiel die Praventionsrahmenordnung. Es war klar: Wir geben den Startschuss, systematisch an der Verhinderung sexueller Gewalt zu arbeiten.

KNA: Und jetzt?

Ackermann: Die Pfahle sind nun eingerammt, wenn ich das so sagen darf, die Regelwerke sind klar. Jetzt geht es darum, die ganze Arbeit auf Dauer zu stellen. Einmal abgesehen davon, dass durch den Film "Spotlight" das Thema gerade wieder prasent ist, ist es doch insgesamt in der Offentlichkeit ruhiger geworden. Aber damit besteht die Gefahr, dass die Aufmerksamkeit fur das Thema, fur Gefahrensituationen nachlasst - sowohl was potenzielle Tater als auch was die Institutionen angeht. Es ist im sechsten Jahr nach 2010 eine Herausforderung zu schauen: Wie schaffen wir es auf gute Weise, an diesem Thema dranzubleiben und dafur zu werben, sich stark zu machen fur Pravention und Kinderschutz.

KNA: Wann rechnen Sie mit den Ergebnissen des 2014 gestarteten Forschungsprojektes? Wird es wie geplant bei 2017 bleiben?

Ackermann: Die Forscher werden Zwischenergebnisse kommunizieren. Sie haben bei Tagungen schon Einblick nehmen lassen in den Stand ihrer Arbeit. Zunachst ging es darum, das "Forschungsdesign" aufzustellen und zu fragen: Wie gehen wir die einzelnen Arbeitspakete an? Die Forscher sind kollegial vernetzt und es gibt den Beirat fur das Forschungsprojekt. Ich bin selbst dort Mitglied. Und was ich sehen kann ist, dass der Zeitplan eingehalten wird. In diesem Jahr wird es vor allem darum gehen, die Aktenanalyse vorzunehmen - in den meisten Bistumern ab dem Jahr 2000. Und in manchen Bistumern gibt es die sogenannte Tiefenbohrung, die zuruckgeht bis 1945. Das musste sorgfaltig vorbereitet werden, auch wegen datenschutzrechtlicher Fragen. Au?erdem sind inzwischen schon etliche Interviews mit Betroffenen und Tatern gefuhrt worden.

KNA: Was bedeuten die jungsten Missbrauchsvorwurfe aus Hildesheim und bei den Regensburger Domspatzen fur die Aufarbeitungsbemuhungen?

Ackermann: Naturlich befinden wir uns in einem Feld, das ein Lernprozess ist und bleibt. Wenn wir auf die Domspatzen schauen, sage ich ehrlich, dass das mit einer gewissen Verzogerung begonnen hat. Jetzt wird die Aufarbeitung in einer guten Weise unabhangig von einem Rechtsanwalt angegangen. Bischof Rudolf Voderholzer legt gro?en Wert darauf und gibt auch freie Hand. Und mit Blick auf Hildesheim sehen wir, dass es diffizile Situationen gibt. Naturlich haben wir Kriterien und Leitlinien, aber es gibt immer auch besondere Falle.

KNA: Inwiefern?

Ackermann: Etwa hier, wenn es um Vorwurfe gegen einen Bischof geht, der schon tot ist. Wie gehe ich damit um? Der kann sich nicht gegen Vorwurfe wehren. Und es ist schwierig, wenn es keine weiteren Anhaltspunkte gibt, etwa in Unterlagen oder von anderen Betroffenen. Wir wollen opferorientiert vorgehen, die Menschen horen, wenn sie ihre Beschuldigungen vorbringen. Aber gerade wenn es Verstorbene betrifft, ist das eine delikate Materie. Im anderen Fall geht es um Zusammenhange familiarer Art, wo Mutter und Tochter Opfer waren und das anscheinend nicht voneinander wussten. Daran sieht man, wie komplex solche Falle sein konnen. Und die Verantwortlichen in Hildesheim haben ja selbst gesagt, dass sie eine Lerngeschichte hinter sich haben. Die erste Meldung geht zuruck auf 2010. Wenn es heute gemeldet wurde, wurden sie sicher professioneller damit umgehen.

KNA: Wie bewerten Sie denn allgemein den Dialog mit den Betroffenen?

Ackermann: Ich habe keinen Gesamtuberblick und schaue vor allen Dingen auf meine eigenen Erfahrungen. Ich habe den Eindruck, dass bei einer gro?en Zahl von Betroffenen der Weg, den wir gegangen sind, geholfen hat, diesen Teil ihrer Biografien anzuschauen, sich zum Teil auch damit zu versohnen und einen Weg zu finden, damit leben zu konnen. Ich glaube, dass der eingeschlagene Weg insgesamt richtig ist, und dass dieser Weg zu einer Befriedung beigetragen hat. Gleichwohl gibt es Menschen, die unzufrieden bleiben. Es ist fur mich besonders schmerzlich, wenn manche sagen: Nein, das ist mir nicht genug, ich fuhle mich nicht gut behandelt. Wir versuchen an allen Stellen, dem moglichst gerecht zu werden. Es bleibt aber ein gewisser Prozentsatz der Unzufriedenheit. Insgesamt wird aber gesehen: Wir wenden uns den Betroffenen zu.

KNA: Denken Sie, die Oscar-Auszeichnung fur den Film "Spotlight" kann auch hierzulande Impulse fur die Aufarbeitung geben?

Ackermann: Ich glaube, das Besondere ist, dass deutlich wird: Da ist eine Problematik, die in Boston nicht blo? die katholische Kirche betraf. Auch wenn die Tater naturlich Mitarbeiter der Kirche waren. Aber es gab ein System des Nicht-Sehen-Wollens, das uber den kirchlichen Bereich hinausging - bis hin zu Menschen, die politische und gesellschaftliche Verantwortung trugen, ja sogar bis hinein in die Redaktionen der Zeitungen. Dass es ein Wissen gab, dem man nicht nachgegangen ist. Dieser systemische Aspekt ist ein besonderer Beitrag dieses Films. Im Unterschied zu uns hier in Deutschland hat in den USA wesentlich der Journalismus dazu beigetragen, die Verbrechen aufzudecken. Bei uns ist der Startpunkt innerkirchlich gewesen. Wenn man etwa an Pater Klaus Mertes und das Canisius-Kolleg in Berlin denkt. Da war jemand von der Kirche, der den Betroffenen den Weg eroffnet hat, Vertrauen zu fassen, sich zusammenzutun und auf diese Weise die Stimme zu erheben.

KNA: Pater Mertes hat jungst Rucktritte auf hochster Ebene verlangt und Kardinal Gerhard Ludwig Muller ein Glaubwurdigkeitsproblem beim Thema Missbrauch vorgeworfen. Wie stehen Sie zu diesen Au?erungen?

Ackermann: Ich schatze Pater Mertes, gerade was seine Sensibilitat und seine analytischen Fahigkeiten angeht. Ich muss aber sagen, dass ich mich damit schwer tue, einen Rundumschlag zu machen. Was bringt das in dieser Situation? Kardinal Muller ist derjenige, der als Prafekt der Vatikanischen Glaubenskongregation an oberster Stelle Verantwortung fur die Bearbeitung der Falle tragt. Und ich stelle fest: Es gibt keinen Unterschied zu fruher. Ich kann nicht erkennen, dass die Glaubenskongregation unter seiner Leitung lascher ware oder Dinge langsamer bearbeitet. Im Gegenteil: Es gibt dort auch eine Form von Professionalisierung. Und ich glaube auch, dass Kardinal Muller jetzt in Rom ganz andere Dimensionen der Problematik sieht als zuvor in Deutschland.

Das Interview fuhrte Leticia Witte.

 

 

 

 

 




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