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"DAS Gottesbild Verdunkelt"

Katholisch
March 3, 2016

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Sechs Jahre sind vergangen, seitdem der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche in Deutschland ans Licht kam. Sechs Jahre, in denen sich die Kirche aber auch darum bemuht hat, die Missbrauche der Vergangenheit aufzuklaren und neue zu verhindern. Das gelingt nicht immer lucken- und problemlos, wie kurzlich Falle bei den Regensburger Domspatzen und im Bistum Hildesheim gezeigt haben.

Aber die Kirche ist auf einem guten Weg. Sie hat ihre Leitlinien zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjahriger innerhalb der Kirche uberarbeitet und die Rahmenordnung zur Pravention mehrfach aktualisiert. Es gibt Beratungs- und Hilfsangebote sowie einheitliche Antragsformulare fur materielle Entschadigungen. Zahlreiche Praventionsprojekte in Pfarreien, Schulen oder Kinderheimen sollen direkt an der Basis helfen, das Risiko von Missbrauchsfallen kunftig zu minimieren. Die Deutsche Bischofskonferenz hat au?erdem eine neue Missbrauchsstudie in Auftrag gegeben.

Und dann gibt es da noch die jahrlich stattfindenden Fachtagungen. Hier kommen die Missbrauchs- und Praventionsbeauftragten der Bistumer und Ordensgemeinschaften, der katholischen Schulen und Caritaseinrichtungen aus ganz Deutschland zusammen, um sich uber fachliche Hintergrunde und neue wissenschaftliche Erkenntnisse auszutauschen. In den vergangenen Jahren ging es etwa um den opfergerechten Umgang mit Tatern (2012) oder institutionelle Schutzkonzepte (2014).

"Chancen und Risiken von Spiritualitat"

Jetzt sind die rund 60 Beauftragten unter der Leitung des Trierer Bischofs Stephan Ackermann erneut fur zwei Tage zusammen gekommen – und haben sich in diesem Jahr eines heiklen Themas angenommen. Sie wollten uber die "Chancen und Risiken von Spiritualitat" im Umgang mit Missbrauchsopfern sprechen. "Wir konnen uns an dieses Thema nur sehr, sehr vorsichtig herantasten", sagte Ackermann, der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, am Mittwoch in Koln. Schlie?lich bestehe immer die Gefahr, dass der Missbrauch und das Leid der Opfer "ubertuncht" wurden, wenn man sich zu schnell mit theologisch-spirituellen Aspekten beschaftige.

Dennoch wolle man das Thema kunftig nicht mehr ausklammern, sagte Ackermann. Denn die Auswertung der Telefon-Hotline, die die Bischofskonferenz bis 2012 fur rund zwei Jahre freigeschaltet hatte, mache deutlich, dass die Opfer in der Kirche beheimatet waren – und teilweise auch noch sind. Gerade weil der Missbrauch in diesem Kontext stattgefunden habe, habe der Glaube aber Schaden genommen. Das Gottesbild sei verdunkelt worden, so der Bischof. "Den missbrauchten Kindern und Jugendlichen wurde damit eine wichtige Ressource genommen – auch in Bezug darauf, den Missbrauch zu verarbeiten." Einige der Ruckmeldungen zeigten, dass Menschen mit Hilfe der Seelsorge den Versohnungsweg gehen konnten. Andere hatten sich dagegen eine starkere spirituelle Hilfe seitens der Kirche gewunscht.

Wie viel Kirche kann und darf man den Missbrauchsopfern zumuten?

Es ist also ein zweischneidiges Schwert, mit dem sich die Missbrauchsbeauftragten in den vergangenen beiden Tagen beschaftigt haben: Wie viel Kirche kann und darf man den Missbrauchsopfern zumuten? "Die Kirche sagt, sie bringt das Heil und doch haben ihre Vertreter nur Unheil uber die Opfer gebracht", resumierte Hildegund Keul. Die Leiterin der Arbeitsstelle fur Frauenseelsorge der Bischofskonferenz bezeichnet diesen Widerspruch in ihrem Vortrag vor den Tagungsgasten als "Super-Gau". Wenn Missbrauch innerhalb der Kirche geschehen konne, sei es auch an der Zeit, den eigenen Heilsauftrag zu uberdenken, sagte sie.

Fur Keul ist klar: Man muss zu allererst die Wunden in den Blick nehmen. Denn auch das Vertuschen der Missbrauchsfalle habe damit zu tun. "Die Kirchenoberen haben andere verwundet, damit die Institution selbst nicht verwundet wird", sagte sie und nennt das "die Herodes-Strategie". Solche Schutzmechanismen hatten immer ein eigenes Gewaltpotenzial und fuhrten zu Ausschlie?ung und am Ende gar zu Menschenrechtsverletzungen. "Die Kirche darf sich selbst schutzen, aber nicht in jedem Fall und um jeden Preis."

Die Missbrauchsbeauftragten der Deutschen Bischofskonforenz und der Bundesregierung, Bischof Stepfan Ackermann (l.) und Johannes-Wilhelm Rorig, haben eine gemeinsame Erklarung unterzeichnet, mit der Kinder in katholischen Einrichtungen noch besser vor sexuellen Ubergriffen geschutzt werden sollen.

Noch wichtiger seien aber die Wunden der Opfer, die nicht so einfach heilen und die – selbst wenn sie es tun – Narben hinterlassen. "Eine Option fur die Kirche ist es deshalb, Rituale der Heilung zu entwickeln, am besten gemeinsam mit den Opfern", schlug Keul vor. Damit konne man ihnen helfen, sie aus dem lahmenden Zustand der "Viktimisierung" (Opferrolle) herauszufuhren. Eine andere pastorale Herausforderung seien beispielsweise "triggerfreie Gottesdienste". Gemeint sind liturgische Feiern, die mogliche Reize verhindern, durch die Opfer an den Missbrauch und ihr Trauma erinnert werden. Keul berichtet, dass viele Missbrauchsopfer zum Beispiel ein Problem mit den Worten "Vater, dein Wille geschehe" hatten. "Ich wei?, dass das schwierig wird. Aber wir sollten es dennoch versuchen."

Opfer stellen die Theodizeefrage

Karlijn Demasure rat dazu, sich den Missbrauchsopfern uber Bilder und Geschichten zu nahern und nicht uber Konzepte. "Konzepte erreichen nur das Gehirn, aber nicht das Herz", sagte die Geschaftsfuhrerin des Zentrums fur Kinderschutz an der papstlichen Universitat Gregoriana in Rom. Sie berichtete davon, dass sich Missbrauchsopfer haufig die klassische Theodizeefrage nach der Gute, Allmacht und Gerechtigkeit Gottes stellen: Ist Gott wirklich in Sorge um mich? Wenn ja, warum hat er nicht eingegriffen? Oder wollte er und konnte nicht? Oder hat er vielleicht gar nicht gesehen, dass ich das nicht verdient habe?

Demasure glaubt, dass die Missbrauchsopfer einen neuen Zugang zu Gott nur dann finden konnen, wenn man diese Gottesbilder in ihren Kopfen zerstort. Sie mussten Gott als Freund kennenlernen, damit sie sich wieder trauen, Fragen an ihn zu stellen. Dabei gehe es auch um Fragen von Schuld und Sunde. "Die Opfer glauben haufig, dass sie selbst daran Schuld sind, missbraucht worden zu sein", so die Trauma-Expertin. Sie rat daher davon ab, ihr Leiden noch in irgendeiner Art und Weise zu uberhohen. "Eine Kreuzestheologie, wie sie Anselm von Canterbury vertreten hat, mussen wir deshalb infrage stellen." Das Argument, dass Jesus immerhin auch gelitten habe, um uns von den Sunden zu erlosen, sei der falsche Ansatz.

Trotz erster Schritte blieben noch viele Fragen, gestand Bischof Ackermann. Zum Beispiel, was die Missbrauchsfalle fur das zu sehr idealisierte Priesteramt, fur die Sakramente und die gesamte Theologie der Kirche bedeute. Und letztlich musse man irgendwann auch die Tater in den Blick nehmen. "Bei aller Abscheu gegenuber den Verbrechen bleiben die Tater Menschen mit Personenwurde", so der Trierer Oberhirte.

Dass die Kirche auf einem guten Weg ist, bestatigte schlie?lich auch der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung. Kurzfristig hatte Johannes-Wilhelm Rorig einen Besuch der Fachtagung in Koln angekundigt. Er sei "beeindruckt vom Engagement und der Beharrlichkeit in der Missbrauchsaufklarung" – auch, wenn dabei einige Widerstande uberwunden werden mussten. "Kirche ist heute nicht mehr Primar Tatort, sondern Kompetenzort, an dem Kinder und Jugendliche Hilfe und Unterstutzung bekommen", sagte Rorig. Als Zeichen dafur unterschrieben er und Bischof Ackermann am Ende des Tages eine gemeinsame Erklarung (siehe Info-Kasten), mit der kunftig ein vom "Runden Tisch" empfohlenes Schutzkonzept in allen katholischen Einrichtungen in Deutschland umgesetzt werden soll.

Neue Vereinbarung fur mehr Schutz vor Missbrauch vorgestellt

Eine neue Vereinbarung zwischen dem Missbrauchsbeauftragten der Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann, und dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rorig, soll dafur sorgen, dass Kinder und Jugendliche umfassend vor sexueller Gewalt geschutzt werden. "Die katholische Kirche in Deutschland und alle ihr zugehorigen Einrichtungen sollen ein sicherer Ort fur die verletzlichsten Mitglieder der Gesellschaft sein", erklarte die Deutsche Bischofskonferenz am Donnerstag in Bonn. Die Erklarung setzt den Angaben zufolge die Zusammenarbeit nach einer ersten Vereinbarung von Juni 2012 fort. Geplant sei unter anderem, bis 2018 "institutionelle Schutzkonzepte" in allen Einrichtungen der Bistumer aufzubauen und "flachendeckende Schulungsma?nahmen" zu veranstalten, um sexueller Gewalt vorzubeugen. Au?erdem beteilige sich die Bischofskonferenz weiter an der Rorig- Kampagne "Kein Raum fur Missbrauch". "Sie wird die Entwicklung, Veroffentlichung und Verbreitung von geeignetem Informationsmaterial unterstutzen", hie? es.

 

 

 

 

 




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