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Ein Mehltau Von Feigheit

Regensburg Digital
March 4, 2016

http://www.regensburg-digital.de/ein-mehltau-von-feigheit/04032016/

Unvollstandiges Podium: Ludwig Faust, Rudolf Neumaier, Moderator Gerhard Schiechl um Dochchormanager Christof Hartmann. Das Bistum weigerte sich, einen Vertreter zu schicken. Fotos: as

Eine Podiumsdiskussion zu den Regensburger Domspatzen zeigt: Es fehlt weiter an der Fahigkeit oder am Willen, Fehler und Verantwortliche klar zu benennen – auch im Regensburger Presseclub.

„Und der Meier war eine…ich sag das jetzt nicht“, erklart Ludwig Faust vom Podium aus. Aber bevor er zu Ende sprechen kann, wird aus dem Publikum bereits mehrfach das Wort „Drecksau“ erganzt. Gerade wird uber Johann Meier gesprochen, den exzessiven Gewalttater, der bis 1992 die Domspatzen-Vorschule in Etterzhausen und Pielenhofen leitete und von dem sich die Domspatzen erst kurzlich distanziert und ihm die Ehrenmitgliedschaft aberkannt haben. Der international bekannte Chor kampft um sein Image, Gymnasium und Internat mit stetig sinkenden Schulerzahlen. Und am Donnerstag sitzt man nun zusammen im Regensburger Presseclub, um, wie es in der Einladung hei?t, Antworten auf die Frage zu finden, „warum die Ereignisse von damals die Gegenwart so massiv uberlagern“.

Widerstand vom bischoflichen Pressesprecher

Spielte trotz Abwesenheit wieder einmal eine unruhmliche Rolle: Bistumssprecher Clemens Neck. Foto: Archiv/ as

Das Bistum hatte es im Vorfeld dezidiert abgelehnt, jemanden zu schicken. Dass mit Chormanager Christof Hartmann, der neben Faust und dem SZ-Redakteur Rudolf Neumaier auf dem Podium sitzt, wenigstens ein offizieller Vertreter der Domspatzen gekommen ist, musste gegen den Widerstand des bischoflichen Pressesprechers Clemens Neck durchgesetzt werden.

Es gehort wohl alles zu diesem „Mehltau“, wie es eine BR-Journalistin aus dem Publikum irgendwann bezeichnet, zu diesem Unwillen oder einfach der Unfahigkeit, tatsachlich offen und ehrlich uber Gewalt und Missbrauch an den Einrichtungen der Domspatzen zu sprechen, Fehler einzugestehen und Verantwortliche fur das Vertuschen und Verharmlosen gerade in jungerer Zeit offen zu benennen.

Auch das Podium im Presseclub hat damit so seine Probleme und dass es uberhaupt passiert, ist am Donnerstag insbesondere der Anwesenheit von Michael Sieber und Udo Kaiser zu verdanken, zwei Ex-Domspatzen, die seit Jahren gegen das Verschweigen angekampft haben und die uberraschend und ohne Einladung erschienen sind.

„Unkultur des gnadenlosen Prugelns“

Ludwig Faust: „Das hatte nichts mit Watschn zu tun, wie man sie damals manchmal gewohnt war.“

Dabei gibt es in einem Punkt weitgehende Einigkeit: Dass am heutigen Domspatzen-Gymnasium und Internat noch solche Zustande herrschen, wie sie Aufklarer Ulrich Weber bis hinein in die 80er und 90er, in Einzelfallen sogar bis in die 2000er Jahre festgestellt hat, glaubt kaum einer. Faust, der 1964 zu den ersten Zoglingen von Domkapellmeister Georg Ratzinger gehorte, und Neumaier, der bis 1991 bei den Domspatzen war, sprechen insbesondere die Zustande an der Vorschule in Etterzhausen und Pielenhofen auch offen an. Eine „Unkultur des gnadenlosen Prugelns“ habe dort geherrscht, so Faust. „Das hatte nichts mit Watschn zu tun, wie man sie damals manchmal gewohnt war.“

Neumaier kritisiert auch die „eklatant desolate Weise“, in der es 2010 versaumt wurde, mit dem Vorwurfen umzugehen. „Das, was jetzt diskutiert wird, war schon damals alles da.“ Verantwortlich dafur sei aber in erster Linie die Bistumsfuhrung.

Der Chormanager auf Werbetour

Domchormanager Hartmann kommt derweil die Rolle zu, in teils ermudender Lange die Vorzuge des heutigen Gymnasiums und Internats vorzustellen. Mehrfach wiederholt er sich, selbst wenn Fragen zu ganz anderen Themen gestellt werden, fabuliert er sich stets zielgenau wieder zu diesem Punkt oder erlautert die neue Werbestrategie, mit der man den sinkenden Schulerzahlen entgegenwirken will. Es fallt auch der altbekannte Satz, dass man die jetzige Aufklarung vollumfanglich begru?e und tatkraftig unterstutzen wolle.

Chormanager Hartmann: „Aufarbeitung und Aufklarung steht au?erhalb unserer Kommentierung.“

Als Hartmann sich irgendwann mit den Worten „Lieber Udo“ an Kaiser wendet, erwidert dieser: „Sag bitte nicht ‚lieber‘. Ihr habt 2010 nichts gemacht, um uns zu unterstutzen. Wenn ihr damals mehr Courage gehabt hattet, dann hatten wir das heute hinter uns.“

Doch tatsachlich war damals von Domspatzenseite nichts zu horen – au?er Medienschelte angesichts der angeblich undifferenzierten Berichterstattung. Entsprechende Ausfuhrungen von Schulleiter Berthold Wahl kann man in den damaligen Jahresberichten nachlesen. Auch die ARD-Doku „Sunden an den Sangerknaben“, welche 2015 die derzeit stattfindende Aufklarung ma?geblich ins Rollen gebracht hatte, wurde von Domspatzenseite zunachst massiv attackiert. Bis heute finden sich entsprechende Schreiben von Elternbeirat und SMV auf dem Internetauftritt der Schule. Eine Einladung an die darin angegriffene Filmemacherin Mona Botros, sich doch einmal vor Ort ein Bild von den heutigen Domspatzen zu machen, entpuppte sich als leere Floskel.

„Es braucht tatsachliche Offenheit und nicht nur Positivpropaganda.“

„Uns sind die Hande gebunden“, versucht Hartmann das zu rechtfertigen. „Es wurde festgelegt: Die Pressearbeit lauft uber den Generalvikar und die bischofliche Pressestelle.“ 2016 aber habe der Stiftungsvorstand gefordert, sich selbst au?ern zu durfen. „Aber Aufarbeitung und Aufklarung steht au?erhalb unserer Kommentierung.“

Er konne sich nur zur Zukunft und aktuellen Ausrichtung der Domspatzen au?ern. Als Hartmann erneut damit beginnen will, die Vorzuge des Gymnasiums aufzuzahlen, wird im Publikum vernehmlich geraunt. „Das haben wir jetzt schon drei Mal gehort.“ Michael Sieber sagt an den Chormanager gerichtet: „Es hatte nicht geschadet, wenn ihr gesagt hattet: Wir haben Fehler gemacht, aber eure Strategie war Aussitzen.“ Dieses Verhalten lasse ihn nach wie vor skeptisch sein. „Es braucht tatsachliche Offenheit und nicht nur Positivpropaganda.“

„Ratzinger war feige. Und er ist immer noch feige.“

Rudolf Neumaier: „Vielleicht sollten die Domspatzen aus der Kirche austreten.“

Kontrovers geht es auch zu, als Neumaier, der wegen seiner Berichterstattung zu Gewalt und Missbrauch manch anderen Domspatzen als „Nestbeschmutzer“ galt, hartnackig darauf besteht, dass die Vorschule in Etterzhausen/ Pielenhofen auf der einen und Gymnasium und Internat in Regensburg auf der anderen Seite zwei vollig voneinander getrennte Systeme gewesen seien, dass Schulleitung und Domspatzen-Stiftung keinen Einfluss auf das Prugel-Regime von Johann Meier gehabt hatten. „Warum hatten sie ihn denn sonst gewahren lassen sollen?“, fragt Neumaier immer wieder und irgendwann fast schon etwas hilflos, als er dafur von Kaiser und Sieber heftig kritisiert wird.

Am Ende raumt aber auch er ein, dass Georg Ratzinger zumindest Einfluss gehabt hatte. „Aber der war fur so etwas taub.“ Ratzinger sei nie bose gewesen, erganzt ein alterer Herr – ebenfalls Ex-Domspatz – aus dem Publikum: „Aber er war feige. Und er ist immer noch feige.“ Und auch Ludwig Faust bestatigt: „Jeder wusste, was dort passiert. Das Sytem war allen bekannt. Wenn der Ratzinger etwas gesagt hatte, ware es damit vorbei gewesen.“

„Kirche lasst die Domspatzen im Regen stehen.“

Immer wieder kommt die Rolle des Bistums zur Sprache. Die Kirche lasse die Domspatzen jetzt im Regen stehen, sagt ein alterer Herr aus dem Publikum. Dort mussten endlich auch Fehler und Verantwortliche klar benannt werden.

„Vielleicht sollten die Domspatzen aus der Kirche austreten“, murmelt Neumaier auf dem Podium. Es soll ein Scherz sein, der auch fur Gelachter sorgt, aber es klingt auch wie der Gegenentwurf zu einer anderen Forderung, die Professor Martin Balle, Herausgeber des Straubinger Tagblatts – eine dezidiert katholisch ausgerichtete Verlagsgruppe, bereits im Marz 2015 aufgestellt hatte und die beileibe nicht als Scherz gemeint war:

„Die Regensburger Domspatzen gehoren aufgelost. Das ist die einzig adaquate Reaktion auf so viel uber Jahrzehnte hinweg zugemutetes Unrecht. Das ware das adaquate Signal der Reue, mit dem das Bistum zeigen konnte, dass es aus dem christlichen Glauben heraus Mitleid und Reue kennt und in vollem Umfang ernst damit machen mochte.“

 

 

 

 

 




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